Berliner Rabbiner Nachama über Gottesdienste in Corona-Zeiten

"Eine Übertragung im Internet würde mir sehr schwer fallen"

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland gehen unterschiedlich mit den Einschränkungen der Corona-Pandemie um. Vielen nutzen die Möglichkeiten des Internets. Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama möchte auf Gottesdienste im Internet lieber verzichten.

Ein Mann betet in der Synagoge von Bonn das jüdische Morgengebet, das Schacharit / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Mann betet in der Synagoge von Bonn das jüdische Morgengebet, das Schacharit / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Rabbiner Nachama, was sind aus Ihrer Sicht derzeit die größten Einschränkungen in der Religionsausübung für Juden in Deutschland?

Rabbiner Andreas Nachama (Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland und Leiter des Gesprächskreises "Juden und Christen" im Zentralkomitee der deutschen Katholiken): Das ist ganz klar der Wegfall der Gottesdienste und der Gemeinschaft.

KNA: Manch ein Rabbiner feiert in diesen Tagen alleine Gottesdienst und überträgt ihn vor Beginn des wöchentlichen Ruhetags Schabbat. Wie halten Sie das in Ihrer Synagogengemeinde Berlin Sukkat Schalom, in der die Gottesdienste im reform-egalitären Ritus gefeiert werden?

Nachama: Wir haben ungefähr 300 Mitglieder, etwa 70 bis 90 Menschen gehören zur Kerngemeinde. Sie vermissen die Gottesdienste schon. Wir stellen auf unserer Internetseite in einem Video zuvor aufgezeichnete Schabbatgebete gemeinsam mit unserer Vorbeterin zur Verfügung.

KNA: Streamen Sie denn auch Schabbat-Gottesdienste?

Nachama: Bisher mache ich das nicht. Im Moment zweifele ich noch, ob es das richtige Mittel ist. Mir würde es sehr schwer fallen. Wenn zumindest die für einen Gottesdienst nötigen zehn Menschen dabei sein könnten, was ja derzeit nicht erlaubt ist, könnte ich mich damit anfreunden. Jedoch bedeutet das nicht, dass mein jetziger Standpunkt bleibt. Das hängt auch davon ab, wie lange die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie bestehen bleiben.

KNA: Und abseits von Gottesdiensten?

Nachama: Alle 14 Tage zum Beispiel komme ich mit Juden und Christen zu Bibellesungen zusammen. Nun überlege ich, ob wir das in einem überschaubaren Kreis auch über Skype zusammen machen können.

KNA: Am Vorabend des 9. April beginnt Pessach, eines der höchsten jüdischen Feste...

Nachama: Ja, wir wollen ein paar Tage davor Erklärungen zu den einzelnen Teilen der häuslichen Pessachfeier auf unsere Internetseite stellen.

KNA: Sie sind auch der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK), in der Rabbiner der Einheitsgemeinden und der liberalen Gemeinden versammelt sind. Werden vonseiten der ARK auch Empfehlungen kommen?

Nachama: Wer bin ich, dass ich anderen Kollegen sage, wo es langgeht? Nein, jeder Rabbiner soll in seiner eigenen Gemeinde einen geeigneten Zugang zu Alternativen zu den Gottesdiensten und Empfehlungen für häusliches Beten finden.

KNA: Wie gestalten Sie aktuell die Seelsorge?

Nachama: Das mache ich fast so wie in normalen Zeiten. Die Menschen rufen mich an oder schreiben mir eine E-Mail. In der Regel würde ich sie danach persönlich treffen, momentan sprechen wir stattdessen am Telefon. Das ist zwar etwas unpersönlicher, aber immerhin hört man die Stimmen.

KNA: Welche Themen treiben derzeit die Menschen um, die Sie kontaktieren?

Nachama: Es geht oft um Corona, zum Beispiel um die Gestaltung einer Patientenverfügung. In einem solchen Fall frage ich zunächst einen Arzt und gebe seinen Rat dann weiter. Oder jemand möchte wissen, wie er es mit einem kurz bevorstehenden runden Geburtstag halten soll. Ich rate dazu, die große Feier am nächsten Geburtstag nachzuholen, weil wir nicht wissen, wie die Lage in absehbarer Zeit aussehen wird.

KNA: Geht das Judentum im Vergleich zu Islam und Christentum möglicherweise anders mit den Einschränkungen um?

Nachama: Es ist ja so, dass alle Gotteshäuser geschlossen sind, nicht nur Synagogen, sondern auch Kirchen und Moscheen. Von daher sind wir alle in einer ganz merkwürdigen Situation. Was uns Juden betrifft: Schabbat feiern wir normalerweise im Kreis der Familie, die zusammen in einem Haushalt lebt. Das können wir nach wie vor so machen, denn es ist auch in Corona-Zeiten nicht verboten. Wenn eine Familie viele Kinder hat oder in seltenen Fällen vielleicht mehrere Generationen gemeinsam unter einem Dach leben, können leicht zahlreiche Menschen zusammenkommen.

Das Interview führte Leticia Witte.


Quelle:
KNA