DOMRADIO.DE: Frau Aldenhoff, drei Jahre lang haben Sie an dem Projekt "Demenz.Mensch.Kirche" gearbeitet. Was stand am Anfang Ihrer Überlegungen, und gab es gleich ein definiertes Ziel?
Ute Aldenhoff (Referentin Öffentlichkeitsarbeit und Altenpastoral): Um ein Projekt eingrenzen zu können, muss man erst einmal genau die Ausgangslage studieren. In der Altenpastoral beobachten wir immer aufmerksam, was innerkirchlich und gesellschaftlich gerade passiert. Aus dieser Wahrnehmung heraus haben wir das Projekt "Mensch.Demenz.Kirche" entwickelt, weil wir hier im Kontext von Pflegenotstand, Generationengerechtigkeit und sorgenden Kirchengemeinden einen dringenden Handlungsbedarf für uns erkannt haben. Es gibt einen demografischen Anstieg von Menschen, die von Demenz betroffen sind: Erkrankte, deren Angehörige, das jeweilige Umfeld. Diese Entwicklung haben wir analysiert und als unüberhörbare Anfrage an uns im Bistum verstanden. Unser Ansatz war und ist, eine größtmögliche Teilhabe dieser Menschen am Leben in den Gemeinden zu ermöglichen.
Daraus haben sich die Projektziele für die vielen unterschiedlichen Ebenen entwickeln lassen. Beispielsweise hatten wir das Ziel, Resonanz- und Impulsräume auf hauptamtlicher Ebene zu eröffnen, um ein theologisch-pastorales Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen. Aber es gab auch die Erkenntnis, zusätzlich über die Reflekton des eigenen Selbst einen Bewusstseinswandel zu erreichen. Dabei war uns vor allem wichtig, Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen nicht ausschließlich als Problem zu sehen. Und schnell war klar, dass wir für eine gelingende Realisierung unseres Vorhabens die Pastoralen Dienste in den Gemeinden mit ins Boot holen müssen, aber auch die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter am Ort, die teilweise schon jetzt ein großes Engagement in der Seniorenarbeit zeigen.
DOMRADIO.DE: Warum, glauben Sie, ist das Thema "Demenz" in der Mitte der Gesellschaft und auch in der Kirche noch nicht wirklich angekommen, obwohl doch so viele Menschen davon betroffen sind und die Zahl von Demenz-Erkrankten weiter stiegen wird?
Aldenhoff: Das würde ich gerne differenzierter betrachten. Denn ich persönlich habe während des Projektverlaufs sehr wohl wahrgenommen, dass dieses Thema bereits eine starke Präsenz hat. Allerdings konzentriert sich die Berichterstattung in den Medien weitestgehend auf medizinisch-pflegerische Aspekte, während zeitgleich in den sozialen Netzwerken ganz andere Facetten dieses Themas in den Dialog gebracht werden: Hier gibt es eine starke Vernetzung von Betroffenen, einen offenen Austausch darüber, was im Alltag mit Menschen mit Demenz gelingt und welchen Herausforderungen und Chancen man begegnen kann. Dieser ganz andere Fokus kann helfen, die bestehenden gesellschaftlichen Ängste zu reduzieren. Es scheint also ein Unterschied zu sein, ob ich relativ anonymisiert über ein Thema, das mich sehr existenziell betrifft, kommuniziere, oder ob ich in meinem direkten Umfeld darüber sprechen soll. Hier ist Kirche gefragt, Räume zu schaffen, in denen Demenz sichtbar gemacht werden kann – ohne zu werten oder zu polarisieren. Dafür braucht es eine qualifizierte Seelsorge.
DOMRADIO.DE: Sie wollten eine Haltungsänderung bewirken, ein theologisch-pastorales Bewusstsein für Menschen mit Demenz innerhalb der Kirche und verwenden den bereits bestehenden Begriff der "demenzsensiblen Kirchengemeinde". Was bedeutet das konkret?
