Erzbischof Heße besucht Flüchtlingscamps

Strand, Sonne und überfüllte Lager

Während seiner Aufenthalte in Flüchtlingscamps in Griechenland und der Türkei spricht Erzbischof Stefan Heße persönlich mit vielen Geflüchteten. Deren Berichte von Hunger und Ängsten sind erschütternd. Heße fordert globale Lösungen.

Drohnenaufnahme des Flüchtlingslagers Mavrovouni auf Lesbos / © Maximilian von Lachner (DBK)
Drohnenaufnahme des Flüchtlingslagers Mavrovouni auf Lesbos / © Maximilian von Lachner ( DBK )

DOMRADIO.DE: Sie wollen eine Botschaft der Solidarität mit schutzsuchenden Menschen überbringen. Konnten Sie sich mit Flüchtlingen austauschen?

Erzbischof Stefan Heße im Gespräch / © Maximilian von Lachner (DBK)
Erzbischof Stefan Heße im Gespräch / © Maximilian von Lachner ( DBK )

Stefan Heße (Erzbischof von Hamburg und Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen und Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz): Ja, an verschiedenen Stationen haben wir Flüchtlinge getroffen und konnten direkt mit ihnen mit Übersetzung ins Gespräch gehen. Das war zum Beispiel auf Lesbos in einem ganz großen Camp der Fall. Und das war auch vorgestern Abend in Izmir, in der Türkei mit 20, 30 geflüchteten Menschen aus ganz verschiedenen Ländern der Fall, die mir ihre Sorgen und Nöte anvertraut haben. Das waren die intensivsten Punkte dieser Reise.

DOMRADIO.DE: Lesbos ist ein Symbol für die sehr schwierige Situation für Flüchtlinge geworden. Der Papst hat die Insel schon mehrmals besucht. Wie sind die Lebensbedingungen für die Menschen dort?

Heße: Soweit ich das sehen kann, ist Lesbos eigentlich nur eine Ferieninsel. Man muss es sich in etwa so vorstellen: Strand, Hafen, Restaurants, nette Kulisse, wirklich lieblich sozusagen. Aber dann auch in gewisser Weise unwirtlich. Wir sind in Griechenland, es herrschen extreme Klimabedingungen, zum Teil Brache und dann gibt es ein Camp direkt außerhalb der kleinen Stadt Mytilini.

In diesem Camp ist eigentlich für 3.000 Menschen Platz, aber mittlerweile sind schon 3.500 da und es kommen jeden Tag mehr. Die Menschen leben dort in Containern. Diese stehen in der prallen Hitze. Einige davon sind irgendwie isoliert und haben sogar eine Klimaanlage. Aber diese Container sind dann voll mit acht oder zehn oder 15 Menschen. Und nicht nur aus einer Familie, sondern aus mehreren. Das führt zu gewissen Konflikten.

Migranten gehen nach einer Rettungsaktion im Hafen von Mytilene von einem Schiff der griechischen Küstenwache an Land / © Panagiotis Balaskas (dpa)
Migranten gehen nach einer Rettungsaktion im Hafen von Mytilene von einem Schiff der griechischen Küstenwache an Land / © Panagiotis Balaskas ( dpa )

Dann gibt es große Versorgungszelte, wo die Menschen Essen bekommen. Aber es bekommen nur die Essen, die im aktuellen Verfahren sind. Sobald sie eine Ablehnung erfahren haben oder sobald ihr Verfahren positiv beendet sein sollte, sind sie von der Essensliste gestrichen und bekommen nichts mehr. Das ist für viele ein Riesenproblem.

Und es ist auch so, dass jede einzelne Person, die Essen haben möchte, erscheinen muss. Also es kann keine Frau für ihren Mann, der einen Job hat, das Essen mitbringen oder wenn die Kinder irgendwie nicht wollen oder können, die müssen da erscheinen, sonst gibt es nichts.

Das sind so Dinge, die uns die Flüchtlinge anvertraut haben, die sie natürlich sehr ärgern und verstören, ganz zu schweigen von medizinischer Versorgung. Das ist ein weiteres großes Problem. Sie können sich vorstellen, wenn 3.500 Menschen medizinisch versorgt werden, ist immer irgendwas.

Es sind unter den Geflüchteten auch besonders vulnerable Menschen, Kranke, Langzeit-Kranke, die eine besondere Betreuung brauchen. Das ist in solchen Verhältnissen überaus schwierig, von daher herrscht große Not.

Erzbischof Stefan Heße

"Die Menschen leben dort in Containern. Diese stehen in der prallen Hitze."

DOMRADIO.DE: Der Papst betont immer den Wert jedes Menschen, auch oder besonders, wenn Menschen auf der Flucht sind. Haben Sie den Eindruck, dass Kirche sich insgesamt genug engagiert?

Heße: Da ist immer Luft nach oben. Wir können oder müssten eigentlich immer mehr tun. In Griechenland ist die orthodoxe Kirche die bestimmende. Fast alle Griechen sind orthodoxe Christen. In der Orthodoxie spielt die Caritas eine ganz andere Rolle, und zwar eine nicht so starke wie bei uns in der römisch-katholischen Kirche.

