DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Ostertage in Jerusalem erlebt?
Nikodemus Schnabel (Abt des Dormitio Klosters auf dem Zionsberg): Sehr intensiv! Vor allem war es auch im Norden Israels – wo ja unser zweites Kloster, Tabgha, liegt – nicht komplett ruhig, weil auch da die Spannungen im Grenzgebiet zum Libanon gestiegen sind. Eigentlich ist es eine Gnade, dass in Jerusalem die vier großen Feste ganz dicht beisammen sind: das westliche und östliche Ostern, wir haben jetzt Gründonnerstag für die Ostkirchen und dann noch Pessach und Ramadan.
An sich ist das wunderschön, es zieht natürlich auch hunderttausende Menschen in die Stadt, die nicht für so viele Menschen ausgelegt ist. Folglich kommen dann Spannungen auf. Die große Mehrzahl der Menschen sind Gottsucher, Pilgerinnen und Pilger, bei denen es eine große Freude bereitet zu erleben, mit welcher Sehnsucht sie in die Stadt kommen. Leider gibt es auch "Scharfmacher", die diese Tage in ihrer Buntheit nicht genießen, sondern der Auffassung sind, dass diese Stadt nur einer Religion gehören soll und die anderen doch bitte verschwinden sollen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie direkt etwas von den Spannungen mitbekommen?
Schnabel: Wir sind natürlich als Dormitio auf dem Zionsberg direkt vor den Toren der Altstadt und da bekommen wir das selbstverständlich mit. Trotzdem sind die Tage nicht nur furchtbar und schrecklich, denn eigentlich sind sie wunderschön und wunderbar.
Wenn ich an Palmsonntag zurückdenke und an die Scharen der Pilger, dann sehe ich eine Stadt, die tanzt und singt. Wenn man die Juden sieht, die langsam ihre Häuser koscher machen für Pessach, wenn man die Muslime sieht, die Ramadan feiern und ihr nächtliches Fastenbrechen haben und die gesamte Nacht in Jerusalem zum Tag gemacht wird, dann ist das eine wunderschöne Stadt in diesen Tagen.
DOMRADIO.DE: Im Westjordanland gab es neue Gewalt und Tote, wie schätzen Sie die derzeitige politische Lage in Israel ein?
Schnabel: Die ist kritisch und ich muss erst mal Ross und Reiter nennen. Definitiv nicht hilfreich in dieser Situation ist die gegenwärtige israelische Regierung, die in Teilen rechtsradikal ist. Von der Regierungsbank kommen Töne, die vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären, von offizieller Regierungsseite ist so etwas sagbar geworden. Die "Hooligans der Religion" bekommen gerade massiven Rückenwind.
Parolen wie "Israel den Juden, Nichtjuden raus!" ist auf einmal sagbar geworden. Das zerstört wahnsinnig viel, wir haben eh schon mehr als genug Gewalt in der Stadt. Jerusalem trägt sowieso schon durch Jahrhunderte so viele Wunden und Verletzungen mit sich. Diese Stadt braucht so dringend eine neue Form von Kommunikation und wieder eine Neugierde aufeinander, darauf, was der andere denkt und glaubt.
Jerusalem braucht Versöhnung und nicht noch mehr Gewalt. Was ich erschütternd finde, wenn Politiker, die überall auf der Welt in ihrer Regierungsverantwortung für ein Zusammenleben, für Frieden und für Versöhnung verantwortlich sind, genau das Gegenteil tun. Das tut mir wirklich weh und bereitet mir große Sorge.
DOMRADIO.DE: Die Osterbotschaft ist eine Botschaft der Hoffnung, was gibt Ihnen mit Blick auf Israel und die Zukunft Hoffnung?
Schnabel: Dass es viele Menschen gibt, die wie ich Gottsucher unter Gottsuchern sind, die sich nach einer neuen Form von Kommunikation und gegenseitigem Umgang sehnen. Das bereitet mir große Hoffnung. Dass die Gewalttätigen, die das Zusammenleben zerstören wollen, eine Minderheit sind und sie aktiv erleben, dass sehr viele Menschen "Nein" sagen. Wir wollen Jerusalem als eine offene Stadt, als eine Stadt, die "Herzlich Willkommen" heißt und das gleichermaßen zu den drei großen abrahamitischen Religionen: Juden, Christen und Muslimen.
In dieser Überzeugung fühle ich mich nicht allein. Ich fühle mich sehr verbunden mit vielen meiner jüdischen und muslimischen Freunde, die wirklich genau denselben Traum haben und dafür arbeiten. Das macht mir wahrhaft Hoffnung.
Das Interview führte Martin Mölder.