Gefängnisseelsorger über das Haftleben in Corona-Zeiten

"Die Stimmung wird ohne Ablenkung nicht besser"

Eingeschränkte Freiheiten, Kontaktverbote, häusliche Quarantäne - die Corona-Pandemie fordert die Menschen seit vielen Monaten heraus. Wie mag es da erst Menschen ergehen, die viele Monate oder gar Jahre eingesperrt sind?

Hände hinter Gefängnisstäben / © sakhorn (shutterstock)
Hände hinter Gefängnisstäben / © sakhorn ( shutterstock )

KNA: Viele Menschen müssen derzeit klarkommen mit dem Gefühl des Eingesperrtseins und Ausgeschlossenseins. Was "macht" es mit einem Menschen, seine Freiheit zu verlieren?

Heinz-Bernhard Wolters (Vorsitzender der katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland): Die Situation ist schwer vergleichbar. Natürlich sind wir draußen eingeschränkt. Aber wir können uns immer noch frei bewegen, können - wenn auch von Bundesland zu Bundesland verschieden - Kontakte pflegen. Wir können entscheiden, ob und wann wir Besuch bekommen, einkaufen und mit Leuten zusammenkommen. Diese Frage stellt sich für Inhaftierte überhaupt nicht.

KNA: Wie schwer fällt ihnen die Eingewöhnung?

Wolters: Das ist sehr unterschiedlich. Für Menschen aus einem halbwegs intakten Umfeld, die noch nie etwas mit Gefängnis zu tun hatten, bricht eine Welt zusammen. Nach dem ersten Schock, dass die Polizei vor der Tür steht und ihn mitnimmt, folgt im Gefängnis der nächste Schock. Wenn sie in Haft sind, können sie nicht eben mal jemanden anrufen oder besuchen. Kontakte sind sehr reduziert, das meiste Leben spielt sich in der Zelle ab. Das ist für viele sehr belastend.

KNA: Können Sie als Gefängnisseelsorger das Einleben begleiten?

Wolters: In dem Gefängnis, in dem ich arbeite, haben wir keine Untersuchungshaft, also haben die Menschen bei uns schon Hafterfahrung. Wir Seelsorger gehen zweimal pro Woche durch die Aufnahmestation, von Zelle zu Zelle, und sprechen dann die Neuzugänge an. Bei uns in der JVA Meppen bieten wir auch eine sogenannte Zugangsgruppe an, um Isolierung abzufedern. Dabei können sie dann alle zwei Wochen in unseren Kirchenbereich kommen. Dort setzen wir uns zusammen und kommen ins Gespräch, so dass uns die neuen Häftlinge ein bisschen kennenlernen können. Aber jede Anstalt hat diesbezüglich eigene Regelungen.

KNA: Wie hat Corona das Leben im Gefängnis verändert?

Wolters: Neuankömmlinge sind auch mit negativem Corona-Test zunächst einmal für sich alleine; und erst nach einem weiteren negativen Test kommen sie in eine Trennungsgruppe, die zum Beispiel zusammen Freistunde hat. Um sicher zu gehen, dass das Virus nicht eingeschleppt wird, sind sie zwei Wochen in dieser Trennungsabteilung. Es gibt nur Einzelfreistunden, ohne Kontakt mit anderen, außer zu den Vollzugsbeamten. Etwas leichter fällt der Haftbeginn, wenn mehrere Gefangene an einem Tag neu ankommen. Sie bilden dann eine Gruppe, so sind wenigstens Kontakte untereinander möglich.

Ich finde es fragwürdig, wenn derzeit Inhaftierte wegen einer Geldstrafe unter Quarantänebedingungen eingesperrt werden. Ich würde mir wünschen, unter diesen erschwerten Bedingungen die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe auszusetzen - das würde den Justizvollzug und die Bediensteten sehr entlasten.

KNA: Welche weiteren Einschränkungen gibt es?

