DOMRADIO.DE: Ich möchte mal anfangen mit meinem persönlichen Olympia-Highlight. Das war für mich tatsächlich das Gold für Tennisspieler Alexander Zverev. Auch die Auftritte der Tischtennisspieler um Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll fand und finde ich super. Wer hat Sie bislang am meisten begeistert?
Elisabeth Keilmann (Sport- und Olympiaseelsorgerin der Deutschen Bischofskonferenz): Insgesamt sind es spannende Spiele. Mir ist noch besonders Weitspringerin Malaika Mihambo im Kopf. Das war ein ganz spannender Wettkampf. Sie hat an sich geglaubt, sie hat in einem Interview auch gesagt, sie hat innere Ruhe verspürt und hatte ein großes Selbstvertrauen. Und es war aufregend, überhaupt dabei zu sein. Und dann dieser grandiose Abschluss.
DOMRADIO.DE: Sie stehen als Sportseelsorgerin nur online zur Verfügung. Wir haben kurz vor Beginn der Spiele schon hier bei DOMRADIO.DE gesprochen. Wie werden denn die Angebote, die ja nicht nur für die Athleten bestimmt sind, angenommen?
Keilmann: Es gibt vereinzelt Kontakte aus der Ferne. Digital ist es natürlich aufgrund der Pandemie eine große Herausforderung und natürlich nicht damit zu vergleichen, als wenn wir vor Ort wären. Die persönlichen Begegnungen oder auch die zufälligen Gespräche fehlen uns allen: das Zusammenkommen im Deutschen Haus, das Dabeisein beim Training oder das Gespräch nach dem Wettkampf oder auch die zufälligen Begegnungen auf der Straße.
Aber meine Erfahrung sagt: Es ist, glaube ich, einfach gut zu wissen, da ist jemand, der auch ansprechbar ist. Natürlich ist es auch noch einmal eine Schwierigkeit, dass die Verweildauer der Sportlerinnen und Sportler relativ kurz ist. Sie müssen ja 48 Stunden nach dem Wettkampf wieder abreisen. Und die Gespräche finden meistens nach dem Wettkampf statt, weil sie sich sonst immer erst mal auf ihren Wettkampf konzentrieren.
DOMRADIO.DE: Ist denn jemand mit seelischen Nöten auf Sie zugekommen, ohne dass Sie jetzt Namen nennen? Oder war das tatsächlich ruhig?
Keilmann: Doch, das gab es. Das hat dann nichts mit dem Sport zu tun. Ich sage jetzt ja auch keinen Namen. Darf ich ja nicht. Aber da ging es um einen Todesfall.
DOMRADIO.DE: Die psychische Belastung ist für manche offenbar enorm. Die amerikanische Top-Turnerin Simone Biles ist zwischendurch aus dem Wettkampf ausgestiegen und hat das mit dem Gefühl begründet, die Last der Welt auf den Schultern zu tragen und mehr Stress als Freude am Sport zu empfinden. Das ist ja wirklich schon enorm. Was zeigt dieser Rückzug?
Keilmann: Ich spüre aus diesen Worten heraus, dass der Druck und die hohe Erwartung auf ihr ziemlich lasten. Sie hatte ja auch eine Favoritenrolle. Und ich glaube, der Leistungsdruck kommt nicht nur von außen, sondern auch die Sportlerinnen und Sportler legen sich auch selbst viel auf. Ich finde immer, so ein Selbstwertgefühl darf nicht von der Leistung abhängen, sondern ein gutes Umfeld wie Familie und Freunde sind wichtig oder auch der Zuspruch: Du bist wertvoll, auch wenn du keine Goldmedaille gewinnst. Und das Gefühl zu wissen: Ja, ich bin geliebt.
Ich möchte da auch gerne ein Zitat aus der Bibel, aus dem Matthäusevangelium anführen, dass das, glaube ich, gut auf den Punkt bringt: "Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben einbüßt?" (Mt 16,26). Also da bestätigt sich noch einmal für mich: Es geht um den ganzen Menschen, nicht um die Leistung, sondern um Körper, Geist und Seele. Das Beispiel zeigt einfach auch noch mal, wie wichtig das ist.
DOMRADIO.DE: Was hätten Sie der Turnerin gesagt? Wie hätten Sie ihr geholfen? Ich meine, sie hat ja schließlich viele Jahre auf diesen einen Termin hingearbeitet und hintrainiert.
Keilmann: Ja, das ist auch wahr. Das haben Sie beim Mehrkämpfer Niklas Kaul auch gesehen, der durch Verletzungen ausscheiden muss. Simone Biles ist ja noch mal zurückgekehrt und ihr war es ganz wichtig, noch einmal rauszukommen. Dann hat sie am Schwebebalken Bronze gewonnen. Also ich würde wirklich sagen, es ist wichtig, den Zuspruch zu geben: Du bist wertvoll, auch wenn du keine Goldmedaille gewinnst – jetzt so in Kürze zusammengefasst.
DOMRADIO.DE: Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, Kommerz und Vermarktung dürften bei Olympia nicht im Mittelpunkt stehen und haben betont, es gehe um die Spiele an sich, also um die Freude und den Wettkampf. Spitzensport müsse da eine Vorbildfunktion haben. Wie fanden Sie in dem Zusammenhang den Auftritt von Alexander Zverev? Der hat gesagt: Diese Goldmedaille hier im Tennis, die habe ich für Deutschland geholt. Ich habe da nicht für mich gespielt.
Keilmann: Das hat er gesagt. Ich weiß jetzt noch nicht, ob ich das mit dem Kommerz in Zusammenhang bringen kann, da ich die Hintergründe nicht kenne. Er ist ja gestern auch von der Stadt Hamburg geehrt worden. Der Erste Bürgermeister hat ihn auch als Vorbild für Generationen von Nachwuchsspielern bezeichnet. Er hat eine große sportliche Leistung vollbracht und ich glaube, solche Erfolge können zum Sporttreiben motivieren und zeigen auch, was möglich ist im Blick auf Leistung, Ausdauer, Zielstrebigkeit.
Für mich sympathisch war schon die Aussage: Ich habe für alle gespielt, für die Athleten und Athletinnen im Olympischen Dorf, für die Betreuer, für ganz Deutschland. Ich fand es auch gestern ganz schön, dass er zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist und seinen Heimatverein besucht hat, wo alles angefangen hat.
DOMRADIO.DE: Ich finde das auch gerade bei Tennisspielern sehr beeindruckend, weil die ja normalerweise für sich spielen. Aber das hat er hier, glaube ich, ganz schön in den Hintergrund gerückt.
Keilmann: Er hat ja auch gesagt, dass der Teamgeist im olympischen Dorf in der deutschen Mannschaft sehr groß ist. Das fand ich auch sehr schön, noch mal diesen Zusammenhalt zu betonen.
DOMRADIO.DE: Werden Sie zum Ende der Spiele jetzt noch mal mit dem "Team D" in Tokio Kontakt aufnehmen? Ist da noch was geplant?
Keilmann: Mein evangelischer Kollege und ich, wir haben ein Grußwort geschrieben, noch mal mit den besten Wünschen auch für die Zukunft und in der Hoffnung, dass wir uns bald auch persönlich kennenlernen. Für die, die jetzt noch in Tokio sind, gibt es einen Reisesegen und die guten Wünsche, gesund und munter nach Hause zu kommen.
Das Interview führte Carsten Döpp.