Mit Peter Altmaier, dem Ex-Kanzleramtsminister und ehemaligen Flüchtlingskoordinator unter Angela Merkel, hatte die Veranstaltung den Festredner, den sie verdiente. Denn der CDU-Politiker, offiziell inzwischen im Ruhestand, ist nicht nur ein Sympathieträger, unterhaltsam und bekennender Katholik. Altmaier sparte in seinem Vortrag auch nicht mit "Dank, Anerkennung und Respekt" für das, was die von Erzbischof Woelki angestoßene Flüchtlingsinitiative "Aktion Neue Nachbarn" in den letzten zehn Jahren – seit ihrem Bestehen – mit vielen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern bewirkt hat. Und das liest sich wie eine einzige große Erfolgsgeschichte von immenser Strahlkraft, weil sich die zahlreich daran Beteiligten unermüdlich – mit viel Herz, Empathie und Leidenschaft – dafür eingesetzt haben, Geflüchtete im Erzbistum Köln willkommen zu heißen und langfristig zu unterstützen.
Kaum zu danken
Und so ließ der kurzweilige, mit politischem Erfahrungswissen und differenziertem Urteilsvermögen zum Thema Migration gespickte Auftritt Altmaiers mühelos verschmerzen, dass dessen damalige Chefin "aus Termingründen" die Einladung zur Feierstunde im Katholisch-Sozialen Institut abgesagt hatte.
Denn größere Wertschätzung als die ihres einst engsten Mitarbeiters und Experten für Flüchtlingsfragen konnte, wie sich schnell herausstellte, kaum zum Ausdruck kommen: weder dem Leitungsteam der Aktion Neue Nachbarn gegenüber – Weihbischof Ansgar Puff, Diözesan-Caritasdirektor Frank Johannes Hensel, Flüchtlingskoordinator Klaus Hagedorn und Flüchtlingsbeauftragte Irene Porsch – noch den 20 hauptamtlichen Integrationsbeauftragten, die die Flüchtlingsarbeit in den 15 Stadt- und Kreisdekanaten organisieren, oder den ehrenamtlich Mitarbeitenden aus den Gemeinden gegenüber, die zu dieser Jubiläumsfeier eingeladen waren.
"Sie haben 2015 keine akademischen Diskussionen geführt, sondern am Bahnhof gestanden und erste Kontakte hergestellt", würdigte Altmaier den tatkräftigen Einsatz aller an der Aktion Beteiligten. "In der größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts haben Sie Zeugnis abgelegt für christliche Werte. Sie haben gefragt 'Was können wir tun' und deutlich gemacht, dass Flüchtlinge nicht von einem anderen Stern sind." Wohlfeile Parolen wie „America first“ beflügelten Menschen zum Hass.
In Köln – ohnehin eine besondere Stadt, wie Altmaier schmunzelnd befand – habe man dagegen gemeint: Neue Nachbarn – die müssen wir kennenlernen. "Sie haben Mut bewiesen, zu Ihren Überzeugungen gestanden, sich nicht weggeduckt", sprach er die Anwesenden direkt an. Schließlich gehe es immer um den Menschen. "Gott hat ja auch nicht den Syrer oder Afrikaner geschaffen, sondern den Menschen", so der Referent wörtlich.
"Keine Menschheit ohne Migration"
Ein Blick in die Geschichte zeige, dass Migration so alt sei wie die Menschheit, es seit der Vertreibung aus dem Paradies und später mit dem Auszug Israels aus Ägypten immer schon Migration gegeben habe. "Es gibt keine Menschheit ohne Migration", stellte der 66-Jährige fest. Aber es gelte Lehren aus der Geschichte, gerade auch aus der jüngeren mit den beiden Weltkriegen, zu ziehen und vor diesem Hintergrund Menschlichkeit zu demonstrieren. "Wer, wenn nicht wir, die wir in einem Land sozialen Wohlstands leben!"
