Kritik und Besorgnis nach Sterbehilfe-Urteil in Österreich

"Eine wesentliche Grundlage entzogen"

Nach der Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zu Sterbehilfe beginnt in Österreich eine Debatte über die Konsequenzen. Kirchenvertreter übten scharfe Kritik, Ärzteverbände äußerten sich am Samstag besorgt.

Sterbehilfe / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Sterbehilfe / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

Die katholischen Bischöfe sprachen von einem Kulturbruch. "Jeder Mensch in Österreich konnte bislang davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird - bis zu seinem natürlichen Tod", erklärte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Dieser gemeinsamen Auffassung habe das Gericht mit seiner Entscheidung eine wesentliche Grundlage entzogen.

Vor dem Hintergrund der Entscheidung werde sich die Kirche sowohl in Hospizarbeit und Schmerzbehandlung, aber auch in der Begleitung von Menschen in Lebenskrisen nun noch intensiver engagieren, kündigte der Salzburger Erzbischof an. Das gelte auch mit Blick auf die Vorbeugung von Selbsttötungen.

Tötung auf Verlangen bleibt weiterhin strafbar

Der Verfassungsgerichtshof hatte am Freitag eine Regelung gekippt, wonach Beihilfe zum Suizid strafbar ist. Der Straftatbestand der "Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, argumentierten die Richter bei der mündlichen Urteilsverkündung. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar.

Die neue Regelung ist mit 1. Januar 2022 wirksam. Bis dahin wird dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern. Anlass für die Befassung des Verfassungsgerichtshofes mit dem Thema waren vier Anträge gegen die Paragraphen 77 und 78 des österreichischen Strafgesetzbuches, die ein Wiener Anwalt mit Unterstützung des Schweizer Sterbehilfevereins "Dignitas" eingebracht hatte.

"Ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck"

Die Österreichische Ärztekammer bezeichnete die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs als bedauerlich. Es drohe die Gefahr, "dass ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck geraten, ihre Daseinsberechtigung und ihren Lebenswillen zu rechtfertigen", warnte Präsident Thomas Szekeres. Kein Arzt dürfe gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln und zur Tötung eines Menschen beizutragen.

Die Österreichische Gesellschaft für Notfallmedizin (ÖGARI) zeigte sich besorgt über eine Entkriminalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung. Das "Salzburger Ärzteforum für das Leben", dem rund 350 deutschsprachige Mediziner angehören, sprach von einem Dammbruch, "welcher auch in Österreich weitreichende und langfristige Konsequenzen nach sich ziehen könnte."

"Freibrief serviert bekommen"

Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) forderte ein striktes Verbot kommerzieller Anbieter. Die Vorsitzende des Dachverbandes Hospiz Österreich, Waltraut Klasnic, reagierte auf die Entscheidung der Richter mit Bestürzung.

Die Juristin Stephanie Merckens, Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, sagte: "Bisher konnte man sich darauf verlassen, in Österreich nicht legaler Weise direkt getötet zu werden. Nun haben wir den Freibrief serviert bekommen, uns gegenseitig dabei zu unterstützen, uns umzubringen. Was für eine verkehrte Welt."


Quelle:
KNA
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