Aldenhoff: Es existiert im Erzbistum bereits eine eigene Initiative für das Konzept zur Initiierung und Unterstützung von demenzsensiblen Gemeinden. Der Begriff ist also nicht neu. Vielmehr haben wir ihn aufgegriffen, um unserem Projekt die Abstraktion zu nehmen und ihm eine breitere Öffentlichkeit zu geben. Mit unseren seelsorglichen Impulsen wollen wir den Menschen vor aller Leistung und trotz seiner Einschränkungen sehen. Menschen mit Demenz sind wichtige Gemeindemitglieder. Das muss klar werden. Für ein solches Verständnis wollen wir Bereitschaft wecken. Als Teil der Gemeinde eröffnen Menschen mit Demenz neue Perspektiven auf unser eigenes Leben und auf Kirche sein. Im Umgang mit ihnen lernen wir, dass sich der Sinn des Lebens nicht allein durch Leistung definiert, sondern er auch geschenkt und empfangen wird durch die Gnade Gottes.
DOMRADIO.DE: Nun endet dieses Projekt. Sie haben 60 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter, die Lust hatten, eigene Ideen zum Thema Kirche und Demenz zu entwickeln, zu einer Abschlussrunde ins Maternushaus eingeladen, bei der noch einmal das in diesen drei Jahren gewachsene Engagement deutlich wurde. Was für Menschen sind dieser Einladung gefolgt?
Aldenhoff: Ehrlich gesagt, eine ganz bunte Mischung. Darunter waren viele, die sich bereits in Seniorenprojekten engagieren. Es gab Teilnehmer aus Alteneinrichtungen und Verbänden, aus den Familienbildungsstätten, der Caritas, aus Seniorennetzwerken, von den Maltesern und auch Medienvertreter. Dazu zählten ausgebildete Begleiter in der Seelsorge, Pastorale Dienste, Vertreter aus der Pflege sowie Angehörige. Diese Projektförderer und Akteure sind – auch berufsübergreifend – ein Stück Weg mit uns gegangen. Alle, wie sie da waren, stellten eine Bereicherung dar. Das macht mich rückblickend sehr dankbar.
DOMRADIO.DE: In Kürze wird eine Publikation erscheinen, in der wichtige Gedanken, Ideen und Anregungen noch einmal gebündelt sind. Können Sie mehr verraten?
Aldenhoff: Unter dem Titel "Demenz – Pastorale Reflektionen" wird es ein Dialogbuch geben. Das ist nicht nur eine Zusammenfassung dessen, was es an Ideen und Anregungen in diesen letzten drei Jahren gab, sondern es motiviert, den nun einmal begonnenen Dialog in andere Lebenskontexte weiterzutragen. Das Buch lässt neben fachlichen Texten, Essays und persönlichen Reflektionen einzelner Autoren zudem freie Räume, auch die eigenen Überlegungen und Impulse festzuhalten und ihnen so über einen längeren Zeitraum folgen zu können. Es ist ein Buch für jede und jeden, der das Thema "Demenz" für sich entdecken oder vertiefen möchte.
DOMRADIO.DE: Die erste Etappe ist nun erreicht. Die drei Jahre sind vorbei. Doch Ihre Mühen sollen nicht verdunsten. Wie kann der Weg zu mehr Sensibilität gegenüber Menschen mit Demenz weitergehen?
Aldenhoff: Da lässt sich nur schwer eine Prognose abgeben. Es ist – wie gesagt – ein Weg, den wir aufgezeigt haben und auf dem sich beim gemeinsamen Unterwegssein viele Menschen von dem Thema haben berühren lassen. Wir haben die Eckpfeiler gesetzt: mit einer Wanderausstellung, die aus 36 Fotografien von Michael Uhlmann besteht und ausgeliehen werden kann, mit unserem Karten-Set "Der innere Kern", das zum Dialog animiert, und mit dem Pilgerweg anlässlich der Dreikönigswallfahrt, der auch in diesem September wieder Menschen mit und ohne Demenz ermöglicht, an diesen traditionellen Bistumsfeierlichkeiten teilzunehmen. Auf diese Initiative hat es beim ersten Mal 2017 eine so große Resonanz gegeben, dass wir sie nun schon zum dritten Mal anbieten. Menschen mit Demenz leben mitten unter uns. Deshalb ist auch ihr Platz gerade da, wo sich kirchliches Leben abspielt. Denn gemeinsam sind wir das Volk Gottes. Das ist unser Auftrag. Und jeder gehört ausnahmslos dazu.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.