Es war ein Paukenschlag im vergangenen Jahr: Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus trat nach Vorwürfen, mit einem Missbrauchsfall nicht korrekt umgegangen zu sein, am Rande der EKD-Synode in Ulm von allen Ämtern zurück. In diesem Jahr stehen nun Nachwahlen an. Als sicher gilt, dass die bisherige kommissarische Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs in ihrem Amt bestätigt wird: Hat sie doch im vergangenen Jahr solide Arbeit abgeliefert.
Die Auswahl alternativer Kandidaten wäre klein: Grundvoraussetzung für das Amt des oder der Ratsvorsitzenden ist Mitgliedschaft im Rat der EKD. Nach dem Rücktritt von Kurschus und dem altersbedingten Ausscheiden von Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Volker Jung ist der sächsische Landesbischof Tobias Bilz neben Fehrs der einzige leitende Geistliche, der dem Gremium noch angehört.
Drei Mandate
Spannender als die Wahl der Ratsvorsitzenden dürfte die Wahl des neuen Rates werden: Insgesamt müssen auf der im November stattfindenden gemeinsamen Tagung von Synode und Kirchenkonferenz der EKD in Würzburg drei Mandate im Rat der EKD nachbesetzt werden. Gesucht werden Nachfolger für Kurschus, Jung und den RheinischenSynodalen Jacob Joussen, der im Frühjahr aus dem Leitungsgremium zurücktrat.
Um die drei freien Mandate im Rat kandidieren nun die Kirchenpräsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche, Susanne Bei der Wieden, der Berliner Bischof Christian Stäblein, die habilitierte Historikerin und Ordensschwester Nicole Grochowina und die Diakonieexpertin Andrea Wagner-Pinggera. Es sind also zwei leitende Geistliche und zwei andere Mitglieder der Synode im Rennen. Wie sind ihre Chancen?
Gliederung berücksichtigen
Klar ist, dass die Zahl der leitenden Geistlichen im Rat der EKD derzeit einen historischen Tiefstand erreicht hat. Vor allem in der Kirchenkonferenz, einem dem staatlichen "Bundesrat" entsprechenden Gremium der Gliedkirchen, dürfte man bestrebt sein, dies zu ändern.
Eine der leitenden Geistlichen, die als solide Theologin geltende, reformierte Kirchenpräsidentin Susanne Bei der Wieden, hat auch noch die Grundordnung der EKD auf ihrer Seite: "Bei der Wahl der Mitglieder des Rates ist die bekenntnismäßige und landschaftliche Gliederung der Evangelischen Kirche in Deutschland zu berücksichtigen", heißt es dort. Das bedeutet zumindest nach Auslegung bisheriger Synoden, dass im Rat wenigstens ein lutherisches, ein uniertes und ein reformiertes Kirchenmitglied vorhanden sein muss.
Stäblein kandiert zum zweiten Mal
Doch während es an Lutheranern und Unierten traditionell nicht mangelt, war Kurschus die einzige reformierte Vertreterin im Rat der EKD. Für den Berliner Hauptstadtbischof Christian Stäblein ist die Wahl in Würzburg indes bereits der zweite Versuch, in das Leitungsgremium der EKD zu gelangen. Bei der wegen der Corona-Pandemie weitgehend digital durchgeführten Ratswahl 2021 gelang es ihm nicht, ein Mandat im Leitungsgremium der EKD zuerlangen.
Dieses Mal dürften seine Chancen deutlich besser sein: Denn die Arbeit des Bischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz wird über die Grenzen seiner Landeskirche hinweg geschätzt. Zudem ist er der Flüchtlingsbeauftragte der EKD - und die Synode in Würzburg beschäftigt sich mit dem Schwerpunktthema Flüchtlingsarbeit. Es wäre eine Blamage besonderer Güte, würde das Kirchenparlament den Berliner Bischof an dieser Stelle nicht wählen.
Wer macht das Rennen?
Spannend dürfte es bei den beiden anderen Bewerberinnen werden: Die Historikerin Nicole Grochowina, die derzeit an der Universität Erlangen-Nürnberg einen Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit vertritt, gehört schon seit Jahren zu den prägenden Gestalten der Synode. Die in Hamburg geborene Schwester der evangelischen Kommunität Christusbruderschaft Selbitz verbindet in bemerkenswerter Weise universitäre Wissenschaft und persönliche Frömmigkeit. Würde sie in den Rat gewählt, wäre sie seit Menschengedenken die erste Vertreterin einer geistlichen Gemeinschaft in dem Gremium.
Wagner-Pinggera hingegen gilt als Angebot nicht nur an die Diakonie: Als theologisches Vorstandsmitglied der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bielefeld wäre durch sie auch die westfälische Kirche wieder im Rat der EKD vertreten. Was wiederum auch eine Brücke wäre zur ehemaligen Ratsvorsitzenden Kurschus - denn die arbeitet bekanntlich derzeit als Seelsorgerin in Bethel.