Dirigent erklärt Musik bei Konzert zum Jahresende

Groove beginnt mit den Musikern selbst

Das Gürzenich Orchester Köln lädt zum Silvesterabend und zu lateinamerikanischer Musik ein. Mariano Chiacchiarini dirigiert das Konzert in der Kölner Philharmonie. Er erklärt, warum die Musik diesmal weniger christlich aufgeladen ist.

Klassische Musik / © SirChopin (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Ist das Konzert morgen schon ausverkauft? 

Mariano Chiacchiarini (Dirigent): Lateinamerikanische Musik ist sehr beliebt und da sind die Konzerte häufig schnell ausverkauft. Dazu kommt noch, dass es das letzte Konzert des Jahres ist. Ein Favorit. Das Konzert ist schon seit Anfang November ausverkauft, aber die Philharmonie bietet zwei Stunden vor dem Konzert noch Stehplätze an. 

Wer also sehr viel Lust auf das Konzert hat, kann noch ein Ticket bekommen. Das sind aber wirklich die einzigen Plätze, die es dann noch gibt. Ich habe vor ein paar Monaten geschaut, sogar die Rollstuhlplätze waren alle weg. Das war erstaunlich. Wir freuen uns sehr auf eine volle Philharmonie.

Innenraum der Kölner Philharmonie / © Matthias Baus
Innenraum der Kölner Philharmonie / © Matthias Baus

DOMRADIO.DE: Sie spielen gemeinsam mit dem Gürzenich Orchester Köln das Silvesterkonzert in der Philharmonie. Ginastera, Marquez und Piazzolla. Was können Sie uns über das Programm sagen? 

Chiacchiarini: Wir haben viele verschieden Stücke, die alle aus dem Topf der lateinamerikanischen Musik kommen. Wir sind in Kuba mit der "Conga del Fuego” und dem "Danzon No 2” von Arturo Marquez, einem mexikanischen Komponisten. Danach geht es mit Astor Piazzolla nach Buenos Aires mit Las Cuatro Estaciones Porteñas, ursprünglich arrangiert für ein Quintett. Wir spielen das Stück mit einer Violinistin und einem Streichorchester. 

Dafür haben wir Leticia Moreno, eine spanische Violinistin. Sie ist fantastisch. Dann kommt die Pause. Dann geht es wieder nach Mexiko mit Marquez, worauf wir das Bandoneonkonzert von Piazzolla hören, mit Omar Massa, einem argentinischen Komponisten und Bandoneonisten. Dann gibt es noch zwei Tänze. Und noch vieles mehr. Viele Stücke noch, von denen ich eigentlich noch gar nicht sprechen darf.

Mariano Chiacchiarini

"Das war der Ursprung dieser Musik, in den Bordellen von Buenos Aires als Wartezeitmusik."

DOMRADIO.DE: Das ist alles südamerikanische Musik. Musik Ihrer Heimat. Was bedeuten Ihnen diese Stücke? 

Chiacchiarini: Zuerst ist es mir eine Freude dieses Konzert zu spielen. Das ist Musik, die ich gut kenne. Aber es ist auch eine große Herausforderung, weil es nicht die Musik ist, die europäische Orchester jeden Tag spielen. Das bedeutet, besonders bei Piazzolla, oder bei Tango-Musik allgemein, andere Spieltechniken. Manchmal sollte man die Instrumente schlagen. 

Man muss sich vorstellen, dass Tango-Orchester die einzigen Tanzorchester weltweit sind, die ohne Schlaginstrumente auskommen. Ein Tango-Orchester war ursprünglich mit Klavier, Geige, Bandoneon, Kontrabass und eventuell Streichern besetzt. Dann kam elektrische Gitarre oder ein Vibrafon oder ein Schlagzeug irgendwann dazu. Aber das war eine kleine Revolution. Ursprünglich haben die Kontrabässe den Rhythmus geliefert.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie "Ursprünglich” sagen, was meinen Sie dann genau?

Chiacchiarini: Ursprünglich wurde mit der Geige gespielt, der Flöte, der Gitarre, mit sehr leichten Instrumenten, mit denen man Rennen konnte, falls die Polizei kam. Das war der Ursprung dieser Musik, in den Bordellen von Buenos Aires als Wartezeitmusik. 

DOMRADIO.DE: Wie schaffen Sie es, diese Musik aus dem Orchester herauszukitzeln?

