Ein Hamburger Gefängnisseelsorger berichtet

Wie Häftlinge unter der Corona-Krise leiden

Viele Häftlinge müssen schon seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr mit erheblichen Einschränkungen zurechtkommen. In Hamburgs größtem Gefängnis entfallen sogar die Gottesdienste.

Autor/in:
Michael Althaus
Blick auf eine Gefängniszelle / © sakhorn (shutterstock)
Blick auf eine Gefängniszelle / © sakhorn ( shutterstock )

Die Gottesdienste in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Billwerder sind für die Häftlinge mehr als einfach nur eine Gebetszeit. Sie bieten die Möglichkeit, mal rauszukommen und andere Gefangene zu treffen. Gewöhnlich gibt es nach jeder Feier ein Kirchencafe, bei dem sich die Besucher bei einer Tasse Kaffee und Gebäck unterhalten können. Die 40 Plätze reichen schon unter Normalbedingungen nicht aus.

Doch in Corona-Zeiten fällt all das weg. In Hamburgs größtem Gefängnis mit derzeit knapp 700 Insassen finden bereits seit März keine Gottesdienste mehr statt. "Es gibt zwar kein Verbot", erläutert der katholische Gefängnisseelsorger Richard Raming (48).

Allerdings müssten die Häftlinge der verschiedenen Stationen in Kohorten getrennt und die Mindestabstände eingehalten werden. "Unter diesen Bedingungen könnten wir die Gottesdienste nur in einem so kleinen Rahmen feiern, dass wir massenhaft Termine anbieten müssten, um die große Nachfrage zu befriedigen." Daher entfallen die Feiern im Moment ganz - zum Leidwesen der Gefangenen und auch der Seelsorger. Denn gerade in Pandemie-Zeiten ist der Bedarf nach Abwechslung und Begegnung besonders hoch.

Nur kurze Begegnungen hinter einer Trennscheibe

"Viele Häftlinge leiden unter den Corona-Maßnahmen", schildert Raming, der seit 17 Jahren die katholische Gefängnisseelsorge in Hamburg leitet. So sind die Besuchsmöglichkeiten derzeit aus Infektionsschutzgründen in allen Haftanstalten in der Hansestadt eingeschränkt. Wenn überhaupt, sind die Begegnungen nur kurz und mit einer Trennscheibe möglich. Umarmungen und Berührungen entfallen.

Auch Angebote wie Rechts- oder Drogenberatung sind seit März vielfach eingeschränkt. Zum Ausgleich erhielten die Gefangenen in Hamburg Handys, mit denen sie Kontakt zu Angehörigen halten konnten. Allerdings endete die Maßnahme Ende September und die Mobiltelefone mussten wieder abgegeben werden. Nur einige wenige Insassen, die dagegen klagten, dürfen sie bis zum Abschluss der Verfahren behalten.

Große Angst vor Coronavirus

Manche Häftlinge haben große Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken. "Viele Gefangene haben erhebliche Vorerkrankungen und sind deshalb besonders gefährdet", berichtet Raming. All das ist für viele Insassen offenbar schwer auszuhalten: "Zwar ist es bislang ruhig geblieben, aber die Unzufriedenheit wächst."

Die fehlenden Gottesdienste in Billwerder versuchen die Seelsorger mit Einzelgesprächen auszugleichen. Raming schätzt, dass die die Nachfrage nach solchen Treffen in den vergangenen Monaten um rund 50 Prozent gestiegen ist. "Teilweise feiern wir auch kleine Gottesdienste auf den Zellen." Bibeln, Rosenkränze und Heiligenbilder seien in diesen Zeiten besonders gefragt. "Viele brauchen solche Symbole, die ihnen Halt geben."

Weil es auch zu Weihnachten keine kirchliche Feier in dem Gefängnis geben wird, plant Raming gemeinsam mit seinem evangelischen Kollegen eine besondere Aktion: Zwischen dem Ersten Advent und dem Dreikönigstag soll jeder Häftling, auf Wunsch eine Kerze und einen kleinen Text zur Meditation erhalten. "Das soll wenigstens ein kleiner Trost sein." Schon jetzt stößt das Projekt auf große Resonanz: "Wir haben bereits stapelweise Anträge erhalten." Der Theologe schätzt, dass 400 bis 500 Häftlinge teilnehmen. "Das ist die Zahl, die wir sonst zu Weihnachten mit den Gottesdiensten erreichen."

Angesichts der Corona-Lage sorgt sich Raming vor allem um die sozialen Beziehungen der Häftlinge. Oberstes Gebot müsse sein, Kontakte zu den Familien und zu anderen Menschen draußen aufrecht zu erhalten. "Das ist der wesentliche Faktor für die Resozialisierung." Die Handys seien eine gute und richtige Maßnahme gewesen, die unbedingt verlängert werden müsse. Wie so viele sehnt der Seelsorger das Ende der Pandemie herbei: "Ich freue mich auf den Tag, an dem wir in Billwerder wieder den ersten Gottesdienst feiern können." Er verspricht: "Da wird es ganz besonders leckere Kekse geben."

 

Quelle:
KNA