DOMRADIO.DE: Zwei von Ihnen stammen nicht aus Deutschland. Von daher sind Sie weitgehend unbelastet von den hiesigen innerkirchlichen Debatten in Ihre Entscheidung hineingewachsen, Priester werden zu wollen. Wie haben Sie die Kirche in Ihrer Heimat bis zum Beginn Ihres Theologiestudiums erlebt, als Sie klar hatten, ich möchte mich dieser Kirche mit meiner ganzen Existenz zur Verfügung stellen?
Javier Cenoz Larrea (Weihekandidat aus Pamplona/Spanien): Kirche ist für mich zunächst die Gemeinde gewesen, in der ich als Zehnjähriger kurz nach meiner Erstkommunion Messdiener war und damit die Liturgie ganz intensiv, nah am Altar, erleben konnte. Später dann habe ich mich auch darüber hinaus im Gemeindeleben engagiert und immer mehr ein sehr positives Bild von Kirche gewonnen, weil ich viele Menschen kennengelernt habe, die ich vorher nur von weitem wahrgenommen hatte.
Ganz wichtig war für mich außerdem ein Priester, der mein Vorbild war und mich auf meinem Weg zum Priesterseminar maßgeblich dabei unterstützt hat, herauszufinden, was Gott wirklich von mir will. Hinzu kommt, dass mich eigentlich alle Formen der Liturgie, vor allem aber die heilige Messe, immer schon angezogen haben, weil ich darin bereits als Jugendlicher erleben konnte, wie Gott im Alltag gegenwärtig ist.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich mit 12 Jahren bei einer nächtlichen Anbetung im Dom von Pamplona. Da ich vergessen hatte, meinen Eltern davon zu erzählen, haben sie mich dann spät in der Nacht gesucht. Ich war derart fasziniert von den vielen Menschen dort, die zum Gebet zusammengekommen waren und ein persönliches Zeugnis ihres Glaubens gaben, dass ich völlig die Zeit vergessen hatte. Ich weiß noch, dass mich ihre Erfahrungen damals tief bewegt haben und sie für mich ein Hinweis darauf waren, dass es etwas Größeres im Leben gibt; dass es einen Gott gibt, der mich grenzenlos liebt.
Und dann bedeutet Kirche für mich natürlich auch meine neokatechumenale Gemeinschaft, wo wir – Junge wie Ältere, Familien mit Kindern und auch Priester – über unsere persönliche Gottesbeziehung miteinander sprechen. Auch in diesen sehr unterschiedlichen Menschen wird immer wieder das Wirken Gottes offenbar und dass der Glaube und die Kirche wirklich das Leben eines Einzelnen zum Guten verändern können.
DOMRADIO.DE: Welche prägenden Erfahrungen mit Kirche haben Sie gemacht?
Stefano da Rin Zanco (Weihekandidat aus Belluno/Italien): Auch ich verbinde mit Kirche zuallererst meine Heimatgemeinde, in der es eine neokatechumenale Gemeinschaft gibt und wo ich Pfadfinder war. Diese Erfahrungen in einer großen Gruppe und Gemeinschaft haben mir geholfen, Kirche nicht vorrangig als Institution wahrzunehmen, sondern wie eine Mutter, die sich um ihre Kinder sorgt. In dieser Kirche konnte ich mich angenommen und geliebt fühlen, so wie ich bin. Zusammen mit anderen Jugendlichen habe ich erfahren, dass es die Liebe Gottes umsonst gibt und dass es sich lohnt, die Beziehung zu Jesus Christus zu vertiefen, weil das zu einer immer größeren inneren Freiheit führt und zu einem erfüllten Leben.
Dass die Kirche in Italien weniger institutionalisiert ist, mag daran liegen, dass es da keine Kirchensteuer gibt. Das macht sie insgesamt beweglicher, andererseits – im Vergleich zu Deutschland – lässt sie das sicher auch ein Stück unprofessioneller agieren. Diese „Kundenmentalität“, eine bestimmte Dienstleistung als selbstverständlich zu erwarten, ist dort völlig fremd. Ohne finanzielle Abhängigkeit gibt es automatisch auf beiden Seiten – auf der der Hauptamtlichen und auch der der Laien – mehr Raum für das Wesentliche.
