"Ich habe es nicht glauben wollen, dass der Kardinal sich so eindeutig und ohne Wenn und Aber hinter uns gestellt hat", erklärt Prof. Werner Becker gegenüber domradio.de. Vor fünf Jahren hatte Becker öffentlich gemacht, dass er als Internatsschüler am Erzbischöflichen Konvikt Collegium Josephinum in Bad Münstereifel sexuell missbraucht wurde. Seitdem haben sich auch andere Betroffene beim Erzbistum gemeldet. Die Entschuldigung von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki bezeichnet Becker als "Großtat" und "Riesenhilfe für die Opfer". Diese Haltung habe er bei Woelkis Vorgänger vermisst.
Der ehemalige Internatsschüler Becker vertritt die Interessen aller Missbrauchs-Opfer des Konvikts und hat das wissenschaftliche Projekt zur Aufarbeitung mitinitiiert. "Die Betroffenen müssen in die Öffentlichkeit gehen, um sich selbst von tiefen Seelenqualen zu befreien", sagt Becker. Ihn selbst haben die Vorfälle in seiner Schulzeit jahrzehntelang psychisch belastet. Becker fordert von der Kirche jetzt in erster Linie eine Aufarbeitung und keine seelsorgerische Begleitung.
"Aufarbeitung muss öffentlich sein"
Ähnlich sieht das auch Pater Klaus Mertes. Als damaliger Rektor des Canisius Kollegs in Berlin hat er mit dafür gesorgt, dass die Missbrauchsfälle dort vor fünf Jahren öffentlich gemacht wurden. Mit der Entschuldigung des Kardinals und der wissenschaftlichen Bearbeitung geht die Kirche laut Mertes den richtigen Weg. "Die Aufarbeitung muss auch deshalb öffentlich sein, damit die Opfer sehen, dass ihre Geschichte anerkannt worden ist", meint Mertes. Außerdem müsse extern aufgearbeitet werden und nicht von innen heraus – das sei Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.
Das Projekt der Fachhochschule Niederrhein unter Leitung von Prof. Claudia Buntschuh will die Vorfälle am Collegium Josephinum wissenschaftlich untersuchen – mit der Hilfe der Betroffenen. "Wir wollen so erfahren, was dort passiert ist aber auch Schlüsse ziehen, wie Präventionsarbeit weiterentwickelt werden kann", erklärt Oliver Vogt, Präventionsbeauftragter des Erzbistums Köln. Allerdings betreffe Präventionsarbeit - also der Schutz von Kindern und Jugendlichen - nicht nur die katholische Kirche, sondern etwa auch Sportvereine oder Jugendorganisationen. "Das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, dem sich sämtliche Gruppierungen stellen müssen", fordert Vogt.
Nicht über sondern mit den Opfern sprechen
Für die Zukunft sei vor allem wichtig, das geschlossene System aufzubrechen, aufeinander zu hören und Anzeichen für Misstände früher ernstzunehmen. "Bisher hat die katholische Kirche vor allem über die Opfer gesprochen“, resümiert der Präventionsbeauftragte: "Im Erzbistum Köln setzt sich jetzt die Erkenntnis durch: Wir müssen mit den Betroffenen reden und uns der schwierigen Thematik gemeinsam stellen."
Allerdings gebe es bei solchen Projekten immer zwei Perspektiven, betont Vogt: Die Sicht der Betroffenen und die der Täter. Natürlich stelle das Erzbistum die Betroffenen in den Vordergrund. "Auf der anderen Seite muss man auch die Täter in den Blick nehmen. Sie müssen die Möglichkeit bekommen, sich mit dem, was gewesen sei, auseinanderzusetzen - zum Beispiel in einer Therapie", erklärt Vogt. Auch das gehöre zur Aufklärungsarbeit dazu.
Aktueller Verdachtsfall: "Erzbistum handelte konsequent"
Laut Vogt zeige auch der aktuellste Verdachts-Fall, dass das Erzbistum Köln mit dem Thema konsequent umgeht. Einem Erftstädter Pfarrer werden sexuelle Grenzverletzungen in den 70er Jahren vorgeworfen. "Die Anschuldigungen der betroffenen Frau sind glaubhaft und nachvollziehbar. Deshalb blieb uns keine andere Wahl, als den Pfarrer aus dem Dienst zu nehmen, bis die Vorwürfe geklärt sind", sagt Vogt. Eine Vorverurteilung sei das Vorgehen des Erzbistums nicht.