"Alle Länder, die zugesagt haben, Kinder und Kranke aufzunehmen, sollen das jetzt endlich tun", sagte Hollerich im Interview mit Radio Vatikan (Mittwoch).
Appell an europäische Staaten
Er zeigte sich bestürzt über den Großbrand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. In Moria habe nicht nur das Camp der Flüchtlinge gebrannt; auch "die Hoffnung der Leute ist weggebrannt", so Hollerich. "Die Menschlichkeit Europas, die Tradition des Humanismus, des Christentums, ist nicht mehr vorhanden", fügte er hinzu. "Ich denke, viele Regierungen hören auf die radikale Rechte, die keine Flüchtlinge will", so der Kardinal: "Das führt Europa in die Unmenschlichkeit; wir verlieren den Sinn für Menschlichkeit."
Der COMECE-Präsident zeigte sich zwar dankbar, dass die EU in einer ersten Reaktion auf den Brand in Moria der griechischen Regierung Hilfe für die betroffenen Menschen zugesichert habe, etwa in Form einer Umsiedlung. "Aber ich glaube, das genügt nicht mehr. Wir müssen unsere Verantwortung als Mitmenschen übernehmen", so Hollerich. Es gelte, vom Reden ins Handeln zu kommen. Alle Staaten, die eine Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria in den vergangenen Wochen und Monaten zugesagt haben, sollten dies nun "endlich" umsetzen.
Kirche auch in der Pflicht
Auch die Kirche nahm der Kardinal in die Pflicht. Er verwies auf das Beispiel der Gemeinschaft Sant'Egidio, die in Einvernehmen mit der Regierung in Rom Menschen über sogenannte humanitäre Korridore nach Italien gebracht hat. "Wenn das arme Italien noch all diese Leute aufnehmen kann, verstehe ich nicht, wieso Länder, die von der Corona-Krise weit weniger gebeutelt sind, nicht auch ihren Beitrag leisten können", mahnte Hollerich.
Der Luxemburger Erzbischof hatte das Camp Moria selbst 2019 besucht. In den Begegnungen vor Ort habe er bemerkt, dass die dort untergebrachten Menschen ihre Hoffnung verloren haben, so der Kardinal. Sie seien "verzweifelt, wissen nicht mehr, was sie tun sollen". Immer wieder forderte Hollerich in den vergangenen Monaten Solidarität unter den Staaten Europas und eine politische Lösung für Flüchtlinge ein.