EKD will Zahlungen an Missbrauchsbetroffene neu regeln

Harte Kompromisse und hohe Hürden

Es sind 15.000 Euro für erlittenes Leid. Die evangelische Kirche will Betroffene sexualisierter Gewalt künftig auch mit einer Pauschalsumme entschädigen. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung überzeugt das nicht.

Autor/in:
Michael Althaus
EKD-Synode / © Katharina Gebauer (KNA)
EKD-Synode / © Katharina Gebauer ( KNA )

Seit Jahren drängen Missbrauchsbetroffene darauf, und es ist eine der Empfehlungen der im Januar präsentierten Studie: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will im nächsten Jahr ihre Zahlungen an Betroffene sexualisierter Gewalt bundesweit vereinheitlichen. In dieser Woche wurden bei der Tagung des Kirchenparlaments, der Synode, in Würzburg Details vorgestellt.

Geplant ist ein Kombimodell, dass sich aus einer individuellen und einer pauschalen Leistung zusammensetzt. Die pauschale Leistung soll eine Höhe von 15.000 Euro haben und im Fall von strafrechtlich relevanten Taten gezahlt werden. Die individuelle Leistung soll sich nach der Situation des jeweiligen Betroffenen richten und in der Zukunft an einem Katalog orientieren, der auf Basis der Spruchpraxis noch zu entwickeln ist.

Anders als in der katholischen Kirche, wo eine zentrale Kommission über die Zahlungen entscheidet, sind mehrere regionale Kommissionen geplant. Ihre Mitglieder sollen ausnahmslos keine Beschäftigten von Kirche oder Diakonie sein. Betroffene sollen bei den Kommissionen über ein niederschwellig zugängliches Online-Formular einen Antrag stellen können. Dieser soll - wie auch in der katholischen Kirche - nur auf Plausibilität geprüft werden, eine Beweiserhebung ist nicht geplant.

Hart errungener Kompromiss

Das Modell wurde im sogenannten Beteiligungsforum, einem Gremium aus Betroffenen und Kirchenvertretern, entwickelt. Laut dem Sprecher der Gruppe der Betroffenen, Detlev Zander, handelt es sich um einen hart errungenen Kompromiss. 

Detlev Zander / © Heike Lyding (epd)
Detlev Zander / © Heike Lyding ( epd )

"Die Summe der pauschalen Leistung stellt für uns Betroffene im Beteiligungsforum die absolute Untergrenze dar, um dieser Reform überhaupt zustimmen zu können", sagte Zander. "Wir wissen, dass es Betroffene gibt, denen die Summe zu niedrig ist. Wir wissen auch, dass es Personen in der Kirche und Diakonie gibt, denen der Betrag zu hoch ist."

Die entsprechende Richtlinie soll frühestens im März vom Rat der EKD in Kraft gesetzt werden. Derzeit haben die Landeskirchen noch Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Bislang fallen Anerkennungsleistungen je nach Landeskirche unterschiedlich aus.

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung sieht das geplante Verfahren skeptisch. "Das skizzierte Modell ist komplex und wird viele Betroffene vor neue Hürden stellen", sagte Kerstin Claus der KNA. Die individuelle Leistung solle sich nicht an der Schwere der Taten orientieren, sondern an den individuellen Bedürfnissen, die Betroffene entsprechend offenlegen müssten. "Allein das wird für viele eine Hürde sein." Kriterien wie die Schwere der Taten, ihre Dauer oder auch das fehlende Handeln von Kirchenverantwortlichen fehlten hingegen.

Claus: Betrag wird vielen verwehrt bleiben

Claus kritisierte weiter, der sogenannte Pauschalbetrag von künftig 15.000 Euro werde gerade nicht an alle Betroffenen gezahlt. Eine Zahlung sei nur vorgesehen, wenn die Taten vom Strafrecht umfasst seien. Darüber sollten unabhängige Juristen entscheiden. "Damit werden Taten, die vielfach mit massivem Machtmissbrauch und dem Ausnutzen seelsorgerlicher Beziehungen einhergingen, nach Kriterien des Strafrechts statt nach ethisch-moralischen Standards der evangelischen Kirche bewertet. Dies ist befremdlich."

Kerstin Claus (UBSKM)
Kerstin Claus / ( UBSKM )

Laut der Missbrauchsstudie sei eine Vielzahl von Fällen im Kontext der Jugendarbeit angebahnt worden, so Claus. Dieser Bereich sei als spezifischer evangelischen Risikofaktor benannt worden. "Dennoch würde hier wie in vielen anderen Tatkonstellationen seitens der Kirche kein Pauschalbetrag an die Betroffenen gezahlt, weil sie nicht vom Strafrecht umfasst sind."

