Das Drama um die Kardinäle Becciu und Pell geht weiter

Ein "Vatikan-Komplott“?

Im Fall Becciu hat es in den vergangenen Tagen einige Neuigkeiten gegeben. Mittlerweile fragen sich Beobachter, ob zum Finanzskandal auch noch ein handfester Justizskandal hinzukommen wird. Eine Zusammenfassung.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Silhouette des Petersdoms / © Olga Kashubin (shutterstock)
Silhouette des Petersdoms / © Olga Kashubin ( shutterstock )

Eigentlich hätte er am Samstag die Seligsprechung des "Cyber-Apostels“ Carlo Acutis in Assisi leiten sollen. Doch durch seinen Rücktritt vom Amt des Präfekten der Selig- und Heiligsprechungskongregation musste Giovanni Angelo Kardinal Becciu dem emeritierten Kardinalvikar des Bistums Rom, Agostino Vallini, die Leitung überlassen. Becciu hat in der Tat momentan wichtigeres zu tun, als großen liturgischen Feiern vorzustehen. Die Vorwürfe ihm gegenüber ebben nicht ab.

Begonnen hatte alles mit seinem überraschenden Rücktritt als Präfekt der Selig- und Heiligsprechungskongregation vor gut zwei Wochen. Da die entsprechende Mitteilung des Vatikans keine Gründe nannte, gab es daraufhin allerlei Mutmaßungen und Theorien zu möglichen Gründen, zumal mit Beccius Rücktritt auch der Verzicht auf seine Rechte als Kardinal einherging.

Unangemessenes Verhalten

Tags darauf verteidigte sich Becciu noch ein einer Pressekonferenz gegen die erhobenen Vorwürfe, wohl auch um einem Artikel in "L’Espresso“ zuvorzukommen, wonach er für fragwürdige Finanzgeschäfte im Vatikan verantwortlich sein soll. Deutlich wurde bei der Pressekonferenz auch, dass Papst Franziskus den gebürtigen Sarden regelrecht gefeuert hat. Das Vorgehen Beccius und auch seine während der Konferenz getätigten Aussagen bewertet der Vatikan-Journalist Gianluigi Nuzzi im DOMRADIO.DE-Interview als "völlig unangemessen“. Der Kardinal ohne Rechte habe sich verhalten, als müsse er sein Vertrauen in Papst Franziskus erneuern und nicht umgekehrt.

Auch Vatikan-Experte Marco Politi sieht in erster Linie das Vertrauen des Papstes in Becciu durch dessen Fehlverhalten als zerstört und spricht von einer Tragödie. "Becciu gehört dem Herzen der Regierung des Papstes an. Deswegen hat das der Papst natürlich als Vertrauensbruch empfunden. Deshalb hat er auch so hart reagiert“, sagte Politi gegenüber DOMRADIO.DE.

Das Ansehen Beccius in der Öffentlichkeit scheint mehr als angekratzt zu sein. Keinen Kaffee, nicht einmal ein Glas Wasser würde er mit ihm trinken, bekennt Nuzzi. Und hinter vorgehaltener Hand sorgt sich mancher Vatikanist um Papst Franziskus, der nach der Absetzung Beccius in Santa Marta besser keinen Matetee mehr probieren solle, den er nicht selbst aufgebrüht hat. Ob diese Sorge allerdings berechtigt ist, das steht wohl in den Sternen.

Rückendeckung für Becciu

Beistand bekommt der Kardinal hingegen von Corrado Melis, Bischof von Ozieri in Sardininien, den Becciu vor fünf Jahren selbst zum Bischof geweiht hat. Dieser bestätigte die Darstellung seines Landsmanns, 100.000 Euro für ein Caritas-Projekt in Sardinien überwiesen zu haben, weitgehend. Nicht ein Cent der erhaltenen Mittel sei zweckentfremdet worden.

Kardinal Giovanni Angelo Becciu 2018 im Vatikan / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Giovanni Angelo Becciu 2018 im Vatikan / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Auch Enrico Crasso nimmt den geschassten Kurienkardinal in Schutz. Gegenüber dem "Corriere della Sera“ erklärte der italienische Finanzmanager, der jahrelang im Auftrag des Vatikans tätig und bis 2014 Kundenberater für die Credit Suisse war, dass Becciu für das umstrittene Immobilieninvestment-Projekt in London eine Vollmacht von Kardinalstaatssekretär Parolin vorgelegen habe. Finanziell habe das Staatssekretariat von dieser Anlage profitiert. Dass die Gelder an wohltätige Zwecke gebunden seien, sei den Banken nie gesagt worden. Bei Investitionen des Staatssekretariats in einen Londoner Bürokomplex soll eine Summe von 500 Millionen Euro geflossen sein, die aus den Einnahmen des Peterspfennig stammt. Die vatikanische Staatsanwaltschaft ermittelt in diesem Fall.

Pells Prozess manipuliert?

