Immer mehr Hinweise lassen darauf schließen, dass die katholische Kirche in Frankreich unter einer Art bipolarer Störung leidet. Liberale und traditionalistische Kräfte kommen immer schlechter miteinander aus.
Der spektakuläre Sturz des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit im vergangenen Herbst - vordergründig über eine angebliche Frauengeschichte, hintergründig über seine Schritte gegenüber dem traditionalistischen Kirchenflügel - ließ erahnen, dass das noch nicht das Ende der Auseinandersetzungen sein dürfte. Nun gärt es gleich an mehreren Orten in der Priesterausbildung.
Aussetzung von Weihen in französischem Bistum
Die Nachricht schlug Anfang Juni wie eine Bombe ein: Vier vatikanische Behördenleiter ordneten schriftlich die Aussetzung von vier Priester- und sechs Diakonenweihen in der südfranzösischen Diözese Frejus-Toulon an; ohne Angaben von Gründen. Im Bistum zeigte man sich entsetzt; verwies auf die existenzielle Verunsicherung der Kandidaten - und betonte, es handele sich nur um einen Aufschub, keine Absage.
Inzwischen hat sich der Pulverdampf etwas gesetzt und ein klareres Bild zeichnet sich ab. Das Bistum im Departement Var ist seit etwa zwei Jahrzehnten eine regelrechte Priesterschmiede mit sehr hohen Weihezahlen; es gilt daher auch als eine "lebendige Quelle der Neuevangelisierung" - eigentlich ein Hauptanliegen der Päpste seit Johannes Paul II. (1978-2005).
Dafür nimmt der Bischof von Frejus-Toulon, Dominique Rey (69), seit seinem Amtsantritt 2000 auch zahlreiche Kandidaten aus dem Ausland auf und beherbergt in seiner Diözese nicht weniger als 20 sogenannte Neue Geistliche Gemeinschaften, mit einem sehr breiten spirituellen Spektrum.
Die liberale katholische Zeitung "La Croix" hat den Hintergründen im Var seit Wochen intensive Recherchen und mehrere Titelgeschichten gewidmet. Demnach hat der Vatikan Bischof Rey in den vergangenen Jahren mehrfach ermahnt, sein Ausbildungs- und Weihe-Management zu überdenken. Den Recherchen zufolge wurden wiederholt dort geweihte Priester als Missbrauchstäter straffällig. Andere setzten sich nach der Weihe aus der Diözese ab und tauchten kirchenrechtlich unter; in zwei Fällen etwa unter die geistliche Obhut eines 1991 untergegangenen Klosters in der Ukraine.
Neue Geistliche Gemeinschaften im kirchenrechtlichen Zwielicht
Mehrere der ortsansässigen Neuen Geistlichen Gemeinschaften sind inzwischen ins kirchenrechtliche Zwielicht gerückt, meist in Zusammenhang mit sektiererischen Praktiken, geistlichem oder sexuellem Machtmissbrauch durch Gründergestalten oder andere ihrer Geistlichen. Mehrfach, so hieß es, habe der Vatikan den Bischof in den vergangenen Jahren gemahnt, seine ausgedehnte Weihepraxis sowie den Umgang mit geistlichen Gemeinschaften zu überdenken. In mehreren Fällen habe Rey Kandidaten trotz ausdrücklicher Warnungen aus seinem Umfeld geweiht.
"La Croix" zufolge sind von den vier Priesterweihekandidaten zwei italienische Franziskaner aus einer traditionalistischen Gemeinschaft, die gerade erst in einem Dorf des Bistums angekommen seien, außerdem ein ehemaliges Mitglied eines traditionalistischen Instituts und ein junger Lateinamerikaner. Nur letzterer habe das Diözesanseminar in Toulon besucht.
Ein weiteres, von Bischof Rey gefördertes und 2018 genehmigtes Instrument zu neuen Wegen der Verkündigung des Evangeliums ist laut "La Croix" die sogenannte "Missionarische Bruderschaft Maria, Mutter der Apostel", kurz "la Frat" genannt. Sie hat nach eigener Aussage "die Berufung, durch ein familiäres und apostolisches Leben monastischer Inspiration gemeinsam attraktive Pfarreien aufzubauen".
Allerdings seien in den vergangenen zwei Jahren mehr als ein Dutzend Beschwerden an das Bistum gegangen, nach denen Seelsorger der Gemeinschaft Unfrieden und Verwirrung in von ihnen betreute Pfarreien gebracht hätten.
Nicht alle bewerten die Vorgänge im Var so, auch in den Medien nicht.
