DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass der Heilige Geist in unserer Kirche wirkt?
Prof. Dr. Dirk Ansorge (Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt): Ja, ganz sicher. Das ist ja eine der Glaubensgrundfesten, die wir auch im Glaubensbekenntnis schon im dritten Artikel haben. Der Heilige Geist wirkt in der Kirche. Aber die Frage ist natürlich, wie er da wirkt.
DOMRADIO.DE: Und wie wirkt er?
Ansorge: Das ist umstritten. Es gibt natürlich Konzeptionen, dass er unmittelbar eingreift, dass er in den Gedanken, in den Taten der Menschen kausal wirksam wird. Da sind wir heute ein bisschen skeptisch seitens der Theologie, weil wir sagen, ob damit nicht im Grunde Gott zu einer innerweltlichen Ursache gezwungen wird.
Da gibt es andere Konzeptionen, die eher auf die kommunikative Richtung hinweisen. Er ist etwas, das in uns eine neue Perspektive, die vom Evangelium bestimmt ist, eröffnet und wir dann entsprechend handeln, das gleich als Angebot einer Alternative.
DOMRADIO.DE: Es gab schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums die Frage danach, was uns der Heilige Geist sagt. Nehmen wir den ersten Petrusbrief. Da heißt es, dass die Heilige Schrift nicht eigenmächtig ausgelegt werden soll, sondern vom Heiligen Geist getrieben hätten Menschen im Auftrag Gottes geredet. Wie hat man das denn damals, in den ersten Jahrhunderten in der Kirche, überhaupt feststellen können?
Ansorge: Im frühen Christentum, das ja im Judentum auch verwurzelt ist, ist auch schon die Rede vom Heiligen Geist. Zwei Beispiele: Einmal der Geist, der schon bei der Schöpfung über den Wassern schwebt. Oder dann im 37. Kapitel beim Propheten Ezechiel: der Geist, der über diese Ebene mit den toten Gebeinen schwebt und dann die Wiederbelebung der toten Gebeine verursacht. Das ist ein Bild für die Rückkehr Israels aus dem Exil.
Man hat im Grunde damit gerechnet, dass Gott selbst, der eine und einzige Gott Israels in der Geschichte wirksam wird. Und in dieser Tradition steht natürlich auch die frühe Kirche, die sagt: "Wir sind jetzt durch diesen Jesus von Nazareth in einer bestimmten Weise in der Tradition des Judentums. Und nach dessen Kreuzigung und Auferweckung und Himmelfahrt, an die wir glauben, ist er in der Kraft des Heiligen Geistes weiter unter uns und was wir denken, was wir tun, das ist eben durch diese Kraft, die wir kennen, aus der biblischen Überlieferung weiterhin orientiert."
DOMRADIO.DE: Schauen wir auch mal auf das, was gerade in Rom geschieht. Der Heilige Geist wird ganz gerne für gegensätzliche und auch einander widersprechende Inhalte und Standpunkte herangezogen. Da meint der eine, durch ihn spricht der Heilige Geist. Oder er meint, dass der Heilige Geist jetzt so zu uns spricht. Und da sagt ein anderer das Gegenteil. Wie unterscheidet man denn diese Geister?
Ansorge: Eigentlich durch zweierlei. Einerseits dadurch, dass ich versuche durch eine differenzierte Wahrnehmung der unterschiedlichen Positionen, die den Heiligen Geist für sich beanspruchen, dann doch so etwas zu gewinnen, was der Herausforderung, der Wirklichkeit nahekommt. Dafür brauche ich Zeit und vielleicht auch Ruhe. Der Papst hat das jetzt gerade noch mit Blick auf die Weltsynode empfohlen, Stille und aufeinander hören.
