DOMRADIO.DE: Bislang stand Fehrs nach dem Rücktritt von Annette Kurschus lediglich kommissarisch an der Spitze der EKD. War ihre Wahl eine logische Konsequenz oder gab es vorab eine Art Wahlkampf?
Benjamin Lassiwe (Journalist): Es war eine logische Konsequenz, dass die Bischöfin, die den Rat der EKD durch die schwere Zeit nach dem Rücktritt von Annette Kurschus geführt hat, jetzt auch zur Ratsvorsitzenden gewählt wird.
Kirsten Fehrs hat als kommissarische Ratsvorsitzende ihre Sache im Großen und Ganzen gut gemacht. Lediglich ein Missbrauchsvorwurf, der in den letzten Wochen erhoben worden ist, hat für etwas Verunsicherung gesorgt.
DOMRADIO.DE: Die EKD stand in der Kritik von Missbrauchsbetroffenen, die gesagt haben, dass die Evangelische Kirche da zu wenig gemacht habe und dass es bei der Evangelischen Kirche Vertuschungen gab. Wie werden die Missbrauchsbetroffenen die Wahl von Kirsten Fehrs sehen? Werden sie die akzeptieren können?
Lassiwe: Ich habe mit Detlev Zander, dem Sprecher der Missbrauchsbetroffenen im Beteiligungsforum der EKD, gesprochen. Er hat von einem guten Arbeitskontakt mit Bischöfin Fehrs berichtet und gesagt, dass es dort über die Jahre vertrauensvoll und gut laufe.
Dass Missbrauchsbetroffene, die sich außerhalb des Beteiligungsforums engagieren und nicht mit der EKD zusammenarbeiten wollen, das anders sehen, liegt auf der Hand. Zudem gibt es den bereits angesprochenen Vorwurf, dass Fehrs in Hamburg selbst einen Missbrauchsfall nicht richtig behandelt haben soll.
Der älteste Vertreter des Rates der EKD, Professor Andreas Börner, hat den Wahlvorschlag eingebracht. Er hat gesagt, dass man sich vor der Einbringung des Wahlvorschlags darüber beraten hat, ob man Frau Fehrs vorschlagen soll. Man sei zu dem Ergebnis gekommen, dass an den Vorwürfen gegen sie und der Handhabung des Missbrauchsfall in Hamburg nichts dran ist. Was es jetzt konkretisieren würde und was seine Tätigkeit als Ratsvorsitzender ausschließen würde.
DOMRADIO.DE: Die Ergebnisse der Forumstudie zu sexualisierter Gewalt in der EKD und der Diakonie, die im Januar veröffentlicht worden war, sorgt bis heute für Diskussionen mit dem Umgang von sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche. Haben Sie den Eindruck, dass die EKD-Spitze und Kirsten Fehrs bislang die richtigen Schlüsse aus der Studie gezogen haben und diesen Weg weitergehen werden?
Lassiwe: Man geht nach heutigem Stand den Weg ganz klar weiter. Es sind Maßnahmen zur Entschädigung von Betroffenen eingeleitet worden, die jetzt zwar durch die Kirchenkonferenz müssen, allerdings sind sie im Gange. Es soll künftig jeder Betroffene eine individuelle Entschädigung bekommen plus 15.000 Euro Pauschalbetrag, wenn der Fall zu dem Zeitpunkt, als er passierte, strafrechtlich relevant war.
Das ist nichts, was Menschen mit einer besonders schweren Missbrauchsgeschichte, die vielleicht 100.000 Euro Anerkennungsleistung bekommen, besonders betreffen wird. Aber diese "kleinen" Fälle, in denen es um eine Entschädigung von 1.000 oder 2.000 Euro ginge, die profitieren von dieser Pauschale von 15.000 Euro natürlich enorm.
DOMRADIO.DE: Insgesamt ist die Lage bei der Evangelischen Kirche, ähnlich wie bei der Katholischen Kirche, nicht gut: wenig Mitglieder, die besagten Vorwürfe wegen des falschen Umgangs mit Missbrauch und langfristig wird das Geld weniger. Wie groß oder klein ist denn der Problemberg, vor dem Kirsten Fehrs nun als EKD-Ratsvorsitzende steht?
Lassiwe: Ich glaube, der Berg hat die Ausmaße eines Mount Everest. Aber ganz ehrlich, das war zu allen Zeiten so. Das Amt des oder der EKD-Ratsvorsitzenden ist kein Zuckerschlecken.
Auch Wolfgang Huber, Manfred Kock, Margot Käßmann oder Heinrich Bedford-Strohm hatten jeweils zu ihrer Zeit mit diesem Amt zu kämpfen und eine ganze Menge an Aufgaben vor sich gehabt, die zu lösen waren. Das ist heute nicht anders als damals.
DOMRADIO.DE: Wie schätzen Sie die Zukunft des ökumenischen Dialogs unter Kirsten Fehrs ein, vor allem mit Blick auf die Katholische Kirche?
Lassiwe: Kirsten Fehrs hat ein sehr, sehr gutes Verhältnis zum Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Die arbeiten beide sehr intensiv zusammen. Da ist über Jahre ein gutes Vertrauensverhältnis gewachsen. Zudem haben die kleineren Kirchen in der Hansestadt einen guten Arbeitskontakt zur Nordkirche.
Die Kirche war immer schon ökumenisch offen und ich denke, dass das ökumenische Verhältnis der EKD zu anderen Kirchen unter Fehrs es noch besser werden wird als vorher.
Das Interview führte Mathias Peter.