Caritas will Jugendliche über Soziale Medien vom Suizid abhalten

Erstmals auf TikTok und Instagram

​Suizid ist bei jungen Menschen die zweithäufigste Todesursache. Die Caritas hat deshalb vor einigen Jahren das Internetprojekt [U25]. Nun geht der Verband neue Wege und will auch über TikTok und Instagram junge Menschen ansprechen.

Autor/in:
Birgit Wilke und Paula Konersmann
Frau blickt aus dem Fenster / © Chayanin Wongpracha (shutterstock)
Frau blickt aus dem Fenster / © Chayanin Wongpracha ( shutterstock )

Fast einmal pro Stunde, zwanzigmal am Tag, ist ein junger Mensch in Deutschland so verzweifelt, dass er versucht, sich das Leben zu nehmen. Rund zwei dieser Versuche, so eine Auswertung der Caritas, enden tödlich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts nehmen sich jährlich rund 500 Jugendliche im Alter zwischen 10 und 25 Jahren das Leben. Suizid ist damit nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen.

Gespräch über TikTok und Instagram

Die Suizidrate unter deutschen Jugendlichen ist im internationalen Vergleich niedrig. Dennoch haben Experten diese Gruppe besonders im Blick: der Deutsche Caritasverband etwa mit dem Internetprojekt [U25], bei dem junge Menschen Gleichaltrige per E-Mail um Beistand und Rat bitten können. Seit etwa zwei Jahren gibt es dazu einen Youtube-Kanal.

Nun sucht der Verband auch über das Videoportal TikTok und über Instagram das Gespräch mit jungen Menschen. Denn: "Oft ist die Hemmschwelle für junge Menschen mit suizidalen Gedanken zu hoch, eine Beratungsstelle in ihrer Region aufzusuchen", meint Caritas-Präsident Peter Neher.

Auch für andere Helfer sind das Internet und die Sozialen Medien nicht mehr wegzudenken. Der Dachverband "Nummer gegen Kummer" etwa ist seit rund zwei Jahren auch beim Bilderdienst Instagram vertreten. Ziel sei es, die unterstützenden Angebote bei der jungen Zielgruppe bekannter zu machen. Beratung finde dort aus Gründen der Anonymität und Vertraulichkeit nicht statt.

Caritas will Suizid aus der Tabuzone holen

Caritas und andere Hilfsverbände wollen das Thema damit auch der Tabuzone herausholen. Denn dort steckt die Selbsttötung in vielen Gesellschaften - auch begünstig durch moralisch-religiöse Bewertungen. Christentum, Judentum und Islam sehen das Leben als gottgegeben an, das von einem Menschen nicht vorzeitig beendet werden sollte.

Bis ins 20. Jahrhundert konnte Suizidanten daher eine christliche Bestattung verweigert werden. Kirchenvater Augustinus (354-430) bezog das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten" auch auf das eigene Leben. Suizid galt lange als schwere Sünde. Heute sehen die Kirchen das anders.

Der Islam verbietet laut Zentralrat der Muslime "jede Form der Verletzung oder Tötung des eigenen Lebens ohne Ausnahme". Trotzdem können auch Muslime nach einer Selbsttötung religiös bestattet werden.

Das Judentum sieht bei grundsätzlicher Ablehnung des Suizids Ausnahmen: Wenn eine Selbsttötung den Tod eines anderen, Götzendienst oder Inzest verhindert, gilt sie zumindest als nachvollziehbar. Ein Beispiel ist der Massensuizid von Juden auf der Festung Masada, die 74 nach Christus der römischen Gefangenschaft entkommen wollten.

"Ehe Sie einen Suizidversuch unternehmen, rufen Sie mich an!"

Literatur und Kunst arbeiten sich immer wieder an dem Thema ab. Goethe wurde nach Veröffentlichung des Romans "Die Leiden des jungen Werther" 1774 vorgeworfen, Selbsttötung zu verherrlichen - dabei hatte der Schriftsteller in dem Briefroman vor allem das Thema Melancholie behandeln wollen - was heute wohl vielfach als Depression diagnostiziert würde.

Ob der Suizid der Hauptfigur eine Welle von Nachahmungstaten auslöste, ist inzwischen umstritten. Der Begriff "Werther-Effekt" hält sich dennoch hartnäckig: Er bezeichnet den vermuteten Zusammenhang zwischen Berichterstattung über Suizide und einer steigenden Zahl von Selbsttötungen in der Folge.

Gesprächs- und Hilfsangebote sollen heute dazu beitragen, Menschen von Suizidgedanken abzubringen. Eine der ältesten ist die ökumenisch getragene Telefonseelsorge. Sie entstand vor rund 60 Jahren. Als Initiator gilt ein anglikanischer Pfarrer, der 1953 in der Zeitung "Times" seine Telefonnummer angab und aufforderte: "Ehe Sie einen Suizidversuch unternehmen, rufen Sie mich an!"

Hilfen zur Suizidprävention

Jeder kann mit dem Thema Suizid konfrontiert werden. Die Angebote an Unterstützung für suizidale Menschen und ihre Nächsten sind zahlreich. Die Katholische Nachrichten-Agentur weist auf einige Einrichtungen hin:

Beratung und Suizidprävention in digitalen Zeiten / © Corinne Mercier (KNA)
Beratung und Suizidprävention in digitalen Zeiten / © Corinne Mercier ( KNA )
Quelle:
KNA