"Kirchliche Verantwortungsübernahme muss sich jenseits strafrechtlicher Kategorien über eine klare Haltung zeigen", betonte die Beauftragte. "Zu vielen Betroffenen wird dieser vermeintliche Pauschalbetrag, dessen Höhe ohnehin umstritten ist, verwehrt bleiben."

Ombudsstelle und Personalakten-Analyse

Darüber hinaus brachte die Synode einen Plan von zwölf Anti-Missbrauch-Maßnahmen auf den Weg. Die Kirchenparlamentarier beschlossen unter anderem die Schaffung einer zentralen Ombudsstelle für Betroffene, eine Reform der Gewaltschutzrichtlinie der EKD und eine stärkere Berücksichtigung des Missbrauch-Themas in der Theologie. Das Parlament machte auch den Weg frei für eine systematische Analyse aller kirchlichen Personalakten nach einheitlichen Kriterien, um mögliche weitere Fälle zu ermitteln.

Schließlich verabschiedeten die Delegierten eine Neufassung des kircheninternen Disziplinarrechts, die etwa Betroffenen Akteneinsicht ermöglichen soll.

EKD-Synode in Würzburg 2024 / ©  Heike Lyding (epd)
EKD-Synode in Würzburg 2024 / © Heike Lyding ( epd )

Die Missbrauchsbeauftragte Claus nannte diese Beschlüsse wenig konkret. "Damit wird sich für eine Vielzahl von Betroffenen erst mal kaum etwas verbessern." Betroffene sollten zwar im Rahmen von Disziplinarverfahren mehr Rechte bekommen. Gleichzeitig würden nur in den allerwenigsten Fällen heute noch Disziplinarverfahren wegen mutmaßlicher Taten in der Vergangenheit eingeleitet. 

Eine unabhängige Ombudsstelle werde nur dann konkrete Verbesserungen für Betroffene bringen, wenn sie über ein entsprechendes Mandat die kirchlichen Stellen auch zu konkretem Handeln verpflichten könne.

Die neue Gewaltschutzrichtlinie soll laut der Beauftragten erst 2028 zum Standard werden. "Aus institutioneller Perspektive mögen vier weitere Jahre, bis konkrete Maßnahmen gelten sollen, akzeptabel sein, für Betroffene sind sie das nicht."

Claus fordert Taten statt Worte

Claus fügte hinzu: "Es reicht nicht, wenn Dinge zwar umfassend bedacht, darüber aber das verlässliche Handeln weiter ausbleibt.

Betroffene brauchen Taten, nicht Worte." Das hätten sie in ihren Einlassungen, die stellvertretend über eine "Anwältin des Publikums" in die Synode eingebracht worden seien, sehr deutlich gemacht.

EKD-Synode in Würzburg / © Heike Lyding (epd)
EKD-Synode in Würzburg / © Heike Lyding ( epd )

Bei der Synode war eine unabhängige Psychologin und Mediatorin anwesend, um die Stimmen von Betroffenen auf den Zuschauerrängen zu sammeln und in die Beratungen einzubringen. Sie trug die Statements mehrerer namentlich genannter Menschen vor, die teils ihr erlittenes Leid schilderten und teils der Kirche Verschleppung und Vertuschung vorwarfen.

Der Umgang der Delegierten mit diesem Vortrag ist für Claus sinnbildlich für den Umgang der evangelischen Kirche mit Missbrauch: "Eine Debatte der Synode danach blieb aus, das Kirchenparlament ging umgehend zum nächsten Tagesordnungspunkt über - was zeigt, wie schwer sich die evangelische Kirche in der Fläche noch immer mit dem Thema tut."

EKD-Synode

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verabschiedet Kirchengesetze und entscheidet über den Haushalt. Außerdem gibt sie mit Beschlüssen auch eine inhaltliche Richtung vor. Erstmals kam sie vor 75 Jahren, am 9. Januar 1949, in Bielefeld-Bethel zusammen. Erster Synodenpräses wurde der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann. Der Name Synode bedeutet wörtlich "gemeinsamer Weg".

Logo der Evangelischen Kirche in Deutschland in Ulm während der Tagung der EKD-Synode / © Heike Lyding (epd)
Logo der Evangelischen Kirche in Deutschland in Ulm während der Tagung der EKD-Synode / © Heike Lyding ( epd )
Quelle:
KNA