Hans Overkämping weiß es noch genau: Es war in den 1980er Jahren durchaus üblich, dass Sterbende in den Krankenhäusern in die Badezimmer oder Abstellräume abgeschoben wurden, erinnert sich der katholische Priester aus Datteln. "Die Sterbenden haben Angst vor Schmerzen, möchten bei ihrem letzten Weg nicht allein sein", weiß der frühere Klinikseelsorger. Er wollte "menschenwürdiges Sterben" möglich machen. Und wurde zum Mitbegründer eines der ersten deutschen Hospize in Recklinghausen.
Tagen mehr Leben geben
"Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben", lautet eines der Leitworte der Hospiz- und Palliativarbeit. Sterbende sollen bis zuletzt ein selbstbestimmtes Leben führen können, möglichst schmerzfrei und in vertrauter Umgebung. Inspiriert von der britischen Ärztin Cicely Saunders und der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, entstanden auch in Deutschland in den 80er Jahren erste Hospizdienste und Sitzwachen: Ehrenamtliche kümmerten sich um Schwerstkranke und Sterbende. Und sie kämpften angesichts eines Gesundheitssystems, das sich allein auf Heilung konzentrierte, gegen die Tabuisierung von Sterben und Tod.
"Die Hospizbewegung hat die Gesellschaft verändert." Winfried Hardinghaus klingt zufrieden. Auch der Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin im Franziskus-Krankenhaus Berlin setzt sich seit Jahrzehnten für die Belange Sterbender ein. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands (DHPV), des bundesweiten Dachverbandes und Sprachrohrs der Hospizbewegung, der an diesem Mittwoch seinen 25. Geburtstag feiert. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert bescheinigt dem Verband, das Sterben "aus der Tabuzone in die Mitte der Gesellschaft" geholt zu haben.
Eine breite Bürgerbewegung entstand - insbesondere im Raum der Kirchen. 1983 wurde die erste deutsche Palliativstation an der Uniklinik in Köln gegründet, 1986 das erste stationäre Hospiz in Aachen. 1992 wurde der DHPV aus der Taufe gehoben, damals unter dem Namen "Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz".
Inzwischen gibt es ein Netz von rund 1.500 ambulanten Hospizdiensten, 236 stationären Hospizen sowie mehr als 300 Palliativstationen in Krankenhäusern. Über 300 Teams der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung aus Medizinern, Pflegekräften, Seelsorgern und Physiotherapeuten sorgen dafür, dass Sterbenskranke auch in schwierigsten Situationen zu Hause versorgt werden können. 80.000 bis 100.000 Menschen engagieren sich in der Hospizbewegung.
Rechtsanspruch auf Hospizversorgung
Immer stärker wurde die Sterbebegleitung auch gesetzlich und in den Richtlinien der Krankenkassen abgesichert. Wurden die ersten Hospize ausschließlich über Spenden finanziert, bezuschussen die Krankenkassen seit 1997 stationäre Einrichtungen, seit 2002 auch ambulante Hospizdienste. Seit 2007 gibt es auch einen Rechtsanspruch auf eine spezialisierte ambulante Hospizversorgung.
Nicht zuletzt die Sorge vor einer Legalisierung von aktiver Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid haben Politik, Mediziner und Hospizbewegung darin bestärkt, "eine Kultur der Mitmenschlichkeit und Fürsorge" am Lebensende zu entwickeln, wie es DHPV-Geschäftsführer Benno Bolze formuliert. Das 2015 vom Bundestag verabschiedete Hospiz- und Palliativgesetz hat die Bedeutung der Sterbebegleitung noch einmal gestärkt.
Für Hardinghaus steht fest: Insbesondere bei stationären Hospizen ist der Bedarf fast gedeckt. Die Wartelisten würden vielfach kleiner, sagt er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Allerdings gebe es einzelne weiße Flecken, insbesondere in ländlichen Regionen.
In einer Gesellschaft des langen Lebens und veränderter Familienstrukturen wird die Sorge um Sterbende nicht weniger, betont der Verband. Der Gießener Soziologe Reimer Gronemeyer fürchtet allerdings, dass Palliativmedizin und Hospize immer mehr zu einer standardisierten medizinischen Dienstleistung werden. Und damit ihre Seele verlieren. Auch Hardinghaus setzt darauf, dass die Hospizbewegung ihre Dynamik weiter aus dem Ehrenamt schöpft. Sie dürfe sich ihr Engagement nicht von den Strukturen des Gesundheitssystems diktieren lassen. Im Mittelpunkt müssten die Bedürfnisse der Sterbenden stehen.