Ehrenamtliche Formularlotsen helfen durch den Ämterdschungel

"Der Andrang ist sehr groß"

Bürger- oder Kindergeld zu beantragen ist herausfordernd, wenn man das Beamtendeutsch nicht versteht. Petra Kolze engagiert sich im ökumenischen Projekt Formularlotsen. Sie hilft durch die komplexe Welt deutscher Bürokratie.

Frau sortiert Dokumente  (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Einmal pro Woche nehmen Sie sich zwei Stunden Zeit, um Menschen beim Ausfüllen von Formularen zu helfen. Wie genau müssen wir uns das vorstellen? 

Petra Kolze (ehrenamtliche Formular-Lotsin): Alles ist möglich: Man bekommt einen Termin, man kann aber auch ohne Termin erscheinen. Manche kommen sehr gut sortiert mit vielen Papieren an, manche bringen einen ganzen Ordner mit. Manche bringen ungeöffnet Briefumschläge mit. Also, da finden wir eigentlich alles vor. 

DOMRADIO.DE: Was sind denn die Hauptschwierigkeiten der Klienten und Klientinnen? 

Kolze: Ich glaube, die Hauptschwierigkeiten sind zu verstehen, was man von ihnen möchte. Sie nehmen ihre Lebenssituation wahr, dass es mit dem Geld nicht reicht und dann wird ihnen von irgendjemandem gesagt: "Aber du kannst doch das und das beantragen." 

Und dann gehen sie irgendwo hin und werden dort weitergeleitet oder auch nicht. Sie kommen meist zu uns, wenn sie schon irgendwo anders gewesen sind - teilweise auch schon mit vorbereiteten Formularen, wo ihr Name drin steht und sonst nichts. Und dann bitten sie uns, alles andere auszufüllen. 

Je nachdem, was Sie an Papieren da haben, können wir das auch gleich machen. Oder wir sagen, sie müssen noch mal wiederkommen und die und die Papiere fehlen noch. Wir versuchen, den Antrag vollständig auszufüllen, denn nur dann wird er ja auch bearbeitet, und wir wollen, dass sie zu ihrem Recht, zu ihrem Geld kommen, das Sie benötigen. 

DOMRADIO.DE: Wie lange dauert es beispielsweise einen Bürgergeld-Antrag auszufüllen? 

Petra Kolze

"Wir wissen, ob sie geschieden oder verwitwet sind oder ob sie Kinder von verschiedenen Männern haben. Und das ist ja eine nicht ganz einfache Situation."

Kolze: Wenn die Unterlagen einigermaßen vorbereitet sind, dauert es ungefähr eine Stunde. Das hängt auch damit zusammen, dass wir nicht wie ein Roboter arbeiten und abfragen, sondern wir erfahren ja sehr viel über die Familien. 

Sie müssen ihre Vermögensverhältnisse offenlegen, sie müssen uns ihre Kontoauszüge vorlegen und so weiter. Und wir gucken dann, ob diese vollständig sind. Das heißt, wir erfahren natürlich sehr viel, was in diesen Bereichen passiert. 

Wir wissen, ob sie geschieden oder verwitwet sind oder ob sie Kinder von verschiedenen Männern haben. Und das ist ja eine nicht ganz einfache Situation, wir kennen diese Menschen ja nicht. Also versuchen wir natürlich auch, einen Raum zu schaffen, in dem sie sich wohlfühlen, wo sie sich öffnen, ein bisschen erzählen und wir die Situation einschätzen können. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, man schaut in das Leben der Menschen hinein. Das ist dann auch eine Frage von Vertrauen...

Petra Kolze

"Je besser man es geschafft hat, eine Beziehung herzustellen, desto leichter fällt es, miteinander zu lachen."

Kolze: Ja, auf alle Fälle, natürlich. Man merkt auch, je besser man es geschafft hat, eine Beziehung herzustellen, desto leichter fällt es dann auch, dass man mal über bestimmte Sachen lachen kann. Und das Ausfüllen der Anträge ist von der Zeit her natürlich sehr unterschiedlich. 

Wenn Sie zum Beispiel an den Kinderzuschlag denken und jemand mit einem Kind kommt, ist es relativ schnell gemacht. Aber es gibt ja auch Familien, die sehr viele Kinder haben, und für jedes Kind muss ein extra Antrag gestellt werden. Dann zieht sich das natürlich hin. 

Petra Kolze

"Ich bekomme natürlich eine unendliche Erleichterung in den Gesichtern der Menschen zurück."

DOMRADIO.DE: Sie sagen, Sie sind nicht die Roboter. Sie sitzen da, übersetzen vielleicht nicht nur oder erklären ganz viel, sondern es geht auch darum, den Menschen die Angst zu nehmen vor der deutschen Bürokratie. Warum machen Sie das? 

Kolze: Ich mache das natürlich auch, weil ich es wichtig finde, dass Menschen etwas Sinnvolles im Leben tun. Das muss ja jeder für sich entscheiden, mit welchen Kompetenzen man sich einbringen kann, wie viel Zeit man hat und ob die Lebensumstände passen. Für mich passte es gut mit den Formularlotsen. 

Das zweite ist: Was bekomme ich zurück? Ich bekomme sehr viel zurück. Ich bekomme natürlich eine unendliche Erleichterung in den Gesichtern der Menschen zurück, wenn sie dann alles zusammen haben. Wenn wir ihnen sagen, dass jetzt alle Anträge vollständig sind, sie damit zur Post gehen, eine Briefmarke aufkleben und alles losschicken können. 

Das ist natürlich eine unheimliche Erleichterung. Und die Leute sind froh, dass dieser Akt, der sie so schwer belastet hat, nun ein Ende hat. 

DOMRADIO.DE:  Das sind ja manchmal auch ganz komplizierte Formulare. Gibt es denn eine Schulung für die Formularlotsen oder muss man es einfach schon können? 

Kolze: Nein, wir sind alle geschult worden, als das Projekt anfing. Bevor überhaupt die ersten Sitzung stattgefunden hat, gab es Schulungen über die verschiedenen Anträge. Da hatten wir auch immer die entsprechenden Ansprechpartner. 

Das heißt, wir haben häufig die Leiterinnen und Leiter der Ämter da gehabt, von der Stadtverwaltung Bremerhaven oder von der Arbeitsagentur, die dann diese Anträge mit uns durchgegangen sind; die gesagt haben, was wichtig ist, worauf wir achten sollen und was wie zu verstehen ist; was wir auch mal beiseite lassen können und sowas. 

Da sind wir alle geschult worden und es finden auch immer noch wieder Schulungen statt. Es gibt ja auch immer wieder neue Anträge. Für Elterngeld zum Beispiel gibt es jetzt wieder einen neuen Antrag. 

DOMRADIO.DE: Ist denn der Andrang groß? Wird das Angebot angenommen? 

Kolze: Ja, sehr. Es spricht sich herum, dass man hier Hilfe bekommt und viele trauen sich dann oft zu uns zu gehen, weil sie von anderen gehört haben, dass sie auch hier waren und es überhaupt kein Problem ist. Von daher ist der Andrang sehr groß. 

Das Interview führte Elena Hong. 

Quelle:
DR