Wolters: Besuchsmöglichkeiten sind eingeschränkt oder finden gar nicht mehr statt. Am gravierendsten erlebe ich das gerade bei einem alleinerziehenden Vater, dessen Kind in einer Pflegefamilie lebt. Er hat sein Kind seit März nicht mehr in den Arm nehmen und sehen können. Bei uns in Niedersachsen ist immerhin Telefonieren in den Zellen möglich, und die Häftlinge können aus ihren Zellen heraus anrufen, wenn sie Geld haben. In manchen anderen Bundesländern gibt es nur ein Telefon auf einem Flur.

KNA: Sind Besuche in Ihrer JVA noch möglich?

Wolters: Vor Corona gab es in dem Besuchszimmer keine Trennscheiben, jetzt dürfen maximal zwei Erwachsene und bis zu drei Kinder kommen, mit Trennscheibe dazwischen und Masken auf beiden Seiten. Die Erfahrungen zeigt aber, dass die Angehörigen mit Kindern kaum kommen, und meistens nicht mehr als zwei Personen. Es erschwert natürlich die Kommunikation, wenn mehrere Besuche parallel stattfinden. Die Angehörigen nutzen lieber den Skype-Besuch. Für Kinder ist nämlich sehr schwer immer, nur auf einem Stuhl sitzen zu müssen. Freigang ist auf ein Minimum runtergefahren worden. Die Stimmung wird natürlich nicht besser, wenn die Inhaftierten kaum Abwechslung haben und dauernd um sich selber kreisen.

KNA: Andererseits sind sie im Gefängnis vielleicht auch vor Corona geschützt...

Wolters: Jeder Kontakt nach außen birgt die Gefahr, dass das Virus eingeschleppt wird. Auch wir Seelsorger sind eine potenzielle Gefahrenquelle. Keiner meiner rund 300 katholischen Kollegen möchte das Virus in die Anstalt reintragen. Vor Corona hieß es ja immer, die Gefahr gehe von den Gefangenen aus. Aber nun geht die Gefahr von den Leuten aus, die wie wir von außen hineinkommen.

KNA: Hat sich Ihre Arbeit während der Pandemie verändert?

Wolters: Nicht nur unter Corona ist Zuhören ungemein wichtig. Immerhin dürfen wir noch unsere Spiele-, Bibel- und Gesprächsgruppe anbieten, allerdings - anders als im Sommer und bis zum Teil-Lockdown im November - ohne Ehrenamtliche von außen. Das ist schade, weil sie andere Perspektiven und Impulse einbringen, und man sieht auch mal ein anderes Gesicht.

Jetzt bin ich das Sprachrohr und die Verbindung zwischen beiden Seiten: Ich rufe jemanden an oder schreibe, und ich übermittle auch Grüße in beide Richtungen. Einen direkten Austausch gibt es nicht, weil den Insassen die Kontaktdaten der Ehrenamtlichen nicht bekannt sind.

KNA: Ist Gefängnisseelsorge durch Corona noch wichtiger geworden?

Wolters: Es wird schon wahrgenommen, dass wir Seelsorger als Ansprechpartner wichtig sind, um Druck raus zu nehmen. Wir stehen besonders den Inhaftierten, aber auch den Bediensteten für Gespräche zur Verfügung, etwa bei Todesfällen. Der Austausch mit den Bediensteten wegen der derzeitigen Situation ist wichtig. Wir nehmen die Sorgen der Inhaftierten und Bediensteten war und wenden uns auch an die Anstaltsleitung, um auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Schließlich sind wir sind Gefängnisseelsorger und nicht Gefangenenseelsorger.

Wir merken, dass beide Seiten diese besondere Zeit ziemlich belastet. Ein Anstaltsleiter sagte neulich zu mir, es bedrücke ihn sehr, die Menschen durch die Corona-Beschränkungen wegsperren zu müssen. Viel lieber möchte er ihnen bei der Aufarbeitung ihrer Straftat helfen.

Das Interview führte Angelika Prauß.

 

Quelle:
KNA