“Der liebe Gott ist katholisch”, scherzt Dompropst Guido Assmann. Optimistisch schaut er um 9.40 Uhr zum Himmel, wo noch ein paar dunkle Wolken bedrohlich dunkel über dem Roncalliplatz hängen. "Alles wie geplant, auch die Prozession kann stattfinden", versichert er voller Zuversicht kurz vor Beginn der großen Festmesse. "Da bekommt man wenigstens keinen Sonnenstich", ergänzt er lachend. Dennoch habe er vorsichtshalber Lichtschutzfaktor 50 aufgetragen. Man wisse ja nie. Recht hat er. Im letzten Jahr hatte die Sonne bei diesem Freilichtgottesdienst vor dem Südportal des Kölner Domes derart unbarmherzig geknallt, dass sich etliche Prälaten einen Sonnenbrand zugezogen und auch die vielen kleinen Sängerinnen und Sänger der Domchöre in der sengenden Hitze an die Grenzen ihrer Kondition gekommen waren.
Doch diesmal – so stellt sich schnell heraus – sind die Witterungsbedingungen optimal. Es geht ein feines Lüftchen, die Temperaturen sind angenehm, und auch die vielen Besucher, die rechtzeitig einen guten Platz mit Blickkontakt zum Altar direkt hinter den Absperrungen ergattert haben und im wahrsten Sinne des Wortes viel Stehvermögen mitbringen müssen – immerhin dauert allein der Gottesdienst gut anderthalb Stunden – sind diesmal keiner intensiven Strahlung ausgesetzt. Und so erklärt am Ende einer fast dreistündigen Fronleichnamsliturgie mit Prozession durch die Altstadt und einer Statio an der Minoritenkirche auch Erzbischof Woelki sichtlich erleichtert und gut gelaunt: "Der liebe Gott ist wirklich einer von uns." Wer heute Morgen noch gezweifelt habe, dass es womöglich regnen könnte, sei eines Besseren belehrt worden. "Was lernen wir daraus? Man kann ihm vertrauen – nicht nur beim Wetter, sondern ganz grundsätzlich", fügt er schmunzelnd noch hinzu.
"Heiliges Spiel" ist großes Kino
Soeben hat er das "Te Deum" angestimmt und dann den vielen tausend Menschen in der inzwischen sonnenhell erleuchteten Kathedrale mit der kostbaren Monstranz, die er unter dem Baldachin die letzte Etappe am Domforum vorbei in den Dom getragen hat, den eucharistischen Segen gespendet. Dabei steht er in dichten Weihrauchschwaden und wendet sich ein letztes Mal an die vielen Menschen aus allen Teilen des Erzbistums, die sich zu dichten Trauben in den Seitenschiffen drängen oder niederknien: politische und gesellschaftliche Prominenz genauso wie Gläubige aller Generationen aus den Innenstadtpfarreien Kölns oder den muttersprachigen Gemeinden der internationalen Seelsorge im Erzbistum. Dann die beiden großen Domchöre, die Seminaristen, Diakone und Priester, die unzähligen Vertreter der Verbände, Gremien, Orden und Grabesritter, der Malteser, Studentenverbindungen, Handwerksinnungen und Karnevalsgemeinschaften. Nicht zu vergessen die Kommunionkinder und ihre Familien sowie viele, die einfach nur so kommen, weil ihnen die Demonstration ihres öffentlichen Glaubenszeugnis viel bedeutet und sie dieses unvergleichliche Gemeinschaftserlebnis – dieses "heilige Spiel" hat schließlich etwas von ganz großem Kino – mit großer Anteilnahme mitfeiern.
Gläubige kommen aus Nah und Fern
Einmal im Jahr jedenfalls ist der Dom so voll, als fielen Weihnachten und Ostern zusammen. Aus Nah und Fern kommen die Gläubigen, denen dieser Feiertag noch etwas wert ist, hier zusammen. Aber auch Touristen und neugierige Zufallspassanten sind auf den Beinen, die zuvor den Platz zwischen den Baustellen des Domhotels und des Römisch-Germanischen Museums als Schaulustige gesäumt, sich der nicht enden wollenden Prozession angeschlossen haben und schließlich unter Orgelbrausen und Glockengeläut in die Kathedrale einziehen. Hier gibt es den letzten Gänsehautmoment, wenn die ganze Gemeinde zum großen Finale aus voller Kehle "Großer Gott, wir loben dich" anstimmt.
"Das ist einfach mit nichts zu vergleichen", schwärmt ein Mann, etwa Mitte 70, mit Tränen in den Augen. Dafür lohne es sich auch, früh aufzustehen und eine zweistündige Autofahrt auf sich zu nehmen. So kenne er das aus seiner Kindheit. "Viele Leute, viel Weihrauch. Rite et recte muss es sein. Fronleichnam in Köln – das gibt mir Kraft für die nächste Durststrecke."
Auch Christoph Hoyer ist jedes Mal wieder aufs Neue begeistert. Der 34-Jährige hat lange Zeit in Düsseldorf gelebt. "Hier habe ich das Kölner Fronleichnamsfest kennen- und liebengelernt. Seitdem lässt es mich nicht mehr los." Nun sei er eigens aus Frankfurt gekommen. "Dieses beeindruckende Glaubensfest lasse ich mir nicht entgehen."