Takuro Johannes Shimizu (Weihekandidat aus Neuss): Anders als meine Mitbrüder bin ich nicht selbstverständlich im katholischen Glauben groß geworden. Gebürtig stamme ich aus Japan, bin mit meinen Eltern im Alter von sechs Jahren nach Deutschland gekommen und habe den christlichen Glauben erst im Religionsunterricht und durch Freunde kennengelernt.
Sie waren es dann auch, die mich zum ersten Mal zu einer Erstkommunionfeier oder Sonntagsmesse mitgenommen haben. Das war zu einer Zeit, als gerade der Missbrauchsskandal öffentlich wurde. Das heißt, ich habe diese Zeit der Kirchenkrise sehr konkret mitbekommen, aber dennoch bewusst die Entscheidung getroffen, mich taufen zu lassen, weil ich in der Kirche vor allem eine Gemeinschaft von Menschen gefunden hatte, die nicht auf Herkunft oder sozialen Status achten, sondern fest an Jesus Christus glauben und ihm nachfolgen.
Das hat mich so beeindruckt, gerade auch immer wieder in der Feier der Eucharistie, dass ich dazu gehören wollte und dann in der Osternacht 2011 mit 16 das Sakrament der Taufe empfangen habe.
DOMRADIO.DE: Eine Berufungsgeschichte läuft nicht immer glatt. Was haben Sie mit Gott erlebt?
Da Rin Zanco: Ich hatte gläubige Eltern und bin religiös erzogen worden. In der Pubertät aber habe ich dann den Glauben radikal infrage gestellt – vor allem, ob es überhaupt einen gütigen und barmherzigen Gott angesichts des großen Leids in der Welt geben kann. Bei einer Pilgerfahrt nach Assisi habe ich dann mit 16 eine starke Gotteserfahrung gemacht, die mir gezeigt hat, dass Gott existiert und er meinem Leben Sinn verleiht.
Natürlich gab es dann immer mal wieder Aufs und Abs; Momente, in denen ich mit Gott und meinem Glauben auch gehadert habe. Aber im Verlauf der Jahre habe ich immer mehr erlebt, dass Gott treu ist, mich führt und einen Plan der Liebe für mein Leben hat. Die Entdeckung des Christseins, das Leben in der neokatechumenalen Gemeinschaft, hat mich dann ganz allmählich mit der Frage konfrontiert: Was möchte Gott von mir? Auf diese Weise ist in mir immer stärker die Berufung zum Priester gewachsen.
Cenoz Larrea: Mich haben von klein auf bei uns zuhause in Spanien das Rosenkranzgebet, die Feier der Messe oder auch die Prozession in der Karwoche fasziniert. Das war in der Summe eine Frömmigkeit, für die ich mich total begeistern konnte. Im Alter von zehn Jahren habe ich mich dann zum ersten Mal gefragt, ob nicht Priester ein Weg für mich sein könnte.
Auf dem Gymnasium haben sich aber die Prioritäten zunächst nochmal verschoben: Ich wollte Geld verdienen und Karriere machen, was sich nicht gut in Einklang mit dem Priesteramt bringen lässt. Und als ich dann nach dem Abitur eine Entscheidung treffen musste, habe ich es nach längerem Ringen einfach riskiert und bin ins Priesterseminar eingetreten – so nach dem Motto: Ich schaue mal, was Gott mit mir vorhat.
Begleitet hat mich in dieser Zeit der Ausbildung das Psalmwort „Du führst mich hinaus ins Weite“. Nicht nur dass Gott mich nach Deutschland geführt oder mir Missionspraktika in Mexiko und Tansania ermöglicht hat, er hat mir auch gezeigt, der Glaube ist viel größer als alles, was ich bisher in Spanien erlebt hatte. Meine Haltung war damals: Lass dich überraschen!
DOMRADIO.DE: Herr Diakon Shimizu, welchen Platz hat Gott in Ihrem Leben?
Shimizu: Ohne zu wissen, wer genau dieser Gott denn wirklich ist, hat er in meinem Leben schon sehr früh einen Platz gehabt. Doch zunächst habe ich ja in Japan einen Glauben mit vielen Göttern kennengelernt und von meiner japanischen Großmutter auch das Beten gelernt. Allerdings blieben diese vielen Götter für mich immer recht unkonkret.
