Was ist die tiefere Bedeutung von Fronleichnam?

"Das Mysterium der realen Gegenwart"

Fronleichnam ist das Fest der Dankbarkeit und Freude, so der Wiener Dogmatikprofessor Jan-Heiner Tück. Doch ist die Eucharistie an diesem Hochfest zum Verkosten oder zum Anbeten da? Ein Interview über die Bedeutung des Festes.

Prozession mit einer Monstranz (shutterstock)

Das Gespräch wurde bereits am 08.06.2023 auf DOMRADIO.DE veröffentlicht.

DOMRADIO.DE: Was soll denn eigentlich Fronleichnam zum Ausdruck bringen?

Jan-Heiner Tück, Professor für Dogmatische Theologie an der Universität Wien / © Dieter Mayr (KNA)
Jan-Heiner Tück, Professor für Dogmatische Theologie an der Universität Wien / © Dieter Mayr ( KNA )

Prof. Dr. Jan-Heiner Tück (Wiener Dogmatikprofessor): Zunächst soll das Fest Dankbarkeit und Freude zum Ausdruck bringen. Christus ist mit dem wandernden Gottesvolk der Kirche als "Immanuel" unterwegs. Das bringen ja auch die Prozessionen sichtbar zum Ausdruck.

Zugleich ist das Fest heutzutage, denke ich, auch eine produktive Unterbrechung. Es soll uns bewusst machen, was wir da tun, wenn wir zur Kommunion gehen und das Allerheiligste empfangen. Dieses Brot ist kein gewöhnliches Brot, es ist das Allerheiligste, Christus selbst. Seine verborgene Gegenwart unter uns bildet das Zentrum des Festes.

DOMRADIO.DE: Es gibt aber auch einige Kollegen von Ihnen, die ein bisschen das Festgeheimnis kritisieren. Die sagen, die Eucharistie sei in erster Linie zum Verkosten und nicht zum Anbeten da, also zum Umhertragen mit einer Monstranz. Wie stehen Sie denn dazu?

Tück: Die Kritik ist natürlich partiell berechtigt, weil eine Isolierung der Schaufrömmigkeit den Gemeinschaftscharakter der Eucharistie verblassen lässt. Ich wäre trotzdem zurückhaltend, das Verkosten gegen die Anbetung auszuspielen. Warum? Weil Kommunion und Anbetung sich eigentlich komplementär gut ergänzen können.

 

Denn wissen wir wirklich, was wir tun, wenn wir zur Kommunion gehen? Realisieren wir in den wenigen Augenblicken des Empfangs, wen wir da empfangen? Kann es nicht gut sein, uns das quasi auch noch einmal eigens bewusst zu machen, indem wir uns vor dem Allerheiligsten sammeln und uns gewissermaßen die Präsenz Jesu Christi vor Augen führen?

Das kann gerade auch in den beschleunigten, postmodernen Lebenswelten eine heilsame Unterbrechung sein, sich quasi vor der Mitte sammeln zu lassen.

DOMRADIO.DE: Gucken wir mal auf das Festgeheimnis selbst. Der Wochentag legt ja schon nahe: Es hat vermutlich irgend etwas mit dem Gründonnerstag zu tun. Warum braucht es hier noch ein weiteres Hochfest, um diesen Gründonnerstag noch einmal auszudeuten? Wo liegt der Unterschied?

Fronleichnamsprozession / © Lars Berg (KNA)
Fronleichnamsprozession / © Lars Berg ( KNA )

Tück: Gründonnerstag ist natürlich passionstheologisch eingefärbt. Die Passion wirft ihren Schatten voraus. In der Karwoche geht es eher still zu. Das Fronleichnamsfest setzt hier andere Akzente. Es geht letztlich um Freude und Dank über die Gabe der realen Gegenwart Christi in der Eucharistie. Das wird besonders auch in den eucharistischen Hymnen des Thomas von Aquin deutlich, der ja im Auftrag von Urban IV. die Partitur für das Fest entwickelt hat.

Urban IV. hatte bei der Einführung des Festes drei Anliegen: Das erste war, eucharistische Irrlehren zurückzuweisen, also Irrlehren, die die Realpräsenz abschwächen. Zweitens die mangelnde Andacht wiedergutzumachen, also gegen allzu ritualisierte und routinierte Frömmigkeit, um das Geheimnis der Realpräsenz neu bewusst zu machen. Und drittens eben auch die Tonalität der Dankbarkeit und Freude gegenüber Gründonnerstag zum Ausdruck zu bringen. Und wenn man sich schon die Rhetorik dieser Bulle von Urban IV. anguckt, ist sie voll mit stilistischen Wendungen, die das Freudige, Festliche zum Ausdruck bringen.