Die beiden Freundinnen Christa Wirtz und Ursula Paetzold aus Neubrück stehen ebenfalls in jedem Jahr weit vor Messbeginn an der Rampe. Ihnen imponiert, dass hier Menschen ihren Glauben öffentlich zeigen. "Das finde ich unterstützenswert", argumentiert Paetzold. "Schließlich darf nicht überall auf der Welt Religion ausgeübt werden." Einzigartig findet auch sie diesen Tag auf dem Roncalliplatz unmittelbar am Dom. "Hier gibt es heute viel zu sehen. Trotzdem ist es kein Event für Spaßleute. Den Menschen, die an diesem Gottesdienst teilnehmen, sieht man an, dass sie sich davon innerlich bewegen lassen."
Auch Vera und Wilhelm Deppe aus Braunsfeld sind zum wiederholten Mal mit dabei. Sie bedauern, dass es in ihrer eigenen Pfarrei St. Pankratius schon einige Jahre keine eigene Fronleichnamsprozession mehr gibt. Und da ihnen aber wichtig sei, den Herrn in der Eucharistie durch die Straßen zu tragen, wie sie sagen, würden sie sich nun dem Dom anschließen. "Schließlich ist es doch ein bedeutsames Hochfest im Kirchenjahr, bei dem die Gegenwart unseres Herrn öffentlich gezeigt wird. Dieses Bekenntnis liegt uns am Herzen."
Bleibende Gegenwart Jesu Christi in den eucharistischen Gaben
Von der bleibenden Gegenwart Jesu Christi spricht auch Kardinal Woelki in seiner Predigt und betont, dass sie auf dichteste Weise in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein zum Ausdruck komme, die Jesus als sein kostbarstes Vermächtnis hinterlassen habe. "Im Zeichen des Brotes reicht uns der Herr also seinen Leib als Speise, und indem wir ihn essen, verleibt er sich uns ein. Ein Leib werden wir mit ihm, wie das die Heilige Schrift sagt", führt der Erzbischof wörtlich aus. Das sei nicht einfach nur ein Bild oder eine Wunschvorstellung, sondern eine Wirklichkeit, wie sie nur von Gott her möglich sei. "Denn im eucharistischen Brot reicht er uns nicht einfach nur ein Zeichen seines Leibes, sondern er reicht uns dort wirklich seinen Leib, das heißt, sich selbst leibhaftig. Und im Kelch reicht er uns im Wein nicht einfach nur ein Zeichen seines Blutes, nein, er lässt uns vielmehr wirklich sein Blut trinken, das er am Kreuz für uns vergossen hat. So gibt er uns Anteil am Heil, das er durch seinen Kreuzestod für uns erworben hat. Sein Blut ist das Blut des Bundes, in dem Gott uns mit sich auf ewig verbunden hat."
Im Zeichen des Brotes sei Jesus sichtbar, greifbar, berührbar und sogar als Speise essbar. "Er ist das große Ja Gottes zu uns: das Brot, von dem wir leben." Und das nähre, "damit wir leben und das Leben in Fülle haben und zu diesem Leben in Fülle gelangen. Leben und Lebensfreude gehören deshalb untrennbar zur Eucharistie." Weiter erklärt Woelki: "Lebensfreude ist ein Grundzug des Christen überhaupt. Vom Ja Gottes getragen und vom Brot des Lebens genährt und gestärkt, kann ihm das Leid, das ihn trifft, zwar zusetzen, sogar arg zusetzen, aber die Freude kann das Leid nicht zerstören. Leben und Lebensfreude sind Gaben zum Weitergeben." Lebensfreude ersticke indes, wenn sie egoistisch eingeschlossen bleibe und nicht weitergeschenkt werde.
An Fronleichnam werde dankbar das „Ja“ Gottes zu den Menschen gefeiert, "das er in seinem Sohn Jesus Christus zu uns gesprochen hat und das uns im eucharistischen Brot von ihm zur Speise gereicht wird. Durch dieses Brot leben wir nicht nur für eine bestimmte Zeit, wie man vielleicht meinen könnte, nein, ewig." Diese Verheißung sei aller Grund zur Freude, die durch die Fronleichnamsprozession zum Ausdruck komme. "Wir leben vom Ja Gottes zu uns, und wir freuen uns daher unseres Lebens."
Woelki beendet seine Predigt mit einem deutlichen Appell an seine Zuhörer: "Schenken wir dieses Ja zum Leben und damit eben auch unsere Lebensfreude weiter und treten wir damit dem heute immer wieder lautstark gelebten Nein zum Leben – im Krieg, in Terror, in der ungerechten und ungleichmäßigen Verteilung der Güter unserer Erde – entgegen! Gebieten wir dem Nein zum Leben Einhalt, überall dort, wo es bedroht ist, insbesondere das menschliche Leben, das bedroht ist in seinen Anfängen und am Ende."
Ganz für den Schluss dieses Festgottesdienstes, als er jedem Einzelnen ausdrücklich für sein Kommen dankt, hebt sich der Kardinal noch eine weitere Botschaft auf. Wenn der Wunsch Jesu sei, hinaus in alle Welt zu gehen, die Menschen zu taufen und sie zu seinen Zeugen zu machen, zu Jüngerinnen und Jüngern, so Woelki, "dann sollten wir versuchen, dem zu entsprechen."
Entscheidend sei dabei immer das eigene Zeugnis. Aber das sei das, was einen anderen trage, unterstreicht er. "Ich wünsche uns, dass wir solchen Menschen begegnen, die spüren, dass wir für Christus brennen, weil wir nur brennend, wie der Heilige Augustinus einmal gesagt hat, andere entzünden können." Abschließend ruft er dazu auf: "Teilen wir dieses Feuer, wärmen wir einander, leuchten wir füreinander, helfen wir einander, den Weg zu finden in der Gemeinschaft der Kirche, gemeinsam mit dem Heiligen Vater, Christus entgegen. Das ist unser Lebensziel."