Erzbischof Koch dringt auf Lebensschutz von Anfang an

"Jedes menschliche Leben ist lebenswert"

An diesem Samstag demonstrieren Menschen in Berlin für ein Europa ohne Abtreibung und Sterbehilfe. Mit dabei ist auch Erzbischof Heiner Koch. Im Interview sagt er, warum es notwendig sei, für den Lebensschutz auf die Straße zu gehen.

Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse ( KNA )

DOMRADIO.DE: Herr Erzbischof, warum ist es wichtig, sich für den Schutz des Lebens in dieser Form einzusetzen?

Erzbischof Dr. Heiner Koch (Erzbischof von Berlin und Familienbischof der katholischen Bischofskonferenz): Nach meinem Eindruck und nach den statistischen Zahlen verliert das Bewusstsein, dass es sich bei dem ungeborenen Menschen um einen Menschen handelt, um ein eigenes lebenswertes Leben, immer mehr an Bedeutung. Es ist deshalb notwendig, in die gesellschaftliche Diskussion erstens einzubringen: Das ist Leben. Es handelt sich hier um menschliches Leben und nicht um irgendetwas, nicht um ein biologisches Neutrum. Und diese Diskussion zweitens auch in der Öffentlichkeit zu führen, bewusstseinsprägend zu sein – damit nicht immer mehr, wie es Statistiken zeigen, das Gefühl da ist: Ach, im Grunde ist das gut, wie es weitergeht mit den vielen Abtreibungen.

Erzbischof Dr. Heiner Koch, Familienbischof der katholischen Bischofskonferenz

"Es handelt sich hier um menschliches Leben und nicht um irgendetwas, nicht um ein biologisches Neutrum."

DOMRADIO.DE: Es gibt viele Beratungsstellen, die sich für den Schutz des Lebens einsetzen. Warum ist es Ihrer Meinung nach darüber hinaus wichtig, dafür noch mal öffentlich auf die Straße zu gehen?

Koch: Ohne Beratungsstellen, ohne materielle Hilfe, die wir als Kirchen leisten, ohne gute Hilfe für Frauen, die in Schwierigkeiten, in Probleme und in Gewissensnöte geraten, wäre eine solche Demonstration wie die heutige ein Widerspruch in sich. Es geht darum, Menschen auf den Weg zu bringen, Betroffene, aber auch politisch Entscheidende. Ist das eigentlich richtig, dass wir den Wert des ungeborenen Lebens immer mehr aus dem Blick verlieren?

Es ist für uns auch ein Hinweis, dass wir als Christen und als Kirche den Weg gehen, die Menschen nicht allein zu lassen. Wir lassen sie nicht in ihrer Not allein, sondern wir wollen ihnen helfen. Deshalb auch unser Beratungssystem und deshalb auch der Versuch,  mit der einzelnen Frau, mit der einzelnen Familie, solidarisch umzugehen. Deshalb auch die Verantwortungsübergabe letztlich an die Familie.

Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Demonstration "Marsch für das Leben" / © Paul Zinken (dpa)
Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Demonstration "Marsch für das Leben" / © Paul Zinken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, warnt in seinem Grußwort zum Marsch für das Leben vor einer "vorgeburtlichen Selektion, die sich an vordergründigen Maßstäben" ausrichtet. Das sei für Christinnen und Christen eine inakzeptable Anmaßung. Sehen Sie das genauso?

Koch: Wir kommen, glaube ich, in völlig schiefe Diskussionen und Wahrnehmungen in der Gesellschaft, wenn wir am Anfang wie auch am Ende des Lebens dahin kommen, dass der Mensch dem Leben Grenzen setzt oder dass er definiert, was lebenswert ist und was nicht lebenswert ist. Da sagen wir als Christen: Jedes menschliche Leben in all seinen Phasen ist lebenswert, hat einen unabdingbaren Wert. Ich glaube, diese Botschaft müssen wir in aller Klarheit sagen, sonst werden wir auch in anderen Punkten der Diskussion unehrlich. Das betrifft natürlich auch Menschen, die mitten im Leben zurückgewiesen werden. Ich erinnere hier an manche Menschenrechtsdiskussion oder Migrantendiskussion.

Erzbischof Dr. Heiner Koch, Familienbischof der katholischen Bischofskonferenz

"Wir können nicht den Wert des Lebens teilen, deshalb gibt es auch keinen geteilten Einsatz für das Leben."

Wir können nicht den Wert des Lebens teilen, deshalb gibt es auch keinen geteilten Einsatz für das Leben – den Schutz des behinderten Lebens, den Schutz des verfolgten Lebens, den Schutz des Lebens am Anfang und am Ende. Gott lässt keinen zurück, das ist unsere Glaubensüberzeugung. Gott lässt uns alle leben und aufleben. Das ist die Botschaft dieses Tages.

DOMRADIO.DE: Aber auch dieses Jahr wird es Proteste gegen den Marsch für das Leben geben. Auch katholische Christinnen und Christen fragen sich, ob zum Beispiel Schwangere, die vergewaltigt worden sind oder die Schwangerschaft ihr Leben bedroht, eine Abtreibung nicht gerechtfertigt wäre. Was sagen Sie denen?

Koch: Zunächst einmal sage ich schlicht und ergreifend, dass wir mit diesem Marsch nicht den einzelnen Fall bewerten wollen, ausgrenzen wollen. Wir wollen jedem helfen. Ich verstehe sehr gut, dass es da große Konflikte gibt. Wir sind nicht dafür, die Begleitung und die Bewertung des einzelnen Falls auf die Straße zu tragen. Es geht um das Bewusstsein. Wir müssen den Menschen im Einzelnen, vor allem der einzelnen Frau in Not, beistehen und helfen.

Erzbischof Dr. Heiner Koch, Familienbischof der katholischen Bischofskonferenz

"Wir müssen den Menschen im Einzelnen, vor allem der einzelnen Frau in Not, beistehen und helfen."

Ich kann nicht unterscheiden, dass das Leben, das gewaltsam entstanden ist, weniger wert ist als das Leben, das in Liebe entstanden ist. Aber dass ich dieser Frau helfen muss und dass es eine Notsituation gibt, an dem mir kein Urteil zusteht – das glaube ich fest. Deshalb bin ich auch dafür, dass wir alle Maßnahmen, die wir treffen, immer mit der Frau gehen. Das ist ja der Konflikt: Es geht um das Kind UND die Frau, vielleicht am besten sogar UND die Eltern, aber nicht gegeneinander und nicht nebeneinander.

Das Interview führte Martin Mölder. 

Bischof Bätzing warnt vor vorgeburtlicher Selektion

Zum "Marsch für das Leben" am kommenden Samstag hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, die Position der Kirche zum Lebensschutz bekräftigt. "Christinnen und Christen müssen protestieren, wenn menschliches Leben 'Nützlichkeitserwägungen' unterzogen wird, sei es vor der Geburt oder am Lebensende", erklärte der Limburger Bischof am Dienstag in einem Grußwort zur Demonstration.

Bischof Georg Bätzing / © Max von Lachner (SW)
Bischof Georg Bätzing / © Max von Lachner ( SW )
Quelle:
DR
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