"Man muss das Feuer neu entfachen – nur etwas Holz nachlegen", sagt Hans-Jürgen Wertens ganz ohne Pathos. Trotzdem hilft dieses Bild, seine Einstellung zu verstehen. Der Mittsiebziger spricht über seine bedingungslose Liebe; von der Liebe zu seiner seit neun Jahren an Demenz erkrankten Frau Maria, die er auch nach der Diagnosestellung nicht im Stich gelassen hat. "Ich hatte die Wahl, den Weg egoistisch oder gemeinsam weiterzugehen."
Wertens entschied sich für die zweite Variante. Statt seine Frau in ein Pflegeheim zu geben, betreut er sie lieber selbst: 24 Stunden am Tag. "Ich habe damals alles aufgegeben, mich um 180 Grad gedreht und eine neue Welt entdeckt", sagt er rückblickend. Diesen Schritt hat er nicht bereut. Denn in klaren Momenten, so berichtet er, sage seine Frau: "Die schönsten Tage haben wir jetzt."
Das seit 52 Jahren verheiratete Paar lässt sich die Freude am Leben nicht nehmen. Das ist den beiden, die an diesem Tag im Maternushaus ständig in engem Körperkontakt zueinander und ein sichtlich eingespieltes Team sind, deutlich anzusehen. Es sei nun zwar alles anders, aber keineswegs schlechter, meint Wertens. Über den Alltag mit einem Menschen an der Seite, der von Tag zu Tag mehr von diesem langen gemeinsamen Weg vergisst, hat die Studentin Anna Clarks einen einfühlsamen Film gedreht, der bei der Abschlussveranstaltung zu dem Projekt "Mensch.Demenz.Kirche" vor 60 haupt- und ehrenamtlich engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Seniorenarbeit gezeigt wird. Was der Film vermitteln will: dass auch ein Leben mit Demenz wertvoll und reich ist, wenn sich auch die Formen der Kommunikation verändern. "Wir lieben uns, ganz klar", stellt Wertens am Ende dieses Beitrags mit großer Selbstverständlichkeit fest und wiederholt es gleich noch einmal: "Wir lieben uns einfach."
Eine demenzsensible Haltung entwickeln
Was bleibt vom Menschen, wenn augenscheinlich alles verschwindet? Was passiert mit der Seele, dem Geist, dem inneren Kern, der eine jede und einen jeden einzigartig werden lassen? Was passiert mit der Beziehung zu Gott? Solche und ähnliche Impulsfragen beschäftigen die Teilnehmer an diesem Tag im Kölner Maternushaus, der – weil es bei Menschen mit Demenz vermehrt um sinnliche Wahrnehmungen geht – sehr bewusst unter der Überschrift steht: Verkosten mit Leib und Seele. Die Impulse – wie solche Fragen, die dem Wesentlichen auf den Grund gehen wollen – stehen auf einzelnen Karten, die zu einer ganzen Sammlung gehören und von einer theologischen Expertengruppe in der Altenpastoral zusammengestellt wurden. "Zum inneren Kern" heißt programmatisch das Set, mit dessen Hilfe der intensive Austausch untereinander, aber auch die Reflektion der eigenen Arbeit mit Demenz-Erkrankten gefördert werden soll.
Immer aber auch geht es darum, das eigene Engagement im Kontext eines gelebten Glaubens zu betrachten und eine Haltung zu entwickeln, die sensibel gegenüber Menschen mit Demenz ist. Denn in den unterschiedlichen Workshop-Einheiten geht es auf der Zielgeraden bei "Mensch.Demenz.Kirche" vor allem darum, sich gegenseitig vom Engagement für Menschen mit Demenz in den Gemeinden oder Institutionen und Verbänden zu berichten, Ideen auszutauschen, Anregungen aufzugreifen, sich inspirieren zu lassen und selbst Neues auszuprobieren. Das aber mit Leidenschaft für ein Thema, das – wie es Projektleiterin Brigitte Döpper formuliert – in den Gemeinden jetzt "dran" ist.
Von den Anregungen anderer profitieren
Marlis Kurth und Roswitha Wingender aus der Kirchengemeinde St. Stephanus in Leverkusen arbeiten beispielsweise in ihrer Pfarrei in einem "Kaffeestübchen", wo sie mit alten Menschen mit und ohne Demenz singen oder Spiele machen. Trotz dieses Seniorenangebots finden sie, dass Menschen mit Demenz noch viel zu wenig im Blick sind. "Für die Jugend wird in der Kirche immer viel getan, aber ein barrierefreier Zugang oder Gebetbücher mit großer Schrift anzuschaffen, kann schon mal zum Problem werden", geben sie zu bedenken. Sie profitieren von den vielen Anregungen, die sie bei diesem Treffen im Gespräch mit den anderen Ehrenamtlern bekommen.