DOMRADIO.DE: Eucharistie und auch Fronleichnam steht im Zusammenhang mit einem Begriff, nämlich Transsubstantiation. Wie erklärt man das heutigen Menschen?

Tück: Der Begriff Transsubstantiation ist natürlich schon ein Zungenbrecher, wenn man ihn auszusprechen versucht. Er versucht begrifflich klar zu bezeichnen, wie Realpräsenz Christi in den konsekrierten Gaben von Brot und Wein zu denken ist. Im Hintergrund stehen die mittelalterlichen Abendmahlstreitigkeiten. Da ging es um die Frage: Ist Christus wirklich (in veritate) oder nur symbolisch (in signo) in der Eucharistie gegenwärtig?

Auf der einen Seite gab es einen krassen Realismus, der sagte, Christus wird mit den Zähnen zerkaut. Auf der anderen Seite stand ein Spiritualismus, der den Glauben an die Realpräsenz abschwächt und sagt: Brot und Wein sind lediglich Erinnerungszeichen.

Jan-Heiner Tück

"Christus ist nach der Wandlung der Substanz, also dem Wesen nach da, aber die Akzidenzien von Brot und Wein, also das, was man sieht und schmeckt, bleibt genauso, wie es ist."

Die scholastische Theologie, also vor allem Bonaventura und Thomas von Aquin, geht hier einen Mittelweg und versucht, diese beiden Extreme zu vermeiden. Sie greifen dazu auf die Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz zurück. Transsubstantiation, das meint nun, die Konsekration von Brot und Wein führt zu einer Wandlung der Substanz. Die Wirklichkeit von Brot und Wein wird in die Wirklichkeit Jesu Christi gewandelt; und zwar immer dann, wenn der Priester nicht im eigenen Namen, sondern im Namen Jesu Christi, die verba testamenti spricht: "Dies ist mein Leib für euch." Diese Wandlung ist aber jetzt nicht im Sinne eines krassen Realismus zu verstehen, also so, als würden wir Christus mit den Zähnen zerkauen, sondern Christus ist nach der Wandlung der Substanz, also dem Wesen nach da, aber die Akzidenzien von Brot und Wein, also das, was man sieht und schmeckt, bleibt genauso, wie es ist.

DOMRADIO.DE: Die Akzidenzien sind dann so etwas wie die biologische Substanz?

Tück: Die Akzidenzien sind die Gestalten von Brot und Wein. Man spricht auch von Species, die bleiben dann ohne Träger erhalten. Darin besteht eben das Besondere. Aber die Substanz wandelt sich. Jesus Christus ist in den Gestalten von Brot und Wein substantialiter et realiter da. Um es einmal anders zu sagen, also der physisch Abwesende gibt seine Gegenwart und wird in Brot und Wein anwesend. Allerdings, wie Thomas sagt, sacramentaliter, nicht corporaliter. Deswegen werden hier Vorstellungen von Anthropophagie, also Menschenfresserei, klar abgewiesen. Es geht darum, Jesus Christus, den Erhöhten, in den eucharistischen Gestalten zu empfangen. Er ist real da, aber eben im Geheimnis des Sakraments.

DOMRADIO.DE: Jetzt schauen wir einmal auf die Geschichte der Fronleichnamsprozession. Da gab es ja früher viel an Glaubensdemonstrationen in der Öffentlichkeit. Das wird heute zunehmend schwieriger. In Basel zum Beispiel findet das erste Mal seit den 30er-Jahren wieder eine große öffentliche Fronleichnamsprozession statt. Da sollen neben der Mitnahme einer Monstranz auch alte Formen der Fronleichnamsprozession in die heutige Zeit übersetzt werden, um es den Menschen weiterhin verständlich zu machen. Was denken Sie, welche Mittel sind denn hier geeignet?

Tück: Ich bin ehrlich gesagt über die Hintergründe der Fronleichnamsprozession in Basel gar nicht so informiert. Ich würde allerdings sagen, dass die Demonstration des Katholischen, die oft auch etwas Triumphalistisches und Konfessionalistisches hatte, heute überwunden werden sollte. Gleichzeitig würde ich sagen, Monstranzen zeigen durch ihre außergewöhnliche Gestaltung die Präsenz des Allerheiligsten an und bieten hier schon rein optisch eine Unterbrechung des Normalen.

