Pfarrerin erinnert an den Anschlag in Halle

"Die Welt hat stillgestanden"

Am 9. Oktober 2019 tötete ein Rechtsextremist in Halle zwei Menschen. Wie Pfarrerin Ulrike Scheller den Tag erlebte und der Anschlag die Stadt verändert hat, erzählt sie im Interview.

Eine Gedenktafel im Fußweg vor einem Imbiss in Halle/Saale erinnert an die Opfer des Halle-Attentats / © Hendrik Schmidt (dpa)
Eine Gedenktafel im Fußweg vor einem Imbiss in Halle/Saale erinnert an die Opfer des Halle-Attentats / © Hendrik Schmidt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Menschen sich heute aufmachen, auch in Richtung der Kirche? 

Ulrike Scheller (Pfarrerin der evangelischen Citykirche Halle und Organisatorin der Gedenkveranstaltung "Halt mal still"): Überhaupt nicht. Es gibt heute ganz viele Veranstaltungen in Halle, natürlich um die Mittagszeit, weil da der Anschlag war. Das kann ich gar nicht einschätzen, aber das finde ich auch gar nicht so maßgeblich. Mir ist es wichtig, dass die Kirche auf ist, dass wir etwas anbieten und dass ein Gedenken stattfindet für die Getöteten und für alle, die seitdem verletzt und traumatisiert sind. 

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie persönlich diesen 9. Oktober 2019 erlebt? Wo hat Sie die Nachricht vom Anschlag auf die Synagoge erreicht? 

Scheller: Es war zu Hause kurz nach Mittag. Ich wollte da eigentlich gerade ins Büro fahren, mitten auf den Markt und bekam einen Anruf "Bleib bloß zu Hause". Ich hab das gehört und da ging es mir wie, glaube ich, ganz vielen anderen, dass man das erst mal überhaupt nicht verstehen kann und furchtbare Angst kriegt. Und die Welt einfach still gestanden hat. Ich habe dann überlegt: Wen kennst du, wer wohnt da in der Nähe, wen kannst du anrufen? Das war irgendwie alles ganz erschreckend und verschwommen und ganz lange nicht klar, wie lange die Gefahr da noch andauert und wie es den Menschen geht. 

DOMRADIO.DE: Ihre Kirche wurde ganz schnell eine der ersten Anlaufstellen für Trostsuchende, auch am Tag des Anschlags. Was sagt man als Seelsorgerin den Menschen in so einem Moment? 

Scheller: In jenem Moment war es mir wichtig, die Tür aufzumachen. Also zu sagen: Leute, kommt her. Wer mag, wer kann, wer die Gemeinschaft braucht und sucht, kommt her und wir schauen erst mal, was ist so. Wir nehmen erst mal wahr, wer wir jetzt gerade sind und was hier mit der Stadt passiert. So viel sagen ist da gar nicht dran im ersten Moment, sondern erst mal da sein, schweigen und trauern. Das war ja auch noch alles ganz frisch und unbegreiflich. 

DOMRADIO.DE: Wie hat das alles, was da am 9. Oktober vor zwei Jahren passiert ist, das Leben in Ihrer Gemeinde verändert? 

Scheller: Also ich glaube, das kann ich von der Stadt so insgesamt sagen: Dass natürlich für Christinnen und Christen, natürlich für die jüdische Gemeinde und für die Menschen der Stadt Halle der Tag so ein Bruch war und eine riesengroße Wunde gerissen hat. Wo dann natürlich wieder viel Alltag dazwischen kommt bis zum ersten Jahrestag, bis zum zweiten Jahrestag, aber trotzdem natürlich keine Gemeinde und keine Stadtgesellschaft nach dem Attentat, die gleiche ist wie vorher.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich - welche Botschaft soll von den Gedenkveranstaltungen in Halle heute ausgehen? 

Scheller: Zum einen finde ich es ganz wichtig, dass man tatsächlich gedenkt und die Welt mal kurz anhält für ein paar Momente. Da trägt natürlich einiges wieder deutlicher zutage, wenn man das mal wegschiebt, was gerade nicht dran ist.

Meine Botschaft ist eigentlich: Seid Menschen, seid menschlich. Egal von welchem Hintergrund man kommt, ob man gläubig ist oder nicht. Seid Menschen, respektiert und lebt miteinander! Das als Stadtgesellschaft, als Gesellschaft, als Welt zu versuchen, ist ja eine riesengroße Aufgabe, wie mir merken. 

Das Interview führte Carsten Döpp. 


Pfarrerin Ulrike Scheller. / © Ulrike Scheller (privat)
Pfarrerin Ulrike Scheller. / © Ulrike Scheller ( privat )
Quelle:
DR