DOMRADIO.DE: Der Vatikan hat sich in einer sogenannten "Note" ausführlich mit Medjugorje befasst und ein "Nihil obstat" formuliert. Das war am Donnerstag und ist der Schlusspunkt einer jahrzehntelangen Debatte. Damit erklärt er aber nicht, dass die Marienerscheinungen echt oder unecht sind, sondern würdigt, dass durch den Wallfahrtsort die Gläubigen "einen positiven Ansporn für ihr christliches Leben erhalten können". Warum ist für den Vatikan die Frage, ob die Marienbotschaften echt oder unecht sind, offenkundig nicht mehr entscheidend?
Prof. Dr. theol. Manuel Schlögl (Lehrstuhlinhaber Dogmatik und Ökumenischer Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie): Das Dikasterium für die Glaubenslehre hat vor zwei Monaten die geltenden "Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene" in einer überarbeiteten Fassung neu herausgegeben. Dort ist bereits die Akzentverschiebung zu finden von der kniffligen Frage, ob eine Marienerscheinung echt oder unecht ist, hin zum tatsächlichen religiösen Leben am jeweiligen Erscheinungsort. Das wendet der Vatikan nun ganz konsequent auf die mutmaßlichen Marienerscheinungen in Medjugorje an.
Für mich als Theologen ist allerdings die Frage nach den Kriterien einer Erscheinung deswegen nicht überholt. Schließlich hat Rom Marienerscheinungen wie etwa in Lourdes oder Fatima zweifelsfrei als echt anerkannt und auch entsprechende Gedenktage in der Liturgie verankert - bei anderen Orten hingegen nicht.
DOMRADIO.DE: Wie gesagt schaut das Glaubensdikasterium auf die Früchte für den Glauben, auf die positiven Dinge rund um Medjugorje. Der Vatikan appelliert in der Note aber auch an die Klugheit und Umsicht der Gläubigen. Wie wichtig ist es, dass das Glaubensdikasterium, aber auch die Gläubigen bei allem Zuspruch, den ja gerade Medjugorje erfährt, möglichst rational auf die Botschaften schauen?
Schlögl: Was wir als Christen glauben, kann die Vernunft herausfordern, ihr aber nicht widersprechen. Deshalb haben auch Marienerscheinungen ihre eigene Logik und Überprüfbarkeit.
Weil Maria durch ihre Aufnahme in den Himmel in voller Gemeinschaft mit Gott steht, kann sie den Menschen in ganz besonderer Weise den Willen Gottes kundtun und ihnen helfen, seine Spuren in der Geschichte zu erkennen. Darin liegt der Sinn jeder Marienverehrung.
Inhaltlich dürfen die Botschaften dem Glauben der Kirche nicht widersprechen oder über ihn hinausgehen, indem zum Beispiel bestimmte Sonderlehren, Gebete oder moralische Vorschriften als "Auftrag der Gottesmutter" verbreitet werden. Auch davon nennt das neue Dokument einige Beispiele. Es gilt also immer, gut hinzuschauen und zu unterscheiden, gläubig, aber nicht leichtgläubig zu sein.
DOMRADIO.DE: Auffällig ist, dass der Vatikan ausführlich auf den Faktor "Mensch" eingeht in dem Sinne, dass er in der Note einige Aussagen der Seher einordnet und zum Beispiel sagt, dass so manche Botschaft sich mit den persönlichen Wünschen der angeblichen Seher erklären lassen. Spürt man hier vielleicht auch eine neue Vorsicht in Rom, die Manipulationen durch charismatische Personen besser verhindern möchte als in vergangenen Zeiten?
Schlögl: Ohne es direkt anzusprechen, erscheint das Dokument natürlich in einer Zeit, in der weltkirchlich viel über geistlichen Missbrauch diskutiert wird. Gerade neue geistliche Gemeinschaften scheinen dafür anfällig zu sein, weil in einer säkularen und krisengeschüttelten Welt eben ein großer Wunsch nach Zugehörigkeit, Führung und geistlicher Identität herrscht.
