Angela Merkels erste Audienz im Mai 2013, zwei Monate nach Franziskus' Amtsantritt, war damals eine kleine Sensation. Denn eigentlich galt es als ungeschriebenes Gesetz, dass der Papst aus Gründen der Neutralität keine Spitzenpolitiker in den Vatikan einlädt, die gerade im Wahlkampf stehen. Nun liegt der Audienztermin beim allseits beliebten Papst sogar noch näher an der Bundestagswahl im September.
Doch für Merkel dürfte dies nur ein positiver Nebeneffekt sein. Ihr geht es vor allem um moralische Unterstützung für ihre politische Linie beim anstehenden G20-Gipfel in Hamburg. Unter deutscher Präsidentschaft berät die Staatengruppe am 7. und 8. Juli über globale Fragen wie Flüchtlingskrise, Klimaschutz und Armutsbekämpfung. Und auf diesen Feldern liegen die CDU-Politikerin und das Kirchenoberhaupt weitgehend auf einer Linie.
Benedikt XVI. stattete sie nur ein einziges Mal einen Besuch ab
Der vatikanische Staatssekretär Pietro Parolin dürfte der einzige Regierungschef sein, mit dem sich Franziskus öfter über die Weltlage ausgetauscht hat als mit der Kanzlerin, könnte man witzeln. Und auch Merkel scheint die Nähe zu suchen. Dem deutschen Vorgängerpapst Benedikt XVI. stattete sie nur ein einziges Mal 2006 in dessen Sommerresidenz Castel Gandolfo einen Besuch ab und traf ihn ansonsten nur zwei Mal während seiner Besuche im Heimatland quasi pflichtgemäß.
Mit dem Argentinier besprach sie dagegen im Februar 2015 die Agenda der deutschen G7-Ratspräsidentschaft und nutzte die Verleihung des Karlspreises an Franziskus im Vatikan für eine dritte Audienz. Die Unterredungen dauerten jeweils zwischen 25 und 45 Minuten. Daneben begegneten sich die beiden bei Franziskus' Amtseinführung und beim Empfang der EU-Staatschefs vergangenen März im Vatikan.
Die Chemie stimmt
Dass die Chemie zwischen Merkel und dem Papst offenbar stimmt, liegt nicht nur daran, dass beide in ihrem früheren Leben im Labor gearbeitet haben. Franziskus lobte die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, wenn er auch die von der Bundesregierung befürwortete Schließung der Balkanroute hart kritisierte. Weitere Anknüpfungspunkte sind die Sorge um den europäischen Einigungsprozess und das Engagement für den Klimaschutz. Auch die Armutsbekämpfung, Religionsfreiheit und globale Friedenssicherung standen bei den Audienzen auf der Agenda.
Für Franziskus ist Merkel zweifellos die wichtigste Ansprechpartnerin in der politischen Führungsetage Europas. Mit Blick auf seine eigenen global-politischen Anliegen dürfte er sie vielfach als Verbündete sehen. Merkel wiederum spricht gerne davon, dass sie das Christentum als eine Säule für die humanitäre Ausrichtung des Kontinents hoch hält und begrüßte in diesem Zusammenhang "klare Botschaften" des Pontifex, die dazu mahnten, "Neues zu schaffen".
Das Traditionell-Christliche
Die katholische Kirche spiele eine "zentrale Rolle" für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sagte die Protestantin 2013 nach ihrer ersten Audienz bei Franziskus. Zugleich werfen ihr konservative Kritiker vor, dass gerade sie das Traditionell-Christliche systematisch aus der CDU hinausdränge. Doch diese innenpolitischen Niederungen wird Franziskus kaum ansprechen.
Nur einmal war die Rede von einer kleinen Verstimmung zwischen Papst und Kanzlerin. Diese habe sich bei Franziskus am Telefon beschwert, nachdem das Kirchenoberhaupt in seiner Rede vor dem Straßburger EU-Parlament 2014 den Alten Kontinent als "unfruchtbare Großmutter" getadelt hatte, behauptete zumindest eine italienische Zeitung. Vatikan und Bundesregierung dementierten schnell, ein solches Telefonat habe nie stattgefunden. Offenbar blieb die Liaison ungetrübt.
Für die Deutschland-Connection des Papstes, der in den 1980er Jahren einige Zeit in Frankfurt für eine nie vollendete Doktorarbeit recherchierte und etwas Deutsch kann, sprechen auch kulturelle Präferenzen. Zum Antrittsbesuch brachte ihm Merkel eine antiquarische Hölderlin-Gesamtausgabe und das Furtwängler-Oeuvre in 107 CDs mit. Später folgte eine Bach-Edition. Auch eine Einladung in die Heimat der von Franziskus geschätzten Künstler sprach sie schon aus. Im Kalender des Kirchenoberhaupts ist eine Deutschland-Reise bisher aber noch nicht vorgesehen.