Jan-Heiner Tück

"Der Katholizismus ist nicht mehr die dominierende Kraft in vielen Regionen. Insofern wird man sich um zeitsensible und ökumene-verträgliche Neugestaltungen der Prozession bemühen müssen, um nicht unnötig oder auf ungute Weise zu provozieren."

Deswegen würde ich heute durchaus diese alten Insignien beibehalten, die eben deutlich machen, es geht hier um die Anbetung der verborgenen Gegenwart Christi. Klar sind wir heute mit Transformationsprozessen von Religion konfrontiert. Der Katholizismus ist nicht mehr die dominierende Kraft in vielen Regionen. Insofern wird man sich um zeitsensible und ökumene-verträgliche Neugestaltungen der Prozession bemühen müssen, um nicht unnötig oder auf ungute Weise zu provozieren.

Dennoch, würde ich sagen, kann das Fest nach wie vor deutlich machen, dass es neben dem Mahl- und Gemeinschaftscharakter der Eucharistie eben auch darum geht, sich folgendes immer neu ins Bewusstsein zu rufen: Wir feiern dankbar das Mysterium der realen Gegenwart Jesu Christi – und das wird in den kostbar gestalteten Monstranzen, die oft dazu noch unter einem Baldachin getragen werden, sichtbar inszeniert.

DOMRADIO.DE: Auch wenn sich das säkulare Umfeld offensichtlich immer schwerer mit diesen katholischen Traditionen tut, Künstler und Literaten zeigen sich immer wieder von katholischen Riten und Traditionen fasziniert. Was ist denn jetzt an einer Monstranz so magisch anziehend? Was denken Sie?

Tück: Der Goldglanz einer Monstranz kann optisch schon faszinieren, genauso wie andere Alteritätsinsignien wie das ewige Licht vor dem Tabernakel, dem Zelt, in dem das Allerheiligste aufbewahrt wird. Man sollte vorsichtig sein, das gleich als blanken Ästhetizismus beiseite zu schieben. Ich erinnere nur an Peter Handke, der in seiner Lehre der Saint-Victoire, seiner Poetik, eine Reminiszenz an seine Kindheit drin hat, wo er schreibt: Das Allerheiligste, was ich da sah, erschien mir als "das Allerwirklichste". Und er hat dann mit der ihm eigenen Sprache diesen Eindruck der Alterität, der durch den Goldglanz und die feierliche Umrahmung des Tabernakels zum Ausdruck kommt, passgenau beschrieben. Und in dieser gelassenen Betrachtung der verborgenen Gegenwart steckt durchaus auch etwas Kritisches im Blick auf die Leistungs- und Funktionsimperative drin.

Jan-Heiner Tück

"Die reale Gegenwart, die uns hier in der Eucharistie gegeben wird, ohne dass wir etwas tun müssten, um die wir uns versammeln dürfen, entlastet uns auch von dem, was uns in den Alltags- und Berufswelten permanent abverlangt ist, dass wir zunächst etwas leisten müssen, bevor wir etwas bekommen."

Die reale Gegenwart, die uns hier in der Eucharistie gegeben wird, ohne dass wir etwas tun müssten, um die wir uns versammeln dürfen, entlastet uns auch von dem, was uns in den Alltags- und Berufswelten permanent abverlangt ist, dass wir zunächst etwas leisten müssen, bevor wir etwas bekommen. Hier wird uns die Gabe der Gegenwart, "das Allerwirklichste" (Handke), gratis gewährt – und wir sind eingeladen, uns darauf einzulassen und dann in der Kommunion sogar selbst mit diesem Allerwirklichsten in innigste Verbindung zu treten und uns verwandeln zu lassen, was im übrigen ja auch einen eschatologischen Fluchtpunkt hat.

Wer hier und heute kommuniziert, hat schon den Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit verkostet, wenn man so will. Ihm ist hier und heute schon etwas gegeben, was ihn dann auch über die Bruchlinie des Todes hinaus retten und vollenden wird. So zumindest die Hoffnung, die mit der Eucharistie als signum prognosticum verbunden ist.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Vertiefende Informationen erhalten Sie in dem Buch: Jan-Heiner Tück, Gabe der Gegenwart. Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin, Freiburg 2016.

Fronleichnam

Am zweiten Donnerstag nach Pfingsten feiert die katholische Kirche das Fest Fronleichnam. Der Name bedeutet übersetzt so viel wie "Fest des Leibes und Blutes Christi". Er leitet sich ab aus dem Althochdeutschen. Dabei steht "vron" für "Herr" und "licham" für "Leib".

 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR