Warum wurde der Gründer der Schönstatt-Bewegung 1951 vom Vatikan ins Exil in die USA geschickt? Und warum durfte er 1965 zurückkehren? Dokumente zu den Hintergründen des Exils von Pater Josef Kentenich (1885-1968) sind bislang nicht öffentlich zugänglich.
Umso mehr wird von unterschiedlichen Seiten nun um die Deutungshoheit gerungen, nachdem die italienische Theologin Alexandra von Teuffenbach einen Text veröffentlichte, in dem sie dem Gründer der Schönstatt-Bewegung systematische Manipulation von Mitgliedern der Gemeinschaft und sexuellen Missbrauch einer Schwester vorwirft.
Briefe und Gesprächsprotokolle
Ein Paukenschlag für die weltweit tätige geistliche Gemeinschaft, in der sich bis heute vieles um den oft auch als Vater bezeichneten charismatischen Gründer dreht.
Von Teuffenbach stützt sich dabei eigenen Angaben zufolge auf Dokumente aus den Archiven des Vatikans aus der Zeit des Pontifikats von Papst Pius XII. (1939-1958), die seit März freigegeben sind. Darunter befinden sich demnach Briefe und Gesprächsprotokolle mit Schwestern, die im Rahmen einer Prüfung des Schönstatt-Werkes durch den Vatikan verfasst wurden.
Visitationen mit Folgen
Im Auftrag des Vatikans besuchten Ende der 1940er Jahre zunächst der damalige Trierer Weihbischof Bernhard Stein und anschließend der niederländische Jesuit Sebastian Tromp Schönstatt. Sie sollten das Wirken von Pater Kentenich sowie seine Stellung innerhalb der Gemeinschaft der Schönstätter Marienschwestern überprüfen. Kentenich wurde daraufhin 1951 ins Exil in die USA geschickt. 1965 konnte er im Alter von 80 Jahren nach Schönstatt zurückkehren.
Quellen und Belege für die Gründe des Exils sind bislang nicht öffentlich. Fraglich ist zudem, ob die Gründe für das Exil vom Vatikan explizit benannt wurden.
Psychischer Druck und Erniedrigungen
Von Teuffenbach argumentiert, Kentenich sei wegen manipulativen Umgangs mit den Schwestern und des Missbrauchs einer Schwester ins Exil geschickt worden - auch wenn der Vatikan das anders begründet habe, um die Frauen zu schützen.
Konkret schreibt von Teuffenbach von "hilflosen erwachsenen Frauen", die von "Vater" Kentenich zu Kindern erniedrigt worden seien. Er habe jedes Detail ihres Lebens kontrolliert, sie psychisch unter Druck gesetzt und zur Beichte bei ihm selbst gezwungen. Den Akten entnimmt die Historikerin, dass es auch zu "sexuellen Verfehlungen" gekommen sei. Eine der Frauen habe versucht, sich dagegen zu wehren. Dennoch seien die Geschehnisse ein "Familiengeheimnis der Marienschwestern" geblieben.
Vatikanische Begründungen fehlen
Die Schönstätter betonen ihrerseits, Grund für das Exil seien kirchenrechtliche Zweifel des Vatikan an der Bewegung als solcher gewesen. In den Dekreten aus Rom fänden sich nur die Bestimmungen, aber keine Begründungen.
Entsprechend unterschiedlich deuten sie jeweils auch die Rückkehr Kentenichs. Nach Einschätzung der Schönstatt-Bewegung wurde Kentenich mit seiner Rückkehr nach Deutschland rehabilitiert. Zwar gebe es dazu keine offizielle Entscheidung des Vatikans. Allerdings sei das zum Abschluss eines solchen Verfahrens auch nicht üblich, heißt es in einer Stellungnahme des Schönstatt-Werkes. Vielmehr sei Kentenich durch "konkrete Tatsachen" rehabilitiert worden, indem er über Rom nach Deutschland zurückkehren durfte, ohne dass die Kirche ihn davon abgehalten habe.
Anschuldigungen entkräftet?
