Der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Gualtiero Bassetti, hat sich bedauernd über das Verschwinden von rund 40 Migranten geäußert. Er respektiere die Entscheidung, auch wenn er sie "in Teilen für absurd" halte, sagte Bassetti der Tageszeitung "Avvenire" (Donnerstag).
Eine "Unklugheit"
Aus seiner Sicht sei es eine "Unklugheit". Am Mittwochabend war bekanntgeworden, dass 40 bis 50 Migranten der "Diciotti" aus Aufnahmeeinrichtungen verschwunden waren. Die katholische Kirche in Italien hatte sich bei der Regierung dafür eingesetzt, die Passagiere von einem Schiff der italienischen Küstenwache an Land zu lassen.
Bassetti sagte, es handle sich um freie Personen. Die Migranten polizeilich bewachen zu lassen, hätte bedeutet, sie unter den gleichen Bedingungen zu halten wie auf der "Diciotti". Hinsichtlich der Entscheidung, sie vom Schiff zu holen, habe er "nichts zu bereuen", sagte der Kardinal. Er fürchte nur, dass die Untergetauchten Augenwischereien zum Opfer fielen oder unter kriminellen Einfluss gerieten.
"Sie sind nicht gekommen, um in Italien zu bleiben", sagte Bassetti. Die Menschen wollten ihren Träumen folgen. Für die Zukunft sei es wichtig, die Fristen bei der Aufnahme von Migranten zu verkürzen und sie schnell in Familien und Einrichtungen zu integrieren.
"Mit einem Teller Essen und einem Dach" nicht getan
Auch der italienische Kardinal Francesco Montenegro hat die Entscheidung von Migranten verteidigt, Aufnahmezentren zu verlassen und auf eigene Faust weiterzureisen. Diese Menschen kämen nicht nach Italien, "um Gefangene zu sein oder in eine Armee einzutreten". Europäische Auswanderer hätten nicht anders gehandelt, sagte der Erzbischof von Agrigent und Präsident der italienischen Caritas dem Sender Radio Vaticana Italia (Donnerstag).
Kardinal Montenegro sagte, bei der Aufnahme von Migranten sei es "mit einem Teller Essen und einem Dach" nicht getan. Aufnahme bedeute, einem Menschen die Chance zu geben, sich ein neues Leben aufzubauen, nachdem er aus einem anderen geflohen sei. Dass Migranten eine Aufnahmeeinrichtung verließen, um ein Ziel anderswo in Europa zu suchen, "sollte Europa daran erinnern, dass es an der Zeit ist, Entscheidungen zu treffen", so der Kardinal.
Montenegro nannte die Migration eine Folge weltweiter Ungerechtigkeit, die etwa auch in Kolonialisierung, Landraub und Ausbeutung von Bodenschätzen wurzele. Solange diese Ungerechtigkeit andauere, werde es Menschen geben, "die ihre Sachen packen und aufbrechen". Hier sei ein Stilwandel nötig, den die Politik gestalten müsse, sagte der Kardinal.
Kritik von Italiens Innenminister
Innenminister Matteo Salvini kommentierte das Untertauchen spöttisch damit, die Migranten seien so leidend und schutzbedürftig gewesen, "dass sie beschlossen haben, sich davonzumachen und zu verschwinden". Der Vorgang belege, dass "nicht alle, die in Italien landen, vor Krieg und Hunger fliehen". Er werde sich weiter dafür einsetzen, die Zahl der Ankünfte auf Null zu bringen, sagte Salvini laut italienischen Medien.
Das Küstenwache-Schiff "Diciotti" war am 20. August mit 177 aus dem Mittelmeer geborgenen Migranten in den Hafen von Catania gelangt. (KNA)
Innenminister Salvini weigerte sich tagelang, außer Minderjährigen und medizinischen Notfällen auch die übrigen Passagiere von Bord zu lassen. Am 25. August stimmte er Angeboten der katholischen Kirche sowie Albaniens und Irlands zu, die verbliebenen Migranten aufzunehmen. Rund 100 kamen in ein katholisches Aufnahmezentrum in Rocca di Papa bei Rom. (KNA)