Erzbischof Stefan Heße segnet geflüchtete Familien in einem Kirchengemeinderaum / © Maximilian von Lachner (DBK)
Erzbischof Stefan Heße segnet geflüchtete Familien in einem Kirchengemeinderaum / © Maximilian von Lachner ( DBK )

Die Katholiken sind dort eine ganz, ganz kleine Gruppe. Es gibt in Athen eine Caritas, es gibt eine griechische Caritas, die sehr gut auf internationaler Ebene mit der deutschen Caritas zusammenarbeitet. Sie wird von da unterstützt. Aber das ist ein kleiner Laden. Wenige Menschen machen hier viel.

Auch in der türkischen Erzdiözese Izmir arbeiten bei der Caritas nur vier Menschen. Aber was die machen, ist großartig. Aber es sind eben nur vier. Die sind für viele da, die setzen sich ein, die sind mit Herzblut dabei. Das ist schon bewundernswert. Das hat mir imponiert.

Aber es sind sehr begrenzte Mittel. Von daher ist es wichtig, mit anderen NGOs zu kooperieren. Wir haben mehrere Vertreterinnen und Vertreter anderer Organisationen getroffen. Anders würde das hier alles zusammenbrechen. Ohne die menschliche, aber auch finanzielle Unterstützung durch weitere Organisationen ging weitaus weniger.

Erzbischof Stefan Heße

"Das, was hier passiert, hat Auswirkungen auf Europa."

DOMRADIO.DE: Gleichzeitig wird in Deutschland vor einer zu starken Einwanderung gewarnt und auf begrenzte Kapazitäten in Schulen, Kitas, beim Wohnraum verwiesen. Spielen solche Befürchtungen auf Ihrer Reise auch eine Rolle?

Heße: Es hängt alles mit allem zusammen. Wir sind weltweit global miteinander verbunden. Keiner ist sozusagen eine Insel und für sich allein. Das, was hier passiert, hat Auswirkungen auf Europa. Viele der Geflüchteten, die wir gesehen haben, haben natürlich das Ziel, von hier aus Richtung Europa weiter zu kommen, weil sie sich dort bessere Lebensbedingungen erhoffen.

Ich habe mit Afrikanerinnen gesprochen. In deren Heimatländern sind die Lebensbedingungen derart schlecht, dass sie für ihre Kinder überhaupt keine Zukunft sehen und deswegen das Ziel haben, irgendwo hin zu kommen, wo es ihnen besser geht. Das würden wir doch genauso machen. Das ist bei jedem Menschen so. Von daher müssen wir globale Lösungen erarbeiten.

Wenn man auf die Türkei schaut, sprechen wir von über vier Millionen Syrern, die sich aktuell im Land aufhalten. Die Türkei ist ein Volk von über 80 Millionen. Die wirtschaftliche Situation ist bei weitem nicht so gut wie bei uns. Das führt zu einer Schieflage. Das führt zum Beispiel zu Hate Speech, also Hassreden auf Geflüchtete, die hier keinen guten Leumund haben.

Erzbischof Stefan Heße verabschiedet sich von Maria Gloriosa Domina (Leiterin Caritas Izmir) / © Maximilian von Lachner (DBK)
Erzbischof Stefan Heße verabschiedet sich von Maria Gloriosa Domina (Leiterin Caritas Izmir) / © Maximilian von Lachner ( DBK )

Wenn diese Geflüchteten dann auch noch Christen sind, dann ist die Abwehrhaltung gegenüber ihnen sozusagen doppelt so groß. Die Menschen haben schon auch deutlich gemacht, welche Ängste sie hier aushalten. Gleichzeitig wissen sie, wenn ihre Verfahren abgelehnt werden, können sie nicht in ihre ursprünglichen Heimatländer zurück.

Das heißt, man sitzt als Flüchtling zwischen allen Stühlen. Man wird dann noch Opfer von Menschenhandel, von Schmugglern. Das sind Tausende von Euros, die sie bezahlen müssen, um von jemandem rüber geschmuggelt zu werden. Ob sie dann ankommen, wissen sie auch nicht.

Wir hören immer von den Toten in der Ägäis, im Mittelmeer, die die Überfahrt nicht schaffen, weil die Boote so miserabel sind. Es sind viele Probleme und die berühren uns auch in Europa.

Von daher bin ich dankbar, dass auch europäische Institutionen hier präsent sind und Unterstützung leisten.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Christen in der Türkei

Zwar ist die türkische Verfassung seit der Staatsgründung durch Kemal Atatürk offiziell laizistisch. Religiöse Minderheiten außerhalb des sunnitischen Islam hatten aber immer wieder unter Diskriminierungen zu leiden. Sie erhalten beispielsweise keine finanziellen Zuwendungen von der staatlichen Religionsbehörde.

Holzkreuz in der Hand / © PKStockphoto (shutterstock)
Quelle:
DR