Kirchenhistorikerin von Teuffenbach bezweifelt diese Darstellung und weist darauf hin, dass sie in keiner Akte ein Aufhebungsdekret zur Verbannung Kentenichs gefunden habe. Auch seien nie Gründe benannt worden, warum Kentenich aus dem Exil zurückkehren konnte. Das Bistum Trier wiederum erklärte, dass die Beschlüsse des Heiligen Offiziums - so die damalige Bezeichnung der Glaubenskongregation - gegen Kentenich im Oktober 1965 aufgehoben wurden.
Das Schönstatt-Werk reagierte auf die Vorwürfe zunächst abwehrend:
Die Anschuldigungen seien bereits bekannt und entkräftet, hieß es in einer ersten Reaktion. Und weiter: Der Vatikan hätte dem Seligsprechungsverfahren für Kentenich sicher nicht zugestimmt, wenn weiter Zweifel an der Person bestanden hätten.
Kirchenhistorikerin: Nihil obstat beruht auf Basis der Schönstätter
Von Teuffenbach überzeugt dieser Einwand hingegen nicht. Nach ihrer Darstellung ist die Unbedenklichkeitserklärung - das sogenannte Nihil obstat - allein auf Basis der von Schönstatt vorgelegten Informationen ausgesprochen worden, aber ohne Kenntnis aller Akten zu Kentenich.
Darüber hinaus veröffentlichte das Schönstatt-Werk auf der Internetseite mehrere Texte, etwa von dem für Kentenichs Seligsprechungsverfahren zuständigen Pater Eduardo Aguirre oder der Historikerin Schwester Doria Schlickmann, die Position für Kentenich beziehen. Das Säkularinstitut der Schönstätter Marienschwestern teilte zudem mit, das Wissen um Anklagen gegen Kentenich auch aus den eigenen Reihen gehöre "zum allgemeinen Wissen um unsere Geschichte".
Kritik aus den eigenen Reihen
Unterdessen meldeten sich in einer sehr offenen Debatte auf der Seite der internationalen Schönstatt-Bewegung Mitglieder aus aller Welt zu Wort. Sie zeigten sich - bei grundsätzlichem Vertrauen in Kentenich - mitunter enttäuscht über die abwehrende erste Reaktion des Schönstatt-Werkes und forderten mehr Transparenz sowie Informationen zu ihrem Gründer.
So schrieb etwa aus Chile Philosophie-Professor Ignacio Serrano del Pozo, die Erklärungen des Generalpräsidiums steuerten "auf eine falsche Fluchttür" zu. Die Vorwürfe als bekannt zu deklarieren, führe auf eine falsche Fährte, denn nur eine "sehr begrenzte Elite" habe davon gewusst, kritisierte er.
Seligsprechungsverfahren bekommt neuen Impuls
Inzwischen räumte der Vorsitzende des internationalen Schönstatt-Werkes, Juan Pablo Catoggio, in einem Brief an die Mitglieder Fehler ein: "Wir erkennen an, dass wir manches aus Rücksicht und zum Schutz von Personen und Gemeinschaften zu lange zurückgehalten haben", heißt es darin. Die Geschichte Kentenichs, der Schwestern und der Bewegung solle "offener und transparenter" aufgearbeitet werden: "Wir verstehen, dass die Schönstattfamilie in aller Welt von uns Initiativen erwartet, die den vielen berechtigten Fragen, Irritationen und Forderungen nach Transparenz entsprechen."
Eine Aufarbeitung soll auch offiziell auf kirchlicher Ebene erfolgen: Seit 1975 läuft ein Seligsprechungsverfahren für Kentenich, das nach Angaben des Bistums Trier auf Ebene der Diözese noch nicht abgeschlossen ist. Bischof Stephan Ackermann hat nun angekündigt, eine zweite Historikerkommission einzusetzen. Sie soll die neu zugänglichen Dokumente aus den Archiven des Vatikans prüfen: "Würde dieses Material belegen, dass eine sittliche Integrität des Kandidaten nicht gegeben wäre, dann müsste das Seligsprechungsverfahren eingestellt werden", so das Bistum. Wann mit neuen Veröffentlichungen und weiteren Erkenntnissen zu rechnen ist, ist bisher allerdings nicht abzusehen.