Die Katholische Kirche zwischen Mitgliederschwund und neuen Konzepten

Aufbruch oder Abbruch?

Für die Religionssoziologen befinden sich die Kirchen klar im Abschwung. Die Seelsorger vor Ort und die Bistumsleitungen finden sich mit der Krise aber nicht einfach ab, sondern steuern entgegen.

 (DR)

"Ich bin gegen das Krisengerede ziemlich resistent", sagt Pastoralreferent Martin Kürble. Dem jugendlich wirkenden 45jährigen nimmt man seinen Optimismus sofort ab. Er ist seit gut zwanzig Jahren in der Gemeindeseelsorge tätig. Natürlich weiß auch er um Priestermangel, den Mitgliederschwund und den Rückgang beim Gottesdienstbesuch. Doch davon unterkriegen lassen will er sich nicht: "Wir sehen bei uns in der Gemeinde in Düsseldorf natürlich, dass wir eine Menge ändern müssen – aber das macht die aktuelle Situation ja gerade spannend."

Helene Fischer hat ihm den Rest gegeben

Während Kürble lieber von Umbruch als von Krise sprechen will, hat der ehemalige Pfarrer Thomas Frings aus dem Bistum Münster für sich einen Schlussstrich gezogen. Nie wieder will er als Seelsorger in einer traditionellen Pfarrei arbeiten. Seine Begründung für seinen Abschied aus der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster sorgte im Februar 2016 für großes Aufsehen. "Ich erlebe einen ununterbrochenen Rückzug. Mir fällt es zunehmend schwer, mich in diesem Kontext zu engagieren." – so schrieb sich der Pfarrer bei Facebook seine Enttäuschung über die Kirchenentwicklung der letzten Jahre von der Seele. Er hat genug von glaubensfernen Katholiken, die ihre Kinder trotzdem zur Erstkommunion schicken, obwohl die Kinder noch nicht einmal das Kreuzzeichen machen können. Er möchte keine Hochzeiten mehr erleben, bei denen im Gottesdienst ein Helene-Fischer-Song unabgesprochen von der Braut gesungen wird. Auch die Versuche der Kirche, gegen Glaubensschwund und Strukturkrise vorzugehen, hält er für wenig wirkungsvoll: "Gemeinden, Seminare und Klöster werden geschlossen oder zusammengelegt, um dann meist das Bisherige weiterzumachen. Wir gestalten die Zukunft von Kirche in den Gemeinden immer noch nach dem Modell der Vergangenheit." – dieses bittere Fazit zog Pfarrer Frings und verabschiedete sich von seiner Gemeinde. Priester möchte er bleiben. Doch erstmal nimmt er sich eine Auszeit im Kloster.

Spaß an der Arbeit trotz Gemeindefusion

"Meine Lebens- und Arbeitszufriedenheit wird von Jahr zu Jahr besser", sagt hingegen Pfarrer Karl-Heinz Wahlen aus der Pfarrei Christus König in Köln-Porz. Vieles von dem, was sein Kollege Frings kritisiert, sieht er ähnlich. Doch für ihn käme Aufhören überhaupt nicht in Frage. Für ihn geht es auch um die Blickrichtung angesichts der Kirchenkrise. "Christus ist so vielfältig in der Gemeinde erfahrbar, dass das zwar nicht aufhebt, was weniger geworden ist, aber es gibt eine Perspektive für die Zukunft", sagt Pfarrer Wahlen. Natürlich hat auch er Gemeindemitglieder verloren, als aus fünf Pfarreien eine große wurde. Dass immer mehr Laien Aufgaben in den Pfarreien übernehmen sollen, findet er gut. Aber nicht jeder würde das auch wollen. "Wir können nicht aus jedem Gemeindemitglied einen Hirten machen, weil uns die Hirten fehlen – es gibt auch das Recht, einfach nur Herde zu sein" – warnt Pfarrer Wahlen vor einer zu großen Vereinnahmung der Gemeindemitglieder.

Mit einer Synode aus der Krise

Bischof Stephan Ackermann ist mit seinem Bistum einen ungewöhnlichen Weg gegangen, um der Kirchenkrise etwas entgegen zu setzen. Er rief 2013 eine Synode für das Bistum Trier aus, die Ende April in einem umfassenden Synodendokument ihren Abschluss gefunden hat. Die darin gefassten Beschlüsse der rund 300 Teilnehmer – Priester und Laien - will er umsetzen: "Ich spüre, dass im Bistum das Ergebnis der Synode bei den Menschen mit Hoffnung und Zukunftsperspektive verbunden ist." Die Synode sei ein Wagnis gewesen, habe sich aber gelohnt. Auch im Bistum Trier ist jetzt die Rede vom Perspektivwechsel; dass die Kirche vom Einzelnen her denken soll, sich von überflüssigen Aufgaben trennen soll und verstärkt auf Ehrenamtliche setzt. Wenn Pfarrer Frings sagt, dass die Menschen gar nicht mehr die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen würden, sieht Ackermann das anders. Sie würden vielleicht nicht mehr so klassisch wie früher nach Gott fragen, doch jedem Menschen sei die Frage nach dem Sinn eingeschrieben. Auch die etwa 90 Prozent der Katholiken, die sonntags nicht mehr in die Kirche gehen, hofft Ackermann durch die Synodenbeschlüsse zumindest in Teilen durch die neuen Maßnahmen zu erreichen.

Religionssoziologe sieht eine düstere Zukunft

Der Freiburger Religionssoziologe Prof. Dr. Michael Ebertz hingegen glaubt nicht an einen Aufschwung. Er sieht einen beispiellosen Traditionsabbruch bei den Christen, der Gottesdienstbesuch von jungen Leuten tendiere gegen Null. "Die Sehnsucht nach Sinn bei den Leuten ist da. Aber es sieht so aus, als würde die Kirche es nicht schaffen, diese Sehnsucht zu beantworten." Die Menschen würden sich hingegen ihre Antworten selbst zusammenbasteln.

Martin Kürble aber glaubt an eine Zukunft der Kirche. Der aktuelle Umbruch habe in den 1960er Jahren mit den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils begonnen. "Damals hat die Kirche die Türen und die Fenster aufgemacht, damit frischer Wind hereinkommt. Wenn ich Türen aufmache, muss ich damit leben, dass Menschen durch diese Tür rausgehen", rät der langjährige Pastoralreferent zur Gelassenheit. Gott wolle eben keine eingeschlossenen Christen, sondern er wolle freie Christen, die sich frei für ihn entscheiden würden. "Woran wir uns aber gewöhnen müssen, ist, dass dieses Denken der Volkskirche, auch das Denken der Vollversorgung sich eben ändert."

Hören Sie hier die Sendung zum Thema.

 


Pastoralreferent Martin Kürble (DR)
Pastoralreferent Martin Kürble / ( DR )
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DR