Erst im christlichen Glauben habe ich einen personalen Gott gefunden, der nicht irgendwo auf einem Thron sitzt und sich feiern lässt, sondern jemand, der die Liebe ist, Mensch geworden ist und dem ich in der Eucharistie begegnen kann. Trotzdem zieht sich auch durch meinen Berufungsweg ein permanentes Suchen und Fragen, wobei sich Gott niemals von mir entfernt hat. Wenn, dann war eher ich es.
DOMRADIO.DE: Das gesellschaftliche Klima in Deutschland wirkt auf Priesterberufungen nicht gerade förderlich. Wer heute eine solche Lebensentscheidung trifft, wird schnell für weltfremd gehalten und gerät inzwischen selbst in kirchlichen Kreisen in Rechtfertigungsdruck. Wie gehen Sie damit um?
Da Rin Zanco: Ich erlebe das Priestertum, aber auch die anderen kirchlichen Berufungen als eine Art Hinweisschild: Ich weise mit meinem Priestertum und dem zölibatären Leben daraufhin, dass es den Himmel gibt. Das ist meines Erachtens alles andere als weltfremd. Ganz im Gegenteil. Die Tatsache, dass es den Himmel gibt, hilft uns, das Leben im Hier und Heute zu gestalten: mit Freude und Hoffnung – und nicht mit Zukunftsangst, die sich in unserer Gesellschaft mittlerweile zunehmend breit gemacht hat.
Shimizu: Als Priester lebe ich mitten in der Welt und will nah bei den Menschen sein. Wenn ich dabei verschiedensten Realitäten ausgesetzt bin und versuche, diese Menschen nach besten Kräften und mit Gottes Hilfe auch in Lebens- und Glaubenskrisen zu begleiten, ist das doch keine Weltfremdheit, sondern vielmehr eine große Herausforderung, der ich mich sehr bewusst und aus tiefer Überzeugung stelle.
DOMRADIO.DE: Angesichts der Strukturdebatten auf allen kirchlichen Ebenen zeigt sich das Gottesvolk inzwischen auch ein Stück weit erschöpft. Immer weniger Gläubige engagieren sich in ihren Gemeinden, die vielen Kirchenaustritte als Protesthaltung haben ihre Spuren hinterlassen, und noch immer ist ein Ende dieser Welle nicht in Sicht. Auch wenn es zu diesen Strategieprozesse hin zu großen Pastoralen Einheiten keine Alternative gibt und diese Entwicklungen systematisch angegangen werden müssen – sollten wir nicht viel mehr von der Schönheit unseres Glaubens sprechen?
Cenoz Larrea: Natürlich. Bei aller Notwendigkeit, neue Strukturen den rückläufigen Priesterzahlen anpassen zu müssen, ist es unverzichtbar, immer wieder neu unseren Glauben ins Gespräch zu bringen. Ein Beispiel: Zu Pfingsten gab es in Neviges ein Wochenende für Jugendliche, bei dem sie vor allem über ihren Glauben gesprochen und viele von ihnen auf diese Weise auch ein Glaubenszeugnis gegeben haben. Daraus ist am Ende ein richtiges Glaubensfest geworden, und man konnte die Freude dieser jungen Leute am Glauben förmlich mit den Händen greifen.
Wenn wir nur den Gedanken zulassen, dass Gott einen Mehrwert in unserem Leben darstellt, dann erfahren wir Kirche nicht nur als eine Institution, die einengt und bevormundet, sondern als eine Gemeinschaft von Menschen, die Gott in ihrem Leben erfahren, die sich von ihm geführt erleben und auch eine Antwort auf existenzielle Fragen bekommen.
Shimizu: Als Priester ist es mein vorrangiger Wunsch, Gottesbegegnung zu ermöglichen – nicht nur in den Sakramenten, sondern auch in anderen Formen kirchlichen Lebens. Trotzdem sollen diese Strukturdebatten, die viel Energie und Nerven kosten, nicht unter den Tisch fallen oder schön geredet werden.
Aber auch ich bin davon überzeugt, dass das persönliche Glaubenszeugnis Priorität hat, absolut notwendig bleibt und in diesen Diskussionen nicht untergehen darf. Jeder für sich genommen ist ja eigentlich schon ein unverzichtbarer lebendiger Zeuge des Glaubens. Allein schon diese Tatsache ist doch lebensnah, motivierend und kann auch andere anstecken.
