Elisabethkirche in Kassel verwandelt sich in Paradiesraum

Barfuß über den Kunstrasen

Welche Rolle spielt das Paradies im Leben? Diese Frage brachte die Künstlerin Birthe Blauth dazu, die Elisabethkirche in Kassel zur documenta mit Kunstrasen auszulegen. Eröffnet wurde die Installation mit Fuldas Bischof Gerber.

Poem of Pearls in der Kasseler Elisabethkirche zur documenta-Zeit / © Birthe Blauth (privat)
Poem of Pearls in der Kasseler Elisabethkirche zur documenta-Zeit / © Birthe Blauth ( privat )

DOMRADIO.DE: "Poem of Pearls" – Gedicht aus Perlen heißt die Installation von Birthe Blauth. Wie hat sie die Elisabethkirche in einen Kunstraum verwandelt?

Christoph Baumanns / © Marcus Leitschuh (privat)
Christoph Baumanns / © Marcus Leitschuh ( privat )

Christoph Baumanns (Sprecher der Vorbereitungsgruppe in Kassel und Projektleiter "Kunst Raum Kirche"): Wenn man eine Kirche vorstellt, so wie sie vielleicht zu Hause, also vor Ort ist, ist sie ja meistens bestuhlt oder mit Bänken ausgestattet. Es gibt viele Bilder. Das sind so die traditionellen Kirchenräume, die Elisabethkirche ist eigentlich auch bestuhlt, hat Bilder an den Wänden.

Aber dann hat die Künstlerin alle Stühle rausgeräumt. Sie hat den Raum unter der Empore abgeschlossen, in eine Transitzone verwandelt und die komplette Kirche bis auf den Altarraum mit Kunstrasen ausgelegt. Das Besondere an dieser Kirche ist, dass die Kirchenfenster nicht oben sind, sondern sozusagen in Menschenhöhe. Es sind sehr große Fenster, klare Fenster, so wie man sie zu Hause hat. Also es gibt keine bunten Kirchenfenster, die lassen ganz wunderbar das Tageslicht und die Sonne rein – auch wenn es grau ist – und es gibt ein sehr schönes Lichtspiel im Kirchenraum.

DOMRADIO.DE: Kunstrasen in der Kirche, große Fenster. Was für Erfahrungs- und Erlebnisräume eröffnen sich da für die Besucher und Besucherinnen?

Baumanns: Also, was wir Samstag bei der Eröffnung erlebt haben, war eine Schülergruppe, die dieses Projekt im Kunstunterricht begleitet. Sie waren auch in der Kirche, als sie noch ganz normal war mit den Stühlen. Die waren gestern völlig geschockt, als sie plötzlich sahen, dass es ein ganz großer, weiter, ruhiger Raum geworden ist.

Das mit den Fenstern spielt insofern eine Rolle, als dass es auf der anderen Seite der Fenster, also draußen, kleine Seitenhöfe gibt, ohne Dach. Auch diese Seitenhöfe sind mit Kunstrasen ausgelegt, sodass man, wenn man dann in den Raum tritt, im Prinzip ein wunderbares Raumspiel hat zwischen draußen und drinnen. Die Menschen sind eingeladen, diesen Raum ja zu begehen, zu flanieren, sich einen Ort zu suchen. Sie können sich hinsetzen, sie können sich hinlegen und in der Mitte – das ist auch der Titel der Installation – gibt es eine große Schale mit Perlen.

Christoph Baumanns

"Die Grundüberlegung der Künstlerin ist eigentlich, dass das Paradies nur in unserer Vorstellung besteht. Alle Paradiese sind künstlich und deshalb hat sie sich auch sozusagen für den Kunstrasen entschieden."

DOMRADIO.DE: Welchen Bezug gibt es da zur christlichen Bildtraditionen?

Baumanns: Das, was der stärkste Bezug ist zu unseren Vorstellungen, ist des Paradies. Welche Rolle spielt eigentlich das Paradies in unserem Leben? Die Grundüberlegung der Künstlerin ist eigentlich, dass das Paradies nur in unserer Vorstellung besteht. Alle Paradiese sind künstlich und deshalb hat sie sich auch sozusagen für den Kunstrasen entschieden.

Wenn man ins Paradies will, muss man sich ja – das ist zumindest eine der Traditionen – auch ein bisschen anstrengen. Man muss pilgern, ein gutes Leben leben und so weiter. Das wird sozusagen vor der Kirche durch ein Labyrinth nachgebildet, wo die Leute eingeladen werden, über das Labyrinth erst mal zu gehen, bevor sie in den Kirchenraum reingehen.

DOMRADIO.DE: Samstag haben sie die Kunstinstallation eröffnet, zusammen mit Bischof Gerber und dem Diözesanbaumeister Matl. Dann gab es auch eine Andacht auf dem Kunstrasen. Sie haben schon von den "geschockten" Schulkindern erzählt. Wie waren denn sonst die Reaktionen auf diesen Auftakt?

Christoph Baumanns

"Diesen Gang durch die Kirche, durch den Raum hat Bischof Gerber in seiner Predigt und in der Auswahl der Texte ganz wunderbar thematisiert."

Baumanns: Mit geschockt meinte natürlich, die waren total begeistert. Für die Jugendlichen war das natürlich auch ein völlig anderes Raumerlebnis, als sie sonst kennen, wenn sie in die Kirche gehen. Gestern der Tag mit Bischof Gerber war insofern etwas sehr Besonderes, weil Bischof Gerber sich vorab intensiv mit diesem Raum auseinandergesetzt hat und seine Andacht daraufhin abgestellt hat. Er hat auch wirklich den ganzen Raum genutzt.

Wir haben die Andacht gestartet auf dem Labyrinth vor der Kirche, sind dann in diese Transitzone gegangen. In dieser Transitzone sind alle eingeladen, die Schuhe auszuziehen. Also der Kunstrasen kann nicht mit Straßenschuhen betreten werden. Das ist sozusagen die Regelseite. Aber die schöne Seite ist, das ist natürlich wunderbar barfuß oder nur mit Strümpfen durch die Kirche auf diesen wunderbar weichen Kunstrasen zu gehen. Diesen Gang durch die Kirche, durch den Raum hat der Bischof in seiner Predigt und in der Auswahl der Texte ganz wunderbar thematisiert.

Leuchtschrift "Poems of Pearls" an der Elisabethkirche installiert / © Birthe Blauth (privat)
Leuchtschrift "Poems of Pearls" an der Elisabethkirche installiert / © Birthe Blauth ( privat )

DOMRADIO.DE: Kassel ist ja tatsächlich jetzt schon im documenta-Fieber. Warum machen Sie das von der katholischen Kirche in Kassel zusammen mit dem Bistum Fulda, dass Sie diese Ausstellungen parallel zur documenta anbieten?

Baumanns: Der Grundgedanke ist, dass natürlich sehr viele Menschen aus aller Welt – beim letzten Mal waren es fast eine Million Menschen – zur documenta kommen und wir uns auch als Kirche als Gastgeber verstehen, also auch die beiden Kirchen, wir machen ja ähnliche Aktionen.

Wenn so viele Menschen in die Stadt kommen, möchten wir denen natürlich auch einen Raum bieten, wo sie sich wohlfühlen. Wir möchten ihnen gerne auch einen Raum bieten, der für sie interessant ist. Und wir möchten natürlich möglichst viele Leute ganz unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlichen Glaubens und Religionen einladen, einen Raum zu haben, in dem sie zur Ruhe kommen können, in dem sie mal eine Pause machen können, in dem sie meditieren können. All das ist uns viel wert.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR