In Myanmar sind die alten Fronten wieder da: auf der einen Seite die Armee, die sich am Montag unter fadenscheinigen Begründungen erneut an die Macht putschte - auf der anderen Seite die demokratischen Kräfte unter Führung von Staatsrätin Aung San Suu Kyi.
Aung San Suu Kyi gibt sich kämpferisch
In den vergangenen Jahren hatte die Friedensnobelpreisträgerin immer mehr die Züge einer opportunistischen Machtolitikerin angenommen. Wird sie nun wieder zur Symbolfigur der Bürgerrechtsbewegung? Gleich nach ihrer Verhaftung gab sie sich kämpferisch.
"The Lady" kam als Tochter des birmanischen Freiheitshelden General Aung San zur Welt und war gerade zwei Jahre alt, als ihr Vater 1947 ermordet wurde. Nach dem Militärputsch 1962 verbrachte sie einige Zeit in Indien. Um die populäre Familie kaltzustellen, war ihre Mutter Khin Kyi als Botschafterin nach Neu Delhi geschickt worden.
Es folgten Jahre des Studiums in Oxford, die Heirat mit Michael Aris und die Geburt ihrer beiden Söhne. Politisch fiel sie in dieser Zeit kaum auf. Das änderte sich 1988, als sie zur Pflege ihrer kranken Mutter in Rangun weilte und in den Studentenaufstand gegen die Diktatur hineingezogen wurde. Die Armee schlug den Aufstand mit blutiger Gewalt nieder, Zehntausende wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland. Das war die Geburtsstunde der NLD (Nationale Liga für Demokratie) und der Beginn der Politkarriere der "ASSK".
Ihr Sieg bei der Wahl 1990, der vom Militär annulliert wurde, die - mit kurzen Unterbrechungen - 20 Jahre im Hausarrest, der Friedensnobelpreis, ASSK wurde zur Ikone. Die erste freie Wahl nach 20 Jahren im November 2015 katapultierte die politisch unerfahrene Aung San Suu Kyi jäh in die Realität.
Sie wurde Außenministerin und durch den eigens für sie geschaffenen Posten einer Staatsrätin die faktische Regierungschefin. Die Machtfülle ist gleichzeitig aber auch das Menetekel der Frau, die bei vielen als herrisch, kritik- und beratungsresistent gilt. Diese Charaktereigenschaften erschwerten ihr auch den Umgang mit der Armee, die in sicherheitspolitischen Fragen das alleinige Sagen hat.
Ernüchternde Bilanz
Nach fünf Jahren an der Macht fällt die reform-, wirtschafts- und friedenspolitische Bilanz der NLD und ihrer Chefin ernüchternd aus. Der Bürgerkrieg im Bundesstaat Kachin ist eskaliert, während seit Ende 2018 Chin und Rakhine zu einem weiteren Kriegsschauplatz wurden.
"Ohne Not hat sie die von Vorgängerregierung geschaffenen Strukturen für den Friedensprozess mit den ethnischen Minderheiten abgeschafft und erfahrene Experten durch ihre Leute ersetzt", klagt ein westlicher Diplomat, der anonym bleiben möchte.
Das wirft ein Schlaglicht auf ein weiteres Problem: Die führenden NLD-Mitglieder sind alte, akademisch gebildete Leute aus der Elite der Mehrheitsethnie der buddhistischen Bama, die unter der Militärdiktatur verfolgt, ins Gefängnis gesteckt und gefoltert worden waren. Der NLD fehlt es aber an Erfahrung, Kompetenz und Nachwuchs.
Gleichwohl ist ASSK in Myanmar - anders als im westlichen Ausland, wo ihr wegen der Vertreibung der muslimischen Rohingya ein Menschenrechtspreis nach dem anderen aberkannt wurde - weiter extrem populär. Ihr Auftritt als Verteidigerin der Nation vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag im Dezember 2019 wurde zu Hause umjubelt. Myanmar ist vor dem IGH wegen des Völkermords an den Rohingya angeklagt.
Auch in der Corona-Krise machte Mutter Su "bella figura". Die bescheidenen wirtschaftlichen Erfolge sind durch die Pandemie gefährdet. Doch ihre Kritiker sitzen nicht nur in den Reihen der Armee. Der Bürgerrechtler Khin Zaw Win wünschte ihr zum Geburtstag "alles Gute und einen würdevollen Rückzug in den Ruhestand".
Desillusioniert haben sich zudem die ethnischen Minderheiten von ihr abgewandt, die 2015 die NLD in Scharen gewählt hatten.
Dennoch gewann die Partei und ihre charismatische Führerin bei den Parlamentswahlen im November deutlich. Die Armeeführung reagierte mit der kruden Behauptung, es habe dabei Manipulationen gegeben, und begründete damit ihren Gewaltstreich vom Montag. ASSK und viele weitere wurden von den Militärs inhaftiert, allen internationalen Warnungen und Protesten zum Trotz. Den erneuten Kampf gegen die Junta scheut die 75-Jährige aber nicht. Noch am selben Tag ließ sie über Facebook erklären: "Ich bitte die Menschen dringend, mit ganzem Herzen gegen den Militärputsch zu protestieren."