Chiacchiarini: Zuerst versuche ich, dass dieser Groove und diese Höhepunkte der Musik nach innen gehen. Das ist die einzige Art, wie das klappen kann. Die Musiker müssen diese Stimmung spüren. Aber das Gürzenich Orchester ist super flexibel. Es hat ein großes Interesse diese Musik zu spielen. Und wenn ich merke, dass das Interesse da ist, kann ich auch ein bisschen davon erzählen worum es geht. 

Dass "Conga del Fuerte” von Marquez von der Straßenmusik im Karneval in Kuba inspiriert ist, oder "Danzon No 2” vom Paartanz, was Milonga bedeutet, oder im Fall von Ginastera, argentinische Folklore und dem Ursprung in Spanien, dass wir besondere Schlaginstrumente haben für dieses Repertoire, oder was ein Bandoneon ist. Das Nationalinstrument Argentiniens, das eigentlich aus Krefeld kommt, aus Deutschland. Solche Geschichten haben auch, glaube ich, geholfen, dass das Orchester noch mehr in diese Stimmung hineinkommt.

Bandoneon ist ein Musikinstrument, das traditionell beim Tango gespielt wird / © Pablo Caridad (shutterstock)
Bandoneon ist ein Musikinstrument, das traditionell beim Tango gespielt wird / © Pablo Caridad ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie spielen lateinamerikanische Musik, der Bandoneonist Omar Massa ist auch Argentinier. Sie leben in Köln, spielen in der Kölner Philharmonie gemeinsam mit dem Kölner Gürzenich Orchester. Wird das ein Heimspiel für Sie? 

Chiacchiarini: Ja, das Gefühl habe ich. Ich habe das Gefühl, dass ich zuhause bin. Ich habe mit allen Ensembles hier in Köln eine sehr schöne Beziehung. In der Zeit, als ich Student war, ich habe auch in der Kölner Musikhochschule studiert, war ich oft in den Proben von diesen Orchestern, von Gürzenich, vom WDR oder auch vom WDR-Chor, und dabei habe ich viel gelernt. 

Alle großen Namen und Orchester sind hier durch die Philharmonie gegangen. Deshalb ist es mit Gürzenich ein Heimspiel. Zuhause. Und ich glaube, das ist auch eine besondere Spannung, und das Publikum wird das spüren. 

Mariano Chiacchiarini

"Wir brauchen gute Stimmung, um so ein Jahr zu verabschieden."

DOMRADIO.DE: Zum Ende des Jahres, ist die Musikszene immer sehr christlich aufgeladen. Normalerweise hören wir um diese Zeit das Weihnachtsoratorium von Bach oder den Messias von Händel. Wie ist das mit Piazzolla und Marquez, hat das Repertoire auch was mit dem Christlichen zu tun? 

Chiacchiarini: Nein. Die Idee von diesem letzten Konzert, das haben wir mit dem Management so besprochen, war, dass wir nach diesem langen und schwierigen Jahr, mit den vielen Kriegen in der Welt, mit der Pandemie im Rücken und allen Schwierigkeiten, mal wieder gute Stimmung haben möchten. Wir brauchen gute Stimmung, um so ein Jahr zu verabschieden. So kamen wir zum Repertoire. 

Vier Tage später spiele ich in Luxemburg Strauss, "Die blaue Donau”, Mozart, Brahms, Rossini und alles was man kennt, aber das Silvesterkonzert wollten wir, als letztes Konzert des Jahres mit ein bisschen Leichtigkeit beenden, da war dieses lateinamerikanische Repertoire die beste Option.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch geistliche Musik, die Sie besonders berührt? 

Chiacchiarini: Ja, klar. Beim Weihnachtsoratorium sitze ich immer auf der Stuhlkante. Wenn ich das dirigiere, habe ich Gänsehaut. Ich bin in diese Musik verliebt. Aber dieses Mal sollte es anders sein. Sonst haben wir immer dasselbe. Es ist auch schön, oft dasselbe zu hören. Aber es ist auch gut und gesund, wenn man neue Sachen erlebt. 

DOMRADIO.DE: Worauf freuen Sie sich denn musikalisch im Jahr 2024 besonders drauf? 

Chiacchiarini: Ich freue mich auf ein ruhiges Jahr. Das wünsche ich mir. Ich würde mich freuen, wenn man nicht mehr so an die Pandemie denkt, wenn man nicht mehr so die Konsequenzen von diesen Jahren spürt. 

Ich freue mich auf ein normales Jahr und das ist nicht wenig. Es wird viele Konzerte geben, es ist viel los, aber dass ich das Gefühl habe, dass die alle stattfinden werden, das ist beruhigend und etwas, was mir Freude gibt. 

Das Interview führte Clemens Sarholz.

Quelle:
DR