DOMRADIO.DE: Sie widmen Ihr Leben Gott und der Kirche. Von welcher Kirche träumen Sie?
Da Rin Zanco: Ich träume von einer Kirche, die aus kreativen Minderheiten besteht, das heißt, dass für sie nicht allein die Zahlen relevant sind, sondern sie den Mut hat, den Glauben auch mit wenigen authentisch zu leben und zu bezeugen; die als Salz der Erde, Licht der Welt und Sauerteig in unserer Welt wirkt; die identitätsstiftend ist und auf das Innenleben des Glaubens schaut.
Cenoz Larrea: Ich träume von einer Kirche, in der die Menschen bei Gott Halt und Orientierung finden, in der sie sie selbst sein können, ohne sich rechtfertigen, eine Maske tragen oder beweisen zu müssen, dass sie gut so sind, wie sie sind. In der Kirche, wie ich sie mir wünsche, kann jeder von uns eine tiefe, ganz individuelle und persönliche Beziehung zu Gott entfalten.
DOMRADIO.DE: Welche Eigenschaften eines Seelsorgers sind heute unverzichtbar, wenn er die Einheit der Gläubigen bewahren will?
Shimizu: Das Fundament für mein Priestertum ist eine lebendige Beziehung zu Christus. Und dann sollte ein Seelsorger offen auf die Menschen zugehen können, zugewandt, interessiert und neugierig sein, aber auch die Fähigkeit mitbringen, unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Meinungen, Positionen und Eigenheiten zusammenzuführen und zwischen ihnen zu vermitteln, ohne einseitig Partei zu ergreifen. Er sollte im eigentlichen Sinne Brückenbauer sein.
Cenoz Larrea: Die eigene persönliche Christusbeziehung ist Voraussetzung, um meinen Glauben mit anderen teilen zu können. Als Priester können wir nichts geben, was wir nicht auch selbst empfangen haben. Das heißt, selbst wenn die pastoralen Einheiten immer größer werden, sollte sich ein Priester immer noch genügend Zeit für den Einzelnen nehmen, weil viele Gläubige darunter leiden, dass es oft keinen Seelsorger mehr vor Ort gibt, mit dem man nach der Messe vielleicht noch über ein persönliches Anliegen sprechen kann.
Insofern sollten wir auch in großen pastoralen Räumen nie den Einzelnen aus dem Blick verlieren und ihm jederzeit vermitteln, er geht in der großen Menge nicht verloren, sondern wird – trotz allem – gesehen. Das ist sicher eine große Herausforderung, aber es lohnt sich.
DOMRADIO.DE: An diesem Freitag ist es soweit: Sie sprechen im Kölner Dom Ihr „Adsum“ und der Kölner Erzbischof wird Ihnen die Hände auflegen. Was bewegt Sie, wenn Sie an diesen entscheidenden Moment denken?
Da Rin Zanco: Mich bewegt dasselbe, was auch Brautleute bewegt, wenn sie sich das Ja-Wort geben: die Freude, jemandem anzugehören und sich ihm ganz hingeben zu dürfen.
Cenoz Larrea: Bereits die Diakonenweihe hat mein Leben verändert, um wie viel radikaler wird es nun die Priesterweihe tun. Meine Familie wird da sein, meine Eltern, die mir nicht nur das Leben, sondern auch ihren Glauben geschenkt haben, und dann auch meine Brüder und Schwestern aus der neokatechumenalen Gemeinschaft, die mich auf meinem Weg bis hierhin vor allem im Gebet begleitet haben.
Ich stehe vor dem Erzbischof und vor der Kirche, verspreche Ehrfurcht und Gehorsam in dem Wissen, dass mich die Kirche niemals im Stich lässt. Deshalb legen wir auch unsere Hände in die des Bischofs. Denn er ist für uns Vater und Mutter Kirche zugleich.
Shimizu: Ich werde total aufgeregt und überfordert sein – nicht nur, weil ich vor unserem Erzbischof stehe, sondern viele Menschen da sein werden, die mich im Leben begleitet haben und mich Takuro Johannes mit allen meinen Stärken und Schwächen kennen. Andererseits werde ich aus tiefster Überzeugung und mit Freude in diesem Moment sagen: Ja, Herr, hier bin ich, du hast mich gerufen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.