Auf der anderen Seite natürlich auch – das ist aus der Perspektive des Dogmatikers unverzichtbar – die Tradition. Die Entscheidungen, die zu fällen sind, sollten sich irgendwie in der Kontinuität der kirchlichen Überlieferung auch wiederfinden lassen, darin begründet sein, was wiederum Reformen, Veränderungen nicht ausschließt, aber doch eine Linie erkennen lässt.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf ein aktuelles Ereignis: Wir haben es wieder mit einem Dubia-Schreiben von fünf Kardinälen zu tun, und die greifen genau das auf, was Sie gerade gesagt haben. Sie fragen: Kann es sein, dass die Kirche ihre Lehre so verändert, dass sich jetzt bestimmte Vorstellungen deutlich im Widerspruch zur bisherigen geltenden Lehre befinden? Wie geht so etwas? Wie will man auf der einen Seite eine Lehre weiterentwickeln, ohne einen Bruch zur bisherigen Lehre zu erzeugen?
Ansorge: Das ist natürlich schwierig, ohne einen Bruch herbeizuführen. Das war auch damals in der Debatte um den Stellenwert des Zweiten Vatikanischen Konzils vom ehemaligen Papst Benedikt XVI. als Herausforderung signalisiert worden.
Aber aus der Perspektive der Dogmengeschichte gab es solche Brüche ja. Das bekannteste Beispiel hierfür ist das neu bestimmte Verhältnis zum Judentum, das im vierten Kapitel von Nostra Aetate durch das Zweite Vatikanische Konzil vorgenommen wird.
Und es ist nicht zufällig, dass in diesem Dokument keine Fußnoten stehen, die irgendwie auf die Tradition zurückweisen, weil es eine komplette Neuorientierung ist. Das heißt, wir haben in der kirchlichen Lehrentwicklung Beispiele für Brüche, für Neuorientierungen.
Wie kommen diese Neuorientierungen zustande? Wie können sie gerechtfertigt werden? Einfach auch durch neue Einsichten. Man hat eben mit Blick auf das Judentum in der Mitte des 20. Jahrhunderts und mit Blick auf die Shoah gesehen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Kirche hat durch ihre Judenfeindschaft eine Mitschuld daran. Da muss eine neue Orientierung her. Und das Konzil hat entsprechend entschieden.
DOMRADIO.DE: Bei der Weltsynode in Rom gibt es keine deutsche Sprachgruppe und die Öffentlichkeit wird über den Verlauf der Versammlung nur häppchenweise informiert. Was meinen Sie, ist da genug Platz für den Heiligen Geist, um sich zu entfalten?
Ansorge: Natürlich ist genug Platz für den Heiligen Geist, auch hinter verschlossenen Türen. Bekanntlich wirkt der Geist ja überall. Aber natürlich wäre es im Sinne einer Weltsynode wünschenswert, dass die Weltkirche auch transparent über die Dinge informiert wird und die Debatten verfolgen kann.
Auf der anderen Seite kennen wir natürlich auch im weltlichen Bereich Entscheidungsprozesse, die zunächst einmal hinter verschlossenen Türen geführt werden. Ich will jetzt gar nicht vom päpstlichen Konklave reden, wo das auch der Fall ist, wo man einfach einen geschützten Raum braucht, innerhalb dessen der Geist wirken kann, wo aber dann nicht jedes Argument gleich in die Öffentlichkeit hinausgetragen wird.
DOMRADIO.DE: Und was denken Sie, welche Sprache spricht denn der Heilige Geist und wie viel Coaching verträgt er?
Ansorge: Der Heilige Geist spricht alle Sprachen. Das kann man ja schon am Pfingsttag sehen, wo danach jeder den Geist in seinen Sprachen vermittelt bekommt. Der Heilige Geist ist eben doch eine Kraft, die mich befähigt, mich auf das Wesentliche, auf den Ursprung, das Evangelium Jesu von Nazareth zurückzubesinnen; vielleicht auch kritisch gegenüber Vorurteilen wirksam wird, die ich mit mir herumtrage und mich fragen lässt: "Ist das alles so dem Auftrag der Sendung angemessen, die ich mit diesem Evangelium verbinde?"
Und dann können sich neue Perspektiven eröffnen, dann kann ich zu neuen Einsichten gelangen, ob das eben auf dem Marktplatz geschieht oder eben hinter den geschlossenen Türen einer Konzilsaula – das hindert das Wirken des Geistes überhaupt nicht.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.