Im Kapitelsamt am einunddreißigsten Sonntag im Jahreskreis aus dem Kölner Dom hielt Domkapitular Markus Bosbach eine Predigt über das Konzept der Radikalität im Christentum. Darin erörterte er, wie das oft negativ wahrgenommene Wort "radikal" tatsächlich aus dem Lateinischen "radix" stamme und übersetzt also "Wurzel" bedeute. Er betonte, dass ein radikaler Mensch eigentlich jemand ist, der bis zu den Wurzeln vordringen will – insbesondere in ethischer und spiritueller Hinsicht.
Bosbach erklärte, dass ein radikaler Christ somit nicht als Extremist missverstanden werden sollte, sondern vielmehr als jemand, der bestrebt ist, sein Leben und seinen Glauben tiefgehend an den Lehren und dem Beispiel Jesu auszurichten. Die Nächstenliebe sei nicht einfach ein moralisches Gebot, sondern grundlegend für die christliche Lehre und eng mit der Person Jesu Christi verknüpft. "Wo finde ich Jesus? Die Antwort des Evangeliums an vielen Stellen: im nächsten." Der Domkapitular betonte, dass es zentral für das Christentum sei, das Leben Jesu als Grundlage und Wurzel der eigenen Existenz zu begreifen. In diesem Zusammenhang zitierte er Paulus mit den Worten: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir."
Ethische Dimension des Christentums
Von diesem Radikalitätsverständnis ausgehend ging Markus Bosbach in einem nächsten Schritt auf die ethische Dimension des Christentums ein, insbesondere auf die Nächstenliebe. Diese bezeichnete er in seiner Predigt oft als Kern des christlichen Glaubens. Er hinterfragte, warum gerade die Nächstenliebe als zentrales Element des Christentums zu betrachten sei und ermutigte die Gemeinde, darüber hinausgehend die tieferen Wurzeln des Christentums zu erkunden. "Am Ende unseres Lebens werden wir nach der Liebe gerichtet."
Der Geistliche warf auch ein kritisches Licht auf das Verständnis des Jüngsten Gerichts und dessen Darstellung in der Kunst, insbesondere in Michelangelos berühmten Fresko. Er betonte, dass die christliche Auffassung des Jüngsten Gerichts eine tiefe ethische Verantwortung gegenüber anderen und eine fortwährende Selbstreflexion beinhaltet: "Das Christentum weiß um die Vorläufigkeit der Erde und die Endgültigkeit des Himmels." Diese sei verbunden mit der tröstenden Nähe Gottes, die durch den Glauben an die Liebe und das Wirken der Nächstenliebe bestimmt wird. Dabei verwies er auf das christliche Verständnis von der Menschwerdung Gottes und der dadurch bedingten Heiligkeit jedes Menschen selbst.
Christentum als Selbstverpflichtung
Zusammengefasst stellte Bosbach in seiner Predigt heraus, dass das Christentum radikal im Sinne einer tiefgehenden, wurzelhaften, ethischen und spirituellen Verpflichtung zu verstehen sei. Diese käme im täglichen Leben durch die Liebe und das Erkennen Christi im Nächsten zum Ausdruck.
Es musizierten die Domkantorei Köln und die Kölner Domkapelle unter der Leitung von Joachim Geibel. Es erklangen im Gottesdienst die "Missa Sancti Nicolai" in G-Dur von Joseph Haydn für Chor, Soli und Orchester. Die Orgel spielte Winfried Bönig.