Ernüchternde Regierungsbilanz in Myanmar

Glanz der Friedensnobelpreisträgerin verblasst

Einst war sie gegen die Mächtigen, heute ist sie selbst an der Macht. Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi wollte ihrem Land Demokratie und Freiheit bringen. Doch die erste Bilanz nach 100 Tagen fällt ernüchternd aus.

Autor/in:
Verena Hölzl
Aung San Suu Kyi / © Hein Htet (dpa)
Aung San Suu Kyi / © Hein Htet ( dpa )

Die Demokratie kommt nach dem Regierungswechsel in Myanmar in kleinen Schritten. "Es geht zwar alles langsam voran, aber immerhin geht es endlich voran", sagt der 20-jährige Hlwan Paing. Er studiert Betriebswirtschaft in Rangun und darf mit seinem Studentenverband endlich Abstimmungen und Filmfestivals organisieren. "Wir haben jetzt sogar ein eigenes Büro", sagt er stolz. Vor einem Jahr hatte die Universitätsverwaltung all das verboten.

Militärherrschaft beendet

Damals war noch die von der Armee gestützte Regierung an der Macht in Myanmar. Ende März änderte sich das: In einem als historisch gefeierten Regierungswechsel endeten mehr als 50 Jahre Militärherrschaft in dem südostasiatischen Land.

Am 9. Juli sind es 100 Tage, dass die "Nationale Liga für Demokratie" (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung Suu Kyi regiert. Über 25 Jahre lang hatten sie und ihre Anhänger für Demokratie gekämpft. Die Ikone der Bewegung, Suu Kyi, verbrachte fast 15 Jahre im Hausarrest und Gefängnis. Damals waren sie gegen die Mächtigen, heute sind sie selbst an der Macht. Aus Aktivisten wurden Politiker.

Einer von ihnen ist U Bo Bo. Nach 20 Jahren im Gefängnis ist der 51-Jährige heute Abgeordneter. Seit er in Myanmars Unterhaus sitzt, hat er für seine Kunstgalerie in Rangun so gut wie keine Zeit mehr. "Es gibt so viel zu lernen", sagt er und stöhnt. Dennoch ist er glücklich, endlich etwas verändern zu können in Myanmar.

Euphorie verflogen

Unter der Militärjunta wurde das einst recht gut entwickelte Land heruntergewirtschaftet. Der Wahlsieg der NLD im vergangenen November war für viele Menschen ein starkes Hoffnungszeichen. Doch inzwischen ist die Euphorie verflogen. Akteure aus Zivilgesellschaft und Medien, die lange Jahre an der Seite der NLD gegen das Militär gekämpft haben, fühlen sich alleine gelassen. Sie bekommen keinen Zugang mehr zu ihren alten Weggefährten in der Partei.

Auch das Image von Suu Kyi hat gelitten, vor allem im Ausland. Die Situation ethnischer und religiöser Minderheiten in Myanmar ist nach wie vor katastrophal. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte für Myanmar, Yanghee Lee, forderte jüngst, die "institutionalisierte Diskriminierung" in dem buddhistisch dominierten Land gegen die muslimischen Rohingya müsse dringend beendet werden. Doch der Handlungsspielraum der NLD ist begrenzt. Ein Viertel aller Parlamentssitze und zentrale Ministerien unterstehen nach wie vor dem Militär. So hat die NLD etwa keinen Einfluss auf den Polizeiapparat.

Repressive Gesetze reformieren

Noch immer werden Journalisten und Aktivisten eingesperrt. "Human Rights Watch" fordert deshalb, die repressiven Gesetze aus Zeiten der Militärherrschaft mit Hilfe der komfortablen Mehrheit der NLD im Parlament zu reformieren. Alleine im Mai seien auf Basis solcher Gesetze 70 Menschen inhaftiert worden.

Sehr zum Unmut vieler Bürger wurde im vergangenen Monat der Eröffnungsfilm des "Filmfestivals der Menschenrechte" kurzfristig verboten. In dem Liebesfilm ist unter anderem von Verbrechen des Militärs die Rede. Das NLD-geführte Informationsministerium erklärte, die Zensur solle helfen, Spannungen zu vermeiden. Suu Kyi, im neuen Myanmar Staatsrätin und Außenministerin, betont regelmäßig, dass sie Versöhnung mit dem Militär wolle.

Die Aufgaben der neuen Regierung sind gewaltig: Zwei Drittel der 50 Millionen Einwohner Myanmars haben keinen Zugang zu Elektrizität.

Unerfahrung im Politikbetrieb

Das Gesundheits- und Bildungssystem ist marode, und es gilt, einen Jahrzehnte alten Bürgerkrieg mit Rebellen ethnischer Minderheiten zu beenden. Die Bodenschätze und das Tropenholz locken ausländische Investoren, doch die Wirtschaftsentwicklung müsste verantwortlich und sorgsam geplant werden, damit die verarmten Menschen etwas davon haben. Die NLD ist jedoch im Politikbetrieb unerfahren. Der Student der Betriebswirtschaft, Hlwain, sieht die großen Herausforderungen und die Schwächen der NLD. Doch er sagt: "Sie ist nun einmal die einzige Hoffnung, die wir haben."


Quelle:
epd