Kein Zuhause, kein Bett, immer auf der Suche nach einem sicheren Ort: Was für die einen unvorstellbar erscheint, ist für andere bittere Realität. In die Bahnhofsmission "In Via" am Berliner Ostbahnhof kommen jene, die auf der Straße gerne übersehen werden - Obdachlose, Drogenabhängige, Menschen ohne Perspektive. Einer, der ihnen in die Augen schaut, ist der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch. Er besuchte am Mittwoch die Bahnhofsmission und sprach mit Helfern und Gästen.
Mit der typischen blauen Weste der Mitarbeiter der Bahnhofsmission ausgestattet, begegnete er Menschen, die am oder um den Ostbahnhof herum leben. Der Erzbischof ist auch gekommen, um ein Zeichen der Wertschätzung für die Gäste der Einrichtung zu setzen. Die Botschaft: Jeder Mensch ist wichtig und wertvoll. "Ein Bahnhof ist auch ein Spiegelbild einer Gesellschaft, die auf dem Weg ist. Viele kommen aber nicht mit - die Bahnhofsmission ist ein Gasthaus, wo sie willkommen sind", so Koch.
"Nicht als Obdachlose auf die Welt gekommen"
Einer der Menschen, die nicht mehr mitkommen, ist Hans-Jürgen Guthold. Bei einem Kaffee erzählt er dem Erzbischof seine Geschichte. Seit sieben Jahren lebt er am Ostbahnhof, arbeitete vor seiner Obdachlosigkeit unter anderem 15 Jahre als Altenpfleger auf einer Demenzstation. "Wir sind ja nicht als Obdachlose auf die Welt gekommen", so Guthold. Früher hatte er ein Zuhause, ein Auto. Es könne jeden treffen. Zwei Mal pro Tag kommt er jetzt zur Mission, um etwas zu essen und einfach mal irgendwo in Ruhe sitzen zu können, ohne dass ihn jemand verjagt, wie er sagt.
Seit 125 Jahren gibt es die Mission am Berliner Ostbahnhof bereits - auch während der DDR-Zeit schloss sie ihre Pforten nicht. Gegründet wurde die Einrichtung kurz vor der Jahrhundertwende von Frauen aus katholischen, evangelischen und jüdischen Gemeinden. Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, jungen Frauen zu helfen, die aus ländlichen Gebieten nach Berlin kamen, um Arbeit zu suchen, stattdessen aber soziale und sexuelle Ausbeutung erfuhren.
"Reisende mit und ohne Fahrkarte"
Heute kümmern sich fünf hauptamtliche und 25 ehrenamtliche Helfer um "Reisende mit und ohne Fahrkarte", wie die kommissarische Leiterin der Mission, Ulrike Reiher, es formuliert. Ersteres meint Menschen, die tatsächlich reisen, am Bahnhof ein- oder umsteigen und dabei helfende Hände benötigen, letzteres bezeichnet jene, "die auf ihrem Lebensweg ohne Geld oder eine Wohnung unterwegs sind". Pro Tag kommen zwischen 150 und 180 Personen in die vom katholischen Verband "In Via" getragene Bahnhofsmission.
"Die Menschen, die hierher kommen, sind bunt und auch die, die hier helfen, sind es", stellte Koch bei seinem Besuch fest. Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht und Nationalität spielen in der Einrichtung keine Rolle. "Jeder ist hier willkommen. Da gibt es keine Einschränkungen", betont die Leiterin der Bahnhofsmission.
"Kleine Helden"
Auch das Team der Helfer ist vielfältig: "Viele, die sich in der Mission engagieren, tun dies aus einer christlichen Überzeugung heraus", erläutert Astrid Gude vom Verband "In Via". Es gebe aber auch andere, die mit Religion wenig am Hut hätten. Für den Erzbischof sind sie alle "kleine Helden", die "ein großes Dankeschön für ihre Arbeit verdienen".
Ein Versprechen für die Zukunft gab es von ihm noch obendrauf: Die finanzielle Zukunft der Bahnhofsmissionen wird ein Thema auf seiner Agenda. "Wir dürfen den Trägerverein als Kirche nicht alleine lassen. Wir müssen am Ball bleiben, damit der Dienst an den Menschen weitergeführt wird", so der Erzbischof.