HIMMELKLAR: Wie geht es Ihnen im Moment? In welcher Situation erwischen wir Sie?
Sarah Wiener (Fernsehköchin, Unternehmerin und Mitglied des Europaparlaments): Ich sitze hier in meinem Holzhaus in der Uckermark in der Nähe meines Biobauernhofes. Sehr weit von Wien und Brüssel entfernt.
HIMMELKLAR: Sie sind durch die Medien als Köchin bekannt, Sie betreiben auch verschiedene Restaurants. Den Biobauernhof in der Uckermark haben Sie erwähnt. Inwiefern sind Sie denn im Moment betroffen von der Krise seit März?
Wiener: So wie alle. Jeder ist in irgendeiner Weise betroffen, ich durch meine Tätigkeiten in der Gastronomie und im Catering natürlich katastrophal, das muss man sagen. So wie alle Gastronomen und alle Caterer. Es gibt Branchen, die das nicht so spüren, auch Leute, die vielleicht Buchhaltung von Zuhause machen können. Aber die Gastronomie und Hotelerie hat es mit am Schlimmsten. Ausgeglichen wird das ein bisschen durch meine Fleischerei und die Holzofenbäckerei, die so backt wie vor hundert Jahren, also völlig unabhängig von jedem Zusatzstoff. Die Fleischerei ist auf meinem Bauernhof. Das ist eine Kreislaufwirtschaft, sodass wir von niemandem abhängig sind. Und das läuft sehr gut. Die Menschen haben wohl Sehnsucht nach Regionalität, nach Transparenz und nach Nachhaltigkeit.
HIMMELKLAR: Wie schlimm ist die Situation in der Gastronomie?
Wiener: Für die Gastronomie war das wirklich ein Fall ins Bodenlose, weil man ja auch nicht wusste, wie lange das geht und was das genau heißt. Im Catering ist das noch schlimmer, weil wir Buffetts machen für bis zu tausend Leute. Und das ist überhaupt nicht absehbar, ob und wann es wieder große Veranstaltungen geben wird. Das kann dich strangulieren. Aber auch die Gastronomiesituation mit den neuen Auflagen ist natürlich alles andere als der Normalzustand. Die Hygienemaßnahmen sind gut, aber zum Teil gar nicht wirklich einzuhalten. Zum Beispiel das Abstandhalten. Was mir auch Sorge bereitet, ist vielleicht eine zweite Welle, weil dann werden sehr viele sehr schnell beruflich tot sein.
HIMMELKLAR: Wie sieht es denn konkret in Ihren Restaurants gerade aus? Haben die jetzt schon wieder Betrieb?
Wiener: Meine zwei Restaurants sind in der Mall, da ist noch gar kein Betrieb. Es sind sehr viele Arbeitsplätze gefährdet und gerade bei mir arbeiten zum Teil Mitarbeiter schon über 20 Jahre. Das ist fast Familie. Wir erhalten zur Zeit alle mit Kurzarbeit oder bezahlen einige voll. Wie lange halten wir das noch durch? Ich weiß es nicht.
HIMMELKLAR: Können die Regelungen denn nicht umgesetzt werden?
Wiener: Man könnte das natürlich umsetzen zu dem Preis, dass dann keiner mehr etwas verdient, weil irgendwann wird es absurd. Gerade die kleinen Cafés, Restaurants und Caféhäuser, die ja einen sehr geringen Gewinn haben. Es ist eine ganz schwierige Situation für alle.
Ich glaube nicht an die Verschwörungstheorie, dass die Weltherrschaft von irgendwem durch die Corona-Krise übernommen werden möchte. Diese Bedrohung gibt es real und es sterben Menschen daran. Aber es ist natürlich für die Gastronomen, die Hotelerie, die Künstler und Galerien einfach beruflich und finanziell auch eine Vollkatastrophe.
HIMMELKLAR: Wie sieht es bei den Bauern aus?
Wiener: Da sieht man eine Schere. Da gibt es Bauern, die leiden. Die haben einen Kompletteinbruch, zum Beispiel Bauern, die spezialisiert sind auf Großgastronomie oder den Export. Da merkt man, dass es da Ketten gibt, die nicht funktionieren. Da gibt es keine Abnahmen mehr.