Kritik am Vatikan
Der konservative "Figaro" kritisiert vor allem den Vatikan. Solange er nicht Ross und Reiter nenne, was dem missionarisch so engagierten Bischof Rey oder den Weihekandidaten konkret vorgeworfen wird, gebe es von "den Journalisten in Paris" nur die üblichen "Einbahnstraßen-Vorwürfe". Er schrieb von einer "Geiselnahme" der Priesteranwärter und von einem "autoritären und bisweilen erratischen Regierungsstil der römischen Kirchenleitung, bei dem es oft scheint, als wolle man die Errungenschaften der Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. wieder abbauen".
Der Bischof selbst spricht seit der Verschiebung der Weihe nicht mehr mit Journalisten, ebenso wie er den Weihekandidaten im Wartestand öffentliche Bekundungen untersagte. Mit dem Vatikan wolle er durchaus über die Angelegenheit sprechen, legte er nach. Ein enger Mitarbeiter sagte "La Croix", die spirituelle Vielfalt in der Diözese sei "eine Herausforderung; sie geht nicht ohne Schwierigkeiten, aber sie ist auch und vor allem ein Reichtum für das Bistum und für die Kirche".
Man habe den Umgang mit kritischen Fällen in den vergangenen Jahren "professionalisiert" und werde das weiter tun.
Einer der drei Generalvikare des Bistums, Jean-Noel Dol, forderte die Gläubigen auf, "kühlen Kopf zu bewahren". In der Kirche, so Dol, "stellen wir keine Petitionen auf; wir warten zuversichtlich, was die Behörden entscheiden werden." Diese Botschaft richtete sich wohl vor allem an die Unterstützer von Bischof Rey, die binnen einer Woche fast 10.000 Unterschriften gesammelt hatten, um Papst Franziskus ihr Unverständnis zu bekunden.
Unruhe auch im Bistum Toulouse
Unterdessen gärt es auch im südfranzösischen Erzbistum Toulouse. Dort hat der neue Erzbischof Guy de Kerimel den Priesteramtskandidaten und Diakonen seiner Diözese untersagt, die traditionelle lange Priestersoutane zu tragen. Es gehe für Seminaristen nicht vorrangig darum, bereits vor der Zeit einen "allzu klerikalen" Typus Priester zu verkörpern, sondern darum, die eigene Beziehung zu Christus in Demut zu festigen, argumentiert der seit Januar amtierende Bischof.
In Frankreich ist es vor allem die konservative Communaute de Saint-Martin, deren Kandidaten alle die Soutane tragen. Der Haken: Gerade diese Gemeinschaft bringt landesweit besonders viele Priesterberufungen hervor. Konservative Reaktionen in Sozialen Netzwerken und Medien waren zu erwarten. "Gängelung" und ein falsches Verständnis des Weiheamtes wird dem Erzbischof vorgeworfen. Die Soutane helfe den Seminaristen, sich in die Lage des Priesters hineinzuversetzen, so die Gegenargumentation.
Erzbischof de Kerimel steht mit seiner Haltung sinnbildlich für den Flügelkampf innerhalb der katholischen Kirche in Frankreich. Im Vorjahr, noch in seiner früheren Diözese Grenoble-Vienne, hatte er nach dem Papsterlass zur Einschränkung der vorkonziliaren Alten Messe die Tätigkeit der traditionalistischen Petrusbruderschaft in seinem Bereich beendet.
Überall Spannungen
Spannungen allenthalben. Die erlebten Frankreichs Bischöfe jüngst auch bei einer außerordentlichen Vollversammlung in Lyon. Auf der Tagesordnung stand, eine Bilanz des bisherigen landesweiten Synodalen Prozesses zu verfassen. Laien und Bischöfe berieten intensiv. "Nie zuvor hat die Kirche in Frankreich einen so radikalreformerischen Text verabschiedet", urteilte der konservative "Figaro".
Verheiratete Priester, Frauendiakonat, Transparenz in den Pfarreien, Neugestaltung der Liturgie: All diese Themen sind im französischen Papier abgebildet. Allerdings, so beeilte sich die Bischofskonferenz auf Anfrage zu betonen: Die Bischöfe machten sich keineswegs all diese Vorschläge zu eigen. Dies seien vielmehr die Themen, die in Lyon auf dem Tisch gelegen hätten. Umsetzung und Tempo von Reformen seien keine Angelegenheiten der nationalen Ebene.
Für einigen Wirbel sorgte ein zweites, nur unter den Bischöfen abgestimmtes Papier. Offenbar war es ursprünglich als Alternative zum nationalen Synthesepapier verfasst worden; ein Plan, der aber nach einer weiteren Diskussionsrunde mit den Delegierten verworfen wurde.
Buchstäblich über Nacht entstand ein gänzlich neues Bischofsdokument zu Zustand und Zukunft der Kirche in Frankreich, das einstimmig angenommen wurde und das der Episkopat nun dem offiziellen Synthesepapier als Begleitschreiben nach Rom beilegen will.