Unterdessen tauchen neue Vorwürfe ganz anderer Art gegen Kardinal Becciu auf, die wiederum mit Kardinal Pell zusammenhängen. Mit diesem war Becciu bekanntlich mehrfach wegen Kompetenzstreitigkeiten um die Finanzen im Vatikan aneinandergeraten. Becciu soll eine von Pell eingeleitete unabhängige Untersuchung verhindert und sich dabei sogar Papst Franziskus zustehenden Befugnissen ermächtigt haben. Vergangene Woche berichteten italienische Medien von einer angeblichen Überweisung von 700.000 Euro aus dem Vatikan nach Australien, wo Pell sich wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht verantworten musste. Ein früherer Mitarbeiter Beccius sagte gegenüber "L’Espresso“ aus, das Geld habe dazu gedient, Zeugen zu bestechen und eine Medienkampagne gegen Pell zu befeuern.

Kardinal George Pell / © Paul Haring (KNA)
Kardinal George Pell / © Paul Haring ( KNA )

War also der Prozess gegen Pell in Australien vom Vatikan im Sinne eines Komplotts zumindest versuchsweise manipuliert worden? Solche Verschwörungen, ob nun vormals gegen Pell oder augenblicklich gegen Becciu, hält Marco Politi für wenig überzeugend: "Das ist alles ein wenig märchenhaft.“ - Es gehe um reale Probleme und um das Aufeinanderprallen verschiedener Persönlichkeiten. Doch der Anwalt von Kardinal Pell will den Gerüchten, die nicht nur den Vatikan, sondern auch die australische Justiz belasten, auf den Grund gehen und den Missbrauchsprozess gegen seinen Mandanten amtlich untersuchen lassen, wie am vergangenen Montag im "Australian Financial Review“ zu lesen war. Gegen solche und auch die bisherigen Vorwürfe wehrt sich jedoch Becciu und ließ am Mittwoch durch seinen Anwalt mitteilen, er habe nichts mit rechtswidrigen Akten jeglicher Art zu tun und warte auf die Untersuchungsergebnisse der zuständigen Behörden.

Australischer Nuntius in Rom

Als Papst Franziskus am Montag de Apostolischen Nuntius von Australien, Erzbischof Adolfo Tito Yllana, zu einem Gespräch im Vatikan empfing, läuteten bei vielen wieder die Alarmglocken. Einerseits ist Yllana bereits seit fünf Jahren der Botschafter des Papstes in Pells Heimat, so dass eine Versetzung Gegenstand der Unterredung gewesen sein könnte. Aber mancher Vatikanist mutmaßt auch, dass man über die Vorgänge um Kardinal Pell gesprochen habe. Auch soll die australische Botschafterin bei Franziskus vorgesprochen haben, wie die "Zeit" berichtet. Hierfür gibt es allerdings bislang keine Bestätigung.

Stillstand und Ungewissheit herrschen derzeit in der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, deren Präfektenposten seit Beccius Rauswurf vakant ist, und auch beim Malteserorden, dessen spirituelle Erneuerung der Kardinal als Päpstlicher Sondergesandter begleiten sollte. Albrecht Freiherr von Boeselager, Großkanzler des Ordens, zeigte sich von den Vorgängen um Becciu überrascht und sieht die Reformbemühungen nun in der Schwebe, wie er dem Internetportal "Crux“ am vergangenen Samstag mitteilte. Man habe vom Heiligen Stuhl noch keine Nachricht erhalten, was die Position des Kardinals dem Orden gegenüber betrifft.

Eine weitere Konsequenz aus dem Fall Becciu dürfte sein, dass das Staatsseketariat nun um seine wirtschaftlichen Kompetenzen "erleichtert“ worden ist, wie "La Repubblica“ bereits Anfang vergangener Woche meldete. Das, was Becciu damals als Substitut konnte, wird nun nicht mehr möglich sein. Ein weiterer Schritt der Kurienreform. Ob es dabei bleibt oder ob die juristische Komponente des möglichen Doppelskandals noch weitere Kreise ziehen wird, bleibt abzuwarten. Der Fall Becciu wird alle Beobachter sicherlich noch eine Weile beschäftigen.

Kardinalskollegium

Das Kardinalskollegium ist das wichtigste Beratergremium des Papstes. Zudem hat es die Aufgabe, "für die Papstwahl zu sorgen", wie es im Kirchenrecht (Can. 349) heißt. Am Konklave zur Wahl eines neuen Kirchenoberhauptes dürfen nur jene Kardinäle teilnehmen, die das 80. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Der Papst wählt die Kardinäle frei aus. Sie müssen laut Kirchenrecht "wenigstens die Priesterweihe empfangen haben, sich in Glaube, Sitte, Frömmigkeit sowie durch Klugheit in Verwaltungsangelegenheiten auszeichnen; wer noch nicht Bischof ist, muss die Bischofsweihe empfangen".

Auftakt zur Kurienreform: Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 12. Februar 2015 / © Cristian Gennari (KNA)
Auftakt zur Kurienreform: Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 12. Februar 2015 / © Cristian Gennari ( KNA )
Quelle:
DR
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