Auf der anderen Seite boomen kleine regionale Strukturen für Biolebensmittel, selbst in England und Italien. Gerade die kleinen Hofläden, die mit der Region verbunden sind und wo die Leute wissen, was sie da essen und wer es gemacht hat und woher es kommt, die völlig losgelöst sind von irgendeiner Agrochemie oder irgendwelchen Pestiziden oder Mineraldüngerimporten, denen geht es sehr gut.
Mein Rückschluss ist: Was macht uns denn wirklich stressunabhängig und resistent? Das sind einfach die vielfältigen kleinen und dezentralen Strukturen. Wir müssen jetzt schnell daraus lernen und diese Krise zu etwas Besserem nutzen, um unsere Landwirtschaft und die Biodiversität zu einem nachhaltigeren System zu formen.
HIMMELKLAR: Die Probleme in der Landwirtschaft sind ja nicht neu.
Wiener: Aber auf einmal wachen die Leute auf und sagen: "Was, wie werden denn unsere ausgebeuteten Sklaven auf den Gemüsefeldern und auf den Obstplantagen gehalten? Und in der Fleischindustrie. Das ist ja widerlich und ausbeuterisch, dass einem schlecht wird." Auf einmal wir gesehen, was wir Menschen machen, damit wir für Dumpingpreise produzieren und für ein Kilo Fleisch weniger zahlen als für Bohnen. Das ist eine Situation, die vielen zwar bewusst war, die man aber immer verteidigt hat nach dem Motto: "Wir müssen, wir können und wollen nicht anders."
Jetzt wissen wir, dass wir ein Ausbeutungssystem haben. Wir haben ein soziales Problem, wir haben ein Hygieneproblem, wir haben ein Exportproblem, wir haben ein Ressourcenvernichtungsproblem. Und wir hauen ein Drittel der Welternährung in die Tonne, weil wir so verwöhnt sind und weil einfach nichts Wert hat. Jetzt wäre eigentlich genau der richtige Zeitpunkt zu sagen: "Lasst es uns doch bitte alle anders machen, damit die Bauern wieder von ihren Lebensmitteln leben können, damit das Bauernsterben gestoppt wird, damit es Vielfalt gibt, dass es wieder ländliche regionale, lebendige Räume gibt und dass wir den Nachbarn wieder zum Freund machen und nicht zum Konkurrenten und zum Feind."
HIMMELKLAR: Wie sieht es konkret aus? Sie sind ja im Europaparlament.
Wiener: Es muss sich wirklich etwas bewegen. Aber gerade jetzt in der Krise schreien die Konservativen am Lautesten: "Es darf sich nichts bewegen. Wir müssen den Status Quo zementieren." Genau das, was vernünftig und logisch wäre, was auch jetzt eine Chance wäre, soll mit allen Mitteln verhindert werden.
Ich habe ja kein Parteibuch, aber das muss ich sagen: Für diesen Wandel steht die grüne Bewegung seit Jahrzehnten ein. Sie hat sich für alles, für die Natur, für die Umwelt, für die Menschen eingesetzt und das ist ja das, was wir brauchen. Wir brauchen keine Teilklientelpolitik oder Subventionen für ganz wenig Leute, sondern wir brauchen das Gute für die Mehrheit. Und das Gute ist auch immer gut für die Natur und für unsere Mitgeschöpfe.
HIMMELKLAR: Was bringt Ihnen denn Hoffnung in der momentanen Lage?
Wiener: Was mir Hoffnung bringt ist, dass sich viele Menschen gerade jetzt fragen in Anbetracht der Bedrohung: "Wer bin ich und was brauche ich wirklich? Wie und in welcher Welt wollen wir zusammenleben?" Da gibt es viele Menschen, die das Positive sehen, die das Miteinander schätzen, die aufeinander zugehen wollen und die glauben, dass wir das schaffen können. Sie glauben daran, dass der Mensch im Kern das Gute will und das Gute machen kann. Das ist glücklicherweise nicht umgekehrt und das trägt mich auch.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.