Der Schoah-Überlebende Albrecht Weinberg hat angekündigt, sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Der Publizist Michel Friedman trat nach jahrzehntelanger Mitgliedschaft aus der CDU aus. Dass die Union in der Migrationsdebatte im Bundestag die Zustimmung der AfD in Kauf genommen hat, führte auch bei Jüdinnen und Juden zu teils heftigen Reaktionen.
Die Wortmeldungen gingen in viele Richtungen: Es würde der Demokratie hohnsprechen, auf "notwendige Anträge" zu verzichten, aus Sorge, die AfD könnte sie ebenfalls gutheißen, so der Chefredakteur der "Jüdischen Allgemeinen", Philipp Peyman Engel, in einem Kommentar. "Ein richtiger Antrag wie das 'Zustrombegrenzungsgesetz' jedenfalls wird nicht dadurch falsch, dass auch die AfD ihm zustimmt."
Keine Wahlempfehlung vom Zentralrat
Engel nannte die AfD eine "im Kern antidemokratische, autoritäre, antiwestliche, rassistische, geschichtsrevisionistische Partei", in der sich Antisemiten zu Hause fühlten. Eben das treibt die jüdische Community ebenso wie viele andere Menschen schon lange und jetzt speziell vor der Bundestagswahl am 23. Februar um.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland gibt keine Wahlempfehlung ab. In einem Brief an die Gemeindemitglieder habe er jedoch geschrieben, "dass es Parteien gibt, die den gesellschaftlichen Diskurs dazu nutzen, um rassistische, antisemitische oder israelfeindliche Ideen zu verbreiten", sagt Präsident Josef Schuster der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die AfD und das BSW leisteten "offensichtlich" keinen Beitrag zum Wohle der Gesellschaft.
Bedrückende Leerstelle
Von den Parteien erwartet Schuster ein "glaubhaftes und belastbares Bekenntnis zum Schutz und zur Förderung jüdischen Lebens". So fordert der Zentralrat etwa, den Aufruf zur Vernichtung von Staaten unter Strafe zu stellen, Gedenkstätten abzusichern und sich bei den Vereinten Nationen stärker für Israel einzusetzen. Ein künftiger Kanzler brauche eine Idee, wie er die Gesellschaft einen könne.

"Die Wahlprogramme zeigen, dass zumindest einige Parteien verstanden haben, dass es mehr Klarheit und Haltung zum Schutz jüdischen Lebens braucht. Andere sind leider auffällig unkonkret." Überall sieht Schuster eine bedrückende Leerstelle: "Während die extreme Rechte und die extreme Linke die Singularität der Schoa und die daraus folgende Verantwortung entweder als 'Schuldkult' oder als postkoloniale 'German guilt' relativiert und teilweise ablehnt, findet die politische Mitte keine klare Sprache gegen diese subtile Verwässerung der Erinnerung an die Schoa."
Anliegen junger Menschen
Welche Antworten haben die Parteien auf Fragen, die junge Jüdinnen und Juden, aber auch die gesamte Gesellschaft betreffen? Dieser Frage möchte unter anderen die Jüdische Studierendenunion Deutschland an diesem Dienstag mit einer Veranstaltung in Berlin mit den Spitzen der Jugendorganisationen von SPD, CDU, Grünen und FDP nachgehen.
Die Präsidentin der Studierendenunion, Hanna Veiler, hatte Ende 2024 kritisiert, dass Jüdinnen und Juden seit dem Terroranschlag der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 in eine Ecke gedrängt worden seien, in der es nur noch die Möglichkeit gebe, sich zu verteidigen. Dabei bleibe die Freiheit, eigene Schwerpunkte zu setzen, auf der Strecke. Das betreffe etwa soziale Fragen, die Debatte über Klausuren an jüdischen Feiertagen und den Aufstieg der AfD.
Zu der Partei äußerte sich Veiler im Deutschlandfunk aus gegebenem Anlass: "Ein sehr, sehr großer Teil der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ist nicht nur in Sorge, sondern auch wahnsinnig wütend, dass es möglich ist, im Deutschen Bundestag des Holocaust zu gedenken und noch am selben Tag dafür zu sorgen, dass Faschist:innen im Bundestag jubeln dürfen." In diesem Urteil sei sich die ganz große Mehrheit der Jüdinnen und Juden einig, auch wenn diese sich in allen Parteien engagierten und daher sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Positionen blickten.
Juden in der AfD - "kleines Grüppchen"
Und dann ist da noch die Gruppe "Juden in der AfD", die kürzlich wegen einer Äußerung von AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel in der Talkshow von Caren Miosga auf den Tisch kam: Fast im vierstelligen Bereich liege die Mitgliederzahl. Der Publizist Ronen Steinke sagte dagegen dem Format "Jung & naiv", es handele sich um ein "kleines Grüppchen", eine "Handvoll" Menschen. Die AfD wolle durch die Gruppe in der Mehrheitsgesellschaft salonfähiger herüberkommen. Steinke sprach von "nützlichen Idioten in einem perfiden Spiel", um Ressentiments vor allem gegen Muslime ungehemmter ausleben zu können.
Auch Schuster findet klare Worte: "Eines der größeren Vorurteile über Juden ist, dass sie alle klug seien, die Gruppierung 'Juden in der AfD' beweist das Gegenteil." Die von Weidel genannte Größenordnung erscheine ihm "sehr übertrieben". Auf die jüdische Gemeinschaft habe diese Gruppe jedenfalls keine Wirkung.