Erste Aussagen zu Missbrauch in Württemberg veröffentlicht

Kommission zur Aufarbeitung legt online Jahresbericht vor

Die Erkenntnisse sind nicht neu und trotzdem gehören sie an die Öffentlichkeit. Früher wurden auch in Württemberg Missbrauchstäter und die Institution Kirche geschützt. Kirchenrechtlich belangt wurden sie kaum.

Autor/in:
Michael Jacquemain
Dom Sankt Martin in Rottenburg / © SSKH-Pictures (shutterstock)
Dom Sankt Martin in Rottenburg / © SSKH-Pictures ( shutterstock )

Die "Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese Rottenburg-Stuttgart" (AK-DRS) hat ihren ersten Jahresbericht veröffentlicht – und weicht in ihren vorläufigen Einschätzungen wenig von den unabhängigen Gutachten anderer Bistümer ab: Es ging um den Schutz von Tätern und Institution, es gab kein Mitgefühl mit den Opfern.

Stichproben wurden kontrolliert

Die im Dezember 2021 gegründete Kommission unter Leitung des Tübinger Rechtswissenschaftlers Jörg Eisele hat sieben Mitglieder und wirkt außerordentlich stark auf ihre Unabhängigkeit bedacht: eigene Internetseite, eigenes Briefpapier, eigene Pressearbeit.

Bischof Gebhard Fürst / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bischof Gebhard Fürst / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Intensiver Austausch besteht laut Bericht mit der diözesanen Kommissions sexueller Missbrauch (KsM), wobei klar die Rollen unterschieden werden: Die 2002 gegründete KsM nimmt Hinweise von Betroffenen entgegen, berät Bischof Gebhard Fürst und kümmert sich um Vorbeugung. Die AK-DRS will unabhängig aufarbeiten.

Ausgewertet wurden die Personalakten nur aus den Jahren von 1946 bis 1999, weil die jüngsten Unterlagen durch die bundesweite MHG-Studie untersucht worden waren. Und auch von den älteren wurden – entsprechend einer Vorgabe des baden-württembergischen Landesarchivs zur Arbeit mit Stichproben – nur die Personalakten von Priestern geprüft, deren Nachname mit D, O, R und T beginnt.

Die Ergebnisse sind spärlich: In den 195 überprüften Akten verstorbener Priester gab es selbst in Unterlagen verurteilter Täter fast keine Hinweise auf Missbrauch.

Erst Gespräche, dann Akten

Nach Gesprächen mit Zeitzeugen geht die Kommission von "einer gewissen Kultur der Oralität" bei Fehlverhalten aus. Man sprach und telefonierte miteinander, nutzte Schmierblätter. Das schien praktisch, weil gewisse Dinge so gar nicht erst den Weg in die Akten finden konnten. Am Ende kommt die AK-DRS zum lapidaren Ergebnis, aus dieser Aktenauswertung seien "keine größeren Ergebnisse" zu erzielen.

Akten in einem Archiv / © Julia Steinbrecht (KNA)
Akten in einem Archiv / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Spannend wird es indes, wenn Alfons Hufnagel (1899-1976) und ein nach dem früheren Rottenburger Domkapitular benanntes Archiv ins Spiel kommt: Er war im Bistum für das weltliche Recht zuständig und hatte 16, teils Tausende Seiten umfassende Akten angelegt. Auf dieser Grundlage hat die Kommission bislang 9 Fälle geprüft: Acht Verurteilten steht ein Freispruch gegenüber, die Zahl der Geschädigten beläuft sich auf 58.

Wenig überraschende Ergebnisse

Der Umgang mit diesen Fällen scheint dem Desaster in anderen Diözesen zu entsprechen: Von kirchenrechtlichen Verfahren wurde oft abgesehen, in einem Fall wurde das trotz eines rechtskräftigen staatlichen Urteils mit der Unschuldsvermutung begründet. Sechs Täter wurden ihres Amtes enthoben, in den Ruhestand versetzt oder in Altenheimen und Klöstern untergebracht. Aktenkundig sind auch Versuche, auf weltliche Gerichte und auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen.

Die AK-DRS bescheinigt den Personalverantwortlichen, "Einiges" zur Unterstützung der Täter getan zu haben. Die hätten die "regelhaft verfügbaren Netzwerke innerhalb und außerhalb der Kirche" nutzen können. Nur in einem Fall sei es um einen Betroffenen gegangen – aber auch hier nur "beiläufig und ohne jegliche Empathie".

Quelle:
KNA