Auch Pfarrer Alexander Wimmershoff, in Königswinter unter anderem Ansprechpartner in Sachen Seniorenarbeit, greift das Thema "Alter" immer wieder in Gottesdiensten oder in den Seniorenkreisen seines Seelsorgebereiches auf und ist dankbar für jede neue Idee, die er in Köln bekommt. Er versteht die Arbeit mit Menschen, die an Demenz leiden, als seelsorgliche Herausforderung. "Nicht immer fällt es leicht, den richtigen Ton zu finden und auch die Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation auszuloten." Schulungen des Seelsorgeteams seien da sicher hilfreich, gerade wenn man nicht täglich mit diesem Thema befasst sei, sagt er. Ihm hilft, dass er durch die Pflege seiner Eltern im eigenen Pfarrhaus schon mal "hautnah" am Thema dran war und dadurch viele Erfahrungen sammeln konnte.
Menschen mit Demenz nicht verstecken
Helene Maqua, Leiterin der Abteilung Altenhilfe beim Diözesancaritasverband, interessiert sich qua Amt für die Auswertung des Projektes. Was hat es gebracht? Wo finden sich bereits wertvolle Ansätze in den Gemeinden? Als Hauptamtliche will sie sich mehr mit den Ansprechpartnern in den Gemeinden, aber auch in den Senioreneinrichtungen verknüpfen und zu deren Wahrnehmung als seelsorgliche Orte beitragen. "In jedem Fall hat das Projekt dazu beigetragen, eine größere Sensibilität für das Thema ‚Demenz’ zu wecken, auch wenn ein Großteil der Gemeinden auf diesem Gebiet noch Nachholbedarf hat", stellt sie fest.
Es dürfe nicht darum gehen, dass Menschen mit Demenz versteckt würden oder das Thema als solches ganz und gar verharmlost werde. "Unser Anliegen ist, dass sie präsent sein dürfen." Maqua betont, dass der Diözesancaritasverband bislang viele unterschiedliche Demenz-Projekte angestoßen habe und seinen Fokus verstärkt auf diese Gruppe richte. Sie unterstreicht: "Wir setzen uns für eine selbstbestimmte Teilhabe in den Altenhilfe-Einrichtungen ein."
Kompetenzstärkung ist wichtig
Imke Valentin ist seit 20 Jahren ehrenamtliche Hospizhelferin in Frechen, wo sie in dem dortigen Demenz-Café in der eins zu eins-Betreuung arbeitet. "Wir schauen auf das, was noch geht, und nicht auf die Einschränkungen und Defizite", erklärt sie. Auch wenn sie als freie Mitarbeiterin des Erzbistums mit der Ausstellung "Erzähl mal…" in Senioreneinrichtungen unterwegs ist, verfolgt sie mit ihrer Erinnerungs- und Biografiearbeit diesen Ansatz. "Menschen mit Demenz haben mitunter noch ein gutes Langzeitgedächtnis, über das Erinnerungen abrufbar sind. Darüber wecken wir vieles, was verschüttet scheint, und stärken so die Kompetenz dieser alten Menschen." Kompetenzstärkung sei bei jedem wichtig, um wie viel mehr bei Menschen mit Demenz, sagt Valentin.
Wirkungsorientiert und dialogisch
"Alle diese Menschen, die sich in den vergangenen drei Jahren an unserem Projekt beteiligt haben, konnten dazu beitragen, das Thema ‚Demenz’ mehr an die Oberfläche zu bringen und es dadurch auch für andere frei zu geben", resümiert Brigitte Döpper sichtlich zufrieden. "Ich bin dankbar für jeden, der gesagt hat: Mir ist dieses Thema wichtig. Denn unsere Arbeit soll letztlich Auswirkungen auf die Menschen mit Demenz haben." Daher sei das Projekt auch dialogisch angelegt worden, um Vertreter aus sehr unterschiedlichen Bereichen – aus Theologie, Bildung, Altenhilfe oder auch Öffentlichkeitsarbeit – an einen Tisch zu holen.
"Als wir begonnen haben, haben wir uns gefragt, warum so wenige Gemeinden Menschen mit Demenz auf dem Schirm haben, warum das Thema geradezu stigmatisiert werde und in den Gemeinden trotz des demografischen Wandels und seinen eindeutigen Erhebungen dazu kaum präsent ist." Mit der Zeit habe sie dann festgestellt, dass es sehr wohl akut sei, die meisten aber nicht wüssten, wie es anzugehen sei. Dabei könne man auch ohne großen Aufwand viel bewegen: beispielsweise – analog zum Pilgerweg bei der Domwallfahrt, an der in diesem Jahr bereits zum dritten Mal Menschen mit Demenz teilnehmen können – die Beteiligung von Altenheimbewohnern an der örtlichen Fronleichnamsprozession.
Nun gelte es, trotz des offiziellen Endes des Projektes diesen Weg weiterzugehen. "Das kann auch in kleinen Schritten geschehen, bei denen die vielen nachhaltigen Materialien, die wir entwickelt haben, helfen können", sagt Döpper. "Es geht weiter, weil bei unserem Projekt viele mit dabei waren, denen Menschen mit Demenz und ihre Teilhabe an Kirche ein echtes Herzensanliegen sind."