In der Hochphase der Flüchtlingswelle habe die Bundesregierung bewusst die Grenzen nicht geschlossen. "Wir haben diese große Belastungsprobe für unser Land in Kauf genommen", erinnerte er an die damals getroffene Entscheidung angesichts der täglich ankommenden Flüchtlinge. Es habe sich um eine Notlage gehandelt, auf die die politisch Verantwortlichen mit dem humanitären Imperativ geantwortet hätten. "Man kann das kritisieren", stellte der ehemalige Kanzleramtschef fest, "aber eine Schande ist das nicht."
Humanität und Schutz ließen sich nicht kontingentieren, so Altmaier weiter, auch wenn es Überlegungen brauche, wie eine ungeregelte Situation verhindert werden könne, ohne gleich nach Grenzkontrollen zu rufen. "Wir haben uns für die Freiheit des Menschen entschieden", argumentierte er. "Wo dann die Obergrenze verläuft, hängt ganz wesentlich von der Integration der Menschen ab, die zu uns kommen. Lösungen aber müssen wir nicht gegen sie, sondern mit ihnen finden."
Dafür sollten sich Politiker über Parteigrenzen hinweg zusammensetzen, forderte Altmaier. Und noch ein Anliegen trug er vor: "Wir sollten öffentlich positiv über die Menschen sprechen, die zu uns gekommen sind, und dazu beitragen, dass uns die Rattenfänger am linken und am rechten Rand nicht gegeneinander aufhetzen." Es gehe darum, Stellung zu beziehen, allen Widerständen zu Trotz.
"Um unser gemeinsames Deutschland verdient gemacht"
Und natürlich – auch das war Teil seiner Ausführungen – gäbe es auch Fälle gescheiterter Integration und mitunter Enttäuschung bei den Helferinnen und Helfern. Und es gebe Kriminalität und Terrorakte. Aber dann müsse die Politik deutlich machen, dass Deutschland ein Rechtsstaat sei und Terror bekämpft werde. Abschließend formulierte Altmaier nochmals mit Nachdruck an die Adresse der vielen Engagierten im Saal: "Sie haben sich um unser gemeinsames Deutschland verdient gemacht!"
Eröffnet hatte den Festakt in Siegburg Erzbischof Kardinal Woelki, der am 11. November 2014 die Flüchtlingshilfe ins Leben gerufen und sich damals in einem persönlichen Brief an die Menschen seiner Diözese mit der Bitte gewandt hatte, Geflüchtete willkommen zu heißen und ihnen bei der Integration in Deutschland zur Seite zu stehen.
In seiner Begrüßung erinnerte er an die Welle der Hilfsbereitschaft, die es damals im gesamten Erzbistum mit mehr als 20.000 ehrenamtlichen Helfern gegeben hatte, und dankte den Anwesenden ausdrücklich dafür, dass sie sich trotz der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und teils persönlicher Attacken auch nach zehn Jahren nicht entmutigen ließen, sondern – im Gegenteil – in all der Zeit immer wieder einen langen Atem bewiesen hätten.
"Als damals so viele Menschen aus Bürgerkriegsregionen und Flüchtlingscamps in und um Syrien bei uns Zuflucht suchten, war mir klar, dass wir als Kirche von Köln nicht fehlen dürfen, sondern helfen müssen." Was gewissermaßen in die DNA eines Christen eingeschrieben sei, wie der Kardinal hinzufügte. "Und damit müssen wir wuchern und dürfen nicht im gesellschaftlichen Mainstream mit schwimmen", mahnte er. "Die Not der geflüchteten Menschen darf uns nicht kalt lassen. Das Thema Flucht und Vertreibung geht uns alle an." Zum Glück gebe es mit dem Diözesancaritasverband auch die Organisationskraft, die es dazu brauche.
Die Wortwahl, von neuen Nachbarn zu sprechen, habe von Beginn an deutlich gemacht, dass es um ein gelingendes Zusammenleben gehen würde. "Wir ahnten schon, dass es um mehr als eine Willkommenkultur, um ein neues und dauerhaftes Miteinander gehen wird, um echte Integration." Eine kraftvolle Bewