"Mit diesem Kongress wollen wir uns ein Stück der Zukunft zurückholen, die uns die gegenwärtig maßgebliche Generation gestohlen hat." Es sind nicht gerade kurz gesteckte Ziele, die bei der dreitägigen Online-Konferenz "Economy of Francesco" formuliert werden. In diesem Fall von der jungen Moderatorin eines Forums am Freitagnachmittag. Ausgehend von einer Idee des Papstes wird die vom Vatikan organisierte ursprünglich für März geplante Konferenz über sozial wie ökologisch nachhaltige Wirtschaftsformen im Internet nachgeholt.
Die einem kleinen Kirchentag nachempfundene Veranstaltung "Economy of Francesco" gibt rund 2.000 jungen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, Unternehmern und Aktivisten Gelegenheit, Möglichkeiten einer alternativen Wirtschaft im Sinne der Papst-Enzykliken "Laudato si" und "Fratelli tutti" zu entwickeln. Der "Francesco" des Kongresstitels ist allerdings der Heilige aus Assisi - nicht der Papst aus Buenos Aires.
Berichte über Forschungen und Projekte
Bekannte Globalisierungskritiker prangern Profitmaximierung an, so etwa Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus aus Bangladesch: Die Pandemie habe "sämtliche Schwächen des weltweit vorherrschenden Wirtschaftssystems" offenbart. Menschen, die ohnehin schon am Rand lebten, "fielen plötzlich ganz herunter - binnen weniger Wochen, weltweit".
Daneben berichten junge Frauen und Männer über ihre Forschungen und Projekte. Eine Brasilianerin referiert über ihre Masterarbeit zum Einfluss eines ökologisch orientierten Finanzwesens auf die Energiewende. Ein Mann aus Dhaka erzählt von seinem Startup-Unternehmen, das Initiativen zur Trinkwasserversorgung in Dörfern fördert.
Entwicklungspolitik "von oben nach unten"
Die Videoframes auf dem Bildschirm spiegeln die Vielfalt der Lebenswelten: vornehme Salons, hohe Bücherwände, Jugendzimmer mit Plüschtieren, WG-Küchen oder im Hintergrund das Muhen von Kühen und Gackern von Hühnern wie bei der Ökonomin Pauline Effa aus Kamerun.
Die Leiterin einer Entwicklungskooperation beschreibt Gefahren einer Entwicklungspolitik von oben nach unten. Betroffene seien oft skeptisch, wenn Vorgaben aus der Hauptstadt oder gar dem Ausland kämen: Wenn diese Politik ohne mich gemacht wird, dann vielleicht auch gegen mich? Immer brauche es Demut auf beiden Seiten, auch vermeintliche Experten müssten immer noch lernen.
In einem anderen Forum schildert die kanadische Politikwissenschaftlerin Jennifer Nedelsky ihren Vorschlag zur Neustrukturierung von Arbeit und Pflege: 30 Stunden bezahlte Arbeit im Betrieb und 22 Stunden unbezahlte Pflege oder Erziehung - in der eigenen Familie oder andernorts. Damit ließen sich viele der in der Pandemie verschärften Probleme bei Kindererziehung sowie Alten- und Krankenpflege lösen.
Bofinger: Ausbildung von Ökonomen verbessern
In einem theologisch-philosophischen Forum fasst Leonardo Boff, Altmeister der Befreiungstheologie, die jüngste Enzyklika "Fratelli tutti" zusammen. In dem Schreiben warnt Franziskus unter anderem: "Der Markt allein löst nicht alle Probleme, auch wenn man uns zuweilen dieses Dogma des neoliberalen Credos glaubhaft machen will." Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaft in Würzburg und einer der "Fünf Wirtschaftsweisen", teilt die päpstliche Kritik.
Wie einseitig junge Ökonomen heutzutage oft ausgebildet würden, zeige sich in dem weltweit am häufigsten eingesetzten Lehrbuch "Economics" von Gregory Mankiw und Mark Taylor. "Darin steht allen Ernstes die These: Je gleicher die Teile eines Kuchens aufgeteilt werden, desto kleiner werde der Kuchen", sagt Bofinger. Selbst Familien, die am Samstagvormittag auf dem Wochenmarkt einkaufen, würden nur als Konkurrenten um knappe Güter dargestellt.
Bei der Ausbildung von Ökonomen gebe es noch viel zu verbessern, meint Bofinger. Eine Veranstaltung wie "Economy of Francesco" sei daher gut, die Teilnehmer motivierter und engagierter als bei den meisten anderen Konferenzen.
Papst fordert Neubesinnung auf Gemeinwohl
Der Papst selbst wendet sich mit einer Abschlussbotschaft an die Teilnehmer und schärft ihnen ein, dass wie die Jungen auch die Armen einen Platz in der Runde der Entscheider haben müssten. Es gelte, nicht nur für sie, sondern mit ihnen zu planen. Nachdrücklich verlangt er eine Neubesinnung auf das Gemeinwohl: "Die bloße Summe von Einzelinteressen ist nicht in der Lage, eine bessere Welt für die gesamte Menschheit zu schaffen." Franziskus lädt ein, den Dialog fortzusetzen - über Lebensstile, Produktion, Konsum, Macht.
Wenn die Pandemie keinen weiteren Strich durch Planungen zieht, soll die Konferenz im Herbst 2021 noch einmal stattfinden - dann aber physisch-real in Assisi.