Experte kritisiert Bischöfe beim Thema Missbrauchsaufarbeitung

"Die Kirche hat genügend Vermögen"

Der Sozialpsychologe Heiner Keupp gehört der vom Bundestag eingesetzten unabhängigen Aufarbeitungskommission zu sexuellem Missbrauch an. Er kritisiert die Entscheidungen der katholischen Bischöfe zu diesem Thema deutlich.

Symbolbild: Geld überreichen / © Ponderful Pictures (shutterstock)
Symbolbild: Geld überreichen / © Ponderful Pictures ( shutterstock )

Der Sozialpsychologe Heiner Keupp sieht die neuen Regelungen zu Zahlungen von Schmerzensgeld für Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche kritisch. "50.000 Euro sind für einen Menschen, der sein Leben lang unter den Taten leidet und schwere biografische Nachteile hinnehmen musste, zu wenig, ganz eindeutig" sagte Keupp der "Süddeutschen Zeitung. "Und es wird kompliziert werden, die Schwere des Leids zu bemessen."

Er sei nur deshalb nicht so enttäuscht, "weil ich nichts erwartet habe", so Keupp weiter. "Eine Arbeitsgruppe mit zahlreichen Experten hatte im Auftrag der Bischöfe Entschädigungen von bis zu 400.000 Euro vorgeschlagen. Ich hatte schon gedacht, dass die Kirche dies letztlich ablehnt", sagte der Sozialpsychologe. "Dass das Geld für die Opfer auch aus Kirchensteuermitteln genommen werden soll, werden viele Katholiken nicht akzeptieren. Ich finde das auch nicht in Ordnung. Die Kirche hat genügend Vermögen."

Keupp gehört der vom Bundestag eingesetzten unabhängigen Aufarbeitungskommission an und hat mit dem Institut für Praxisforschung und Projektberatung den Missbrauch im Kloster Ettal untersucht.

Laut Grundsatzbeschluss der Deutschen Bischofskonferenz will sich die Kirche künftig an der zivilrechtlichen Schmerzensgeld-Tabelle und entsprechenden Gerichtsurteilen orientieren. Dies bedeutet derzeit Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall. Dabei will die Kirche stets die Summen "am oberen Ende des Ermessensspielraums" zahlen.

Eine unabhängige Kommission aus Juristen, Psychologen und Medizinern soll die Schwere jedes Falls einschätzen. Das Geld wird von den betroffenen Bistümern und Ordensgemeinschaften gemäß ihren Fallzahlen und ihrer Finanzkraft auf ein zentrales Konto eingezahlt, von wo aus auch die Auszahlung erfolgt. Jedes Bistum soll selbst entscheiden können, ob es auf Kirchensteuermittel oder auf andere Quellen zurückgreift.

Mehr Transparenz bei Missbrauchs-Aufarbeitung

Weiter hofft Keupp auf mehr Transparenz bei kirchlichen Missbrauchsuntersuchungen. "Unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte ist es notwendig, Verantwortliche klar zu benennen", sagte der Experte.

Die Betroffenen, deren Schicksal bisher nicht aufgearbeitet wurde, hätten ein Recht zu erfahren, "was die Kirche gemacht oder eben nicht gemacht hat" erläuterte Keupp. "Das andere ist die Pflicht der kirchlichen Institutionen, ihre eigene Geschichte so zu ergründen, dass sie verstehen, was in ihrem eigenen Haus los ist."

Der 76-Jährige äußerte sich mit Blick auf das vom Erzbistum München und Freising angekündigte neuerliche Gutachten zu sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt. Es soll auf einer bereits vorliegenden Studie von 2010 aufbauen und neben dem Zeitraum von 1945 bis 2010 auch die Jahre bis 2019 einschließen. Anders als der Vorgängerbericht, der aus Datenschutzgründen nie herausgegeben wurde, ist laut Angaben des Erzbistums geplant, die neuen Ergebnisse zu veröffentlichen.

Er erwarte, so Keupp, "dass nicht nur wieder ein paar Zahlen veröffentlicht werden, wie viele Pfarrer wie viele Kinder missbraucht haben, sondern dass die Vorgänge klar benannt werden. Und das Wichtigste ist zu überprüfen, ob die Bistümer verstanden haben, welche Konsequenzen notwendig sind."

Das Erzbistum München und Freising hatte 2010 als erstes deutsches Bistum einen unabhängigen Missbrauchsbericht vorgestellt. Inzwischen haben auch andere deutsche Diözesen unabhängige Kanzleien beauftragt, in Sachen Missbrauch und Verantwortlichen die Akten zu untersuchen. Am Donnerstag will das Erzbistum Köln Ergebnisse vorstellen.

Positiv hob Keupp das Beispiel Hildesheim hervor. Dort habe Bischof Heiner Wilmer das Institut für Praxisforschung und Projektberatung mit einem umfangreichen Gutachten beauftragt, das auch veröffentlicht worden sei. "Daraufhin haben sich Betroffene gemeldet, die bisher nicht bereit gewesen waren zu reden. Sie haben gesehen, dass eine neue Bereitschaft zur Aufklärung da ist", so der Experte. "In Hildesheim wurde Transparenz in hohem Maße hergestellt. Das erwarte ich mir jetzt auch in München."


Quelle:
KNA
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