"Stellen Sie sich einmal vor", begann Hans-Josef Radermacher seine Predigt, "wir hätten gerade im Evangelium folgende Worte gehört: (...) Tut nur denen Gutes, die euch wohlgesonnen sind. Ignoriert die, die euch verfluchen." Eine solche Botschaft, so Radermacher, entspräche wahrscheinlich eher unserem eigenen Denken. Denn wir seien es gewohnt, dass im Leben eine gewisse Rechnung aufgeht: Geben und Nehmen sollten sich die Waage halten.
Doch Jesus fordere mehr. "Neben unser Prinzip der gerechten Vergeltung stellt Jesus seine verrückte Idee, anderen alles zu geben und ihnen nichts Böses zurückzuzahlen." Das Evangelium sei eine Zumutung, weil es uns herausfordere, nicht mehr abzurechnen oder heimzuzahlen, sondern großzügig zu schenken und zu lieben. Eine Liebe, die sich nicht aufrechnet – das sei radikal und widerspreche allem, was uns im Alltag begegnet.
Menschen die Unrecht erlitten haben
Dennoch betonte Prälat Radermacher, dass diese Botschaft nicht missverstanden werden dürfe. Es gehe nicht darum, dass Opfer sich nicht wehren dürften. "Jeder, der so denkt, hat das Prinzip Jesu völlig missverstanden." Gerade die Kirchenkrise zeige, wie verheerend es sei, wenn Menschen, die Unrecht erlitten haben, zum Schweigen gebracht würden. Jesu Gebot der Liebe wolle die Menschen nicht klein machen, sondern groß.
Aber woher kommt die Kraft für eine solche Haltung? Radermacher gab eine klare Antwort: "Ich glaube, es kann nur die Erfahrung einer noch viel größeren Liebe sein." Gott rechne nicht mit uns ab, sondern liebe "großherzig, verschwenderisch, vollkommen unvernünftig."
"Die Liebe korrumpiert mich"
Besonders eindrucksvoll schilderte Radermacher diese göttliche Liebe in einer Geschichte. Darin versucht ein Vertreter Satans, Gott eine KI-Software anzubieten, die alle Menschen nach ihren Taten bewertet und so eine gerechte Entscheidung am Jüngsten Gericht ermöglicht. Doch Gott lehnt ab. "Ich bin bestechlich", erklärt er dem verdutzten Gesandten der Unterwelt – "die Liebe korrumpiert mich."
Mit diesem Bild machte Radermacher deutlich: Gottes Liebe kennt keine Berechnung. "Der Aufforderung zur Feindesliebe, die Jesus an uns richtet, steht immer Gottes Liebe zu uns gegenüber." Und genau das sei die Einladung an jeden Einzelnen: sich von dieser Liebe bestechen zu lassen – und sie in die Welt hinauszutragen.
Siebter Sonntag im Jahreskreis
DOMRADIO.DE hat am siebten Sonntag im Jahreskreis das Kapitelsamt aus dem Kölner Dom mit Domkapitular Hans-Josef Radermacher übertragen. Unter der Leitung von Oliver Sperling sang der Mädchenchor am Kölner Dom. An der Orgel: Matthias Wand.
Unter der Leitung von Oliver Sperling sang der Mädchenchor am Kölner Dom. An der Orgel: Matthias Wand.

„Liebt eure Feinde;
tut denen Gutes, die euch hassen!
Segnet die, die euch verfluchen;
betet für die, die euch beschimpfen!
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lk 6,27 f.,36)
Impuls zum Evangelium Lk 6,27–38
Hier ist das Programm für uns Menschen auf dieser Erde, die Jesus nachfolgen. Die Summe der Weisheit des Menschen aus Nazareth. Die Blaupause eines gelingenden Lebens. Das unendlich einfache, unendlich schwierige Muster, an dem wir uns messen müssen. Oft scheint es, dass wir nichts anderes tun können in den Zwängen, Gewohnheiten, Gesetzen unseres menschlichen Miteinanders, als anzustreben, dass wir wenigsten einige wenige Male im Leben diese nicht berechnende Güte und uns selbst hintanstellende Barmherzigkeit verwirklichen dürfen. Und darum zu beten.
Maria-Sybille Bienentreu. Aus: TeDeum – Das Stundengebet im Alltag, Februar 2025, www.tedeum-beten.de