DOMRADIO.DE: Trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erwägt das Internationale Olympische Komitee, russische und belarussische Athleten unter neutraler Flagge an den Sommerspielen 2024 in Paris teilnehmen zu lassen. Wie bewerten Sie das aus Sicht des DJK?
Volker Lemken (Vizepräsident des christlichen Sportverbands DJK): Vielen Dank, dass Sie daran denken, auch einen christlichen Sportverband in dieser Frage mit hinzuzuziehen. Wir sind ja letztendlich von der Frage, wer zu Olympia geht, nicht so sehr betroffen, da wir vornehmlich als Breitensportverband weniger im Spitzensport aktiv sind und wahrscheinlich keine Athletinnen und Athleten nach Paris entsenden werden.
Allerdings berührt uns diese Frage natürlich doch sehr als Verband, der sich einem christlichen Menschenbild versprochen hat, weil damit sehr stark ethisch moralische Fragen betroffen sind. Wer zu Olympia darf und wer nicht, ist noch nicht entschieden. Die IOC-Entscheidung bezieht sich zunächst ausschließlich auf die Teilnahme belarussischer und russischer Sportlerinnen und Sportler bei aktuellen internationalen Wettkämpfen.
In Deutschland haben wir im Moment eine sehr gemischte Gemengelage. Wir haben einen Deutschen als IOC-Präsidenten, wir haben eine deutsche Bundesregierung und einen Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB, Anm. d. Red.), die durchaus unterschiedliche Ansichten zu dem Entscheid des IOC haben. Beim DOSB werden die Mitgliedsorganisationen an solchen sehr entscheidenden Fragen in der Meinungsbildung beteiligt.
Im Moment ist es sowohl sportlicher als auch sportpolitischer Wille, diese Frage auf jeden Fall noch mal zu diskutieren. Die Tendenz besteht aber, den belarussischen und russischen Athletinnen und Athleten eine Teilnahme an internationalen Wettkämpfen auch unter den vom IOC genannten Bedingungen zumindest noch nicht zu ermöglichen.
DOMRADIO.DE: Schadet die Entscheidung, dass diese Möglichkeit besteht, denn der eigentlichen olympischen Idee von Frieden und Völkerverständigung?
Lemken: Das ist eigentlich die Gretchenfrage, um die es letztendlich geht. Nur kann ich nicht einfach negieren, wie die aktuelle Lage in Europa ist. Europa ist von einem Krieg geprägt. Ein Krieg, der uns nicht kalt lässt und uns auch betrifft, wenn nicht unmittelbar, so doch deutlich mittelbar. Wir können diese Frage aus meiner Sicht und aus unserer Sicht nicht einfach beim Sport ausklammern und so tun, als wäre da nichts.
Insofern muss man gut überlegen, welche Möglichkeiten es gibt. Wir haben das Problem, dass es eine Ungleichheit und eine Ungleichzeitigkeit bei den internationalen Sportverbänden gibt, nämlich dass es Sportverbände gibt, die belarussische und russische Sportlerinnen und Sportler zulassen. Die nehmen bereits an Turnieren teil.
Und wir haben Verbände, die das rigoros und strikt ablehnen und diese Sportlerinnen und Sportler aus ihrer Sicht zu Recht nicht teilnehmen lassen.
DOMRADIO.DE: Über 220 ukrainische Trainer, Athletinnen und Athleten sollen durch diesen Krieg schon gestorben sein. Kann man es denn den ukrainischen Sportlern zumuten, gegen ihre russischen Konkurrenten anzutreten?
Lemken: Ich glaube, dass das ganz schwer ist, weil man die individuelle Situation nicht von der gesamteuropäischen oder sogar weltpolitischen trennen können wird. Allerdings verstehe ich auch die Athleten, die sehr deutlich sagen, dass sie sich ihr halbes Leben auf ein solches Ereignis, wie eine Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele vorbereitet haben und sie werden jetzt aus sportpolitischen Gründen davon ausgeschlossen.
Deswegen ist in Deutschland zumindest nicht die Rede von einem Olympia-Boykott, sondern wir reden darüber, wie wir einer Lösung in der Frage der Teilnahme an internationalen Wettkämpfen näher kommen und was getan werden muss, damit das möglich ist. Die Sportler wollen ja auch die Früchte einfahren, für die sie lange gearbeitet haben.
Nun haben wir die Frage nicht nur im Sport, sondern auch im Kulturbetrieb. Viele Konzerthäuser überlegen, ob sie russische Sängerinnen und Künstler auf die Bühne lassen, wenn sie sich nicht eindrücklich vom russischen Regime distanzieren. Nur, wenn ich in Russland und Weißrussland lebe, arbeite, trainiere oder musiziere, stellt sich die Frage wie weit ich meine Meinung kundtun darf, ohne dass ich ausgeschlossen werde von dem, was ich gut kann?
Diese Frage wird wahrscheinlich nicht offen diskutiert werden können. Das IOC stellt aber genau dieses Kriterium, dass die Sportlerinnen und Sportler sich distanzieren. Wie können Sportlerinnen und Sportler das überhaupt kundtun? Da weiß ich im Moment aus unserer Position keinen Ausweg.
Das Interview führte Tim Helssen.