Auch Seher und andere charismatisch begabte Personen können da versucht sein, ihre eigene Begabung als Machtinstrument einzusetzen und suchende Menschen in eine gewisse Abhängigkeit zu führen.
Der Vatikan unterscheidet zurecht zwischen den Seherinnen und den Botschaften und zeigt, dass übernatürliche Erfahrungen immer nur in den begrenzten Vorstellungen und Worten von fehlbaren Menschen zugänglich sind und nicht verabsolutiert werden dürfen.
DOMRADIO.DE: Der Vatikan ordnet die Botschaften von Medjugorje als erbauliche Texte ein und sagt nicht, dass sie einen direkten übernatürlichen Ursprung haben. Bleibt es also dabei, dass die Offenbarung durch Jesus Christus abgeschlossen ist, nichts Neues hinzukommen kann, aber Botschaften von Medjugorje zu einer Vertiefung des Glaubens beitragen können?
Schlögl: Beides, was Sie sagen, scheint mir sehr wichtig. Zum einen ist die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, die uns in der Heiligen Schrift und ihrer Auslegung durch das kirchliche Lehramt zugänglich ist, wirklich abgeschlossen. Sie enthält einen unerschöpflichen Reichtum und will zu jeder Zeit und zu jedem Menschen neu sprechen.
Gläubigen, die unbedingt wollten, dass ich mit ihnen nach Fatima oder Medjugorje fahre, habe ich immer gesagt: Ich werde dort auch nichts anderes finden als das, was ich jeden Tag im Breviergebet und in der Eucharistie erlebe. Die Botschaften, die das neue Dokument zitiert, entsprechen dem biblischen Gottes- und Menschenbild und fügen ihm nichts hinzu.
Zum anderen sind natürlich Wallfahrtsorte allgemein und Medjugorje insbesondere Orte, an denen der Heilige Geist wirkt und den Einzelnen ergreifen und verwandeln kann. Das Dokument spricht von den vielen "positiven Früchten", die dort ihren Ursprung haben: Bekehrungen, wachsende Liebe zu den Sakramenten, Wege der Versöhnung untereinander, kurz: eine Botschaft des Friedens, die in die ganze Welt ausstrahlt. Diese sichtbare Lebendigkeit des Glaubens trägt sicher auch zu seiner Vertiefung bei. Etliche meiner Freunde leben intensiver mit Christus und der Kirche, seitdem sie in Medjugorje waren.
DOMRADIO.DE: In der Einleitung heißt es, dass es an der Zeit ist, die lange und komplexe Geschichte rund um die geistlichen Phänomene von Medjugorje abzuschließen. Ist es nach Ihrem Eindruck der Note des Vatikans gelungen, kritische Punkte zu klären und die besagten Früchte von Medjugorje angemessen zu würdigen? Was bedeutet das Ihrer Meinung nach für die Zukunft des Wallfahrtsortes?
Schlögl: Zunächst ist mit dem Dokument sicher ein langer Prozess der Untersuchung der 1981 beginnenden Marienerscheinungen zum Abschluss gekommen. In der Öffentlichkeit wurde es als Einladung des Papstes wahrgenommen, nach Medjugorje zu fahren, sodass ich denke, der Ort wird weltweit noch mehr Aufmerksamkeit finden und hoffentlich weiterhin gute Früchte im Leben der Menschen hervorbringen.
Was Manfred Hauke, einer der führenden Marienexperten, schon vor Jahren an kritischen Einwänden zur Echtheit der Marienerscheinungen in Medjugorje geäußert hat, ist für mich damit aber noch nicht vom Tisch. Überhaupt fehlt es in der heutigen Zeit weithin an fundiertem Wissen über mystische, übernatürliche und außernatürliche (das heißt auch: dämonische) Phänomene. Das neue Dokument sehe ich da nur als einen ersten Vorstoß, um wieder gründlicher und differenzierter über die Erfahrungsdimension des Glaubens nachzudenken.
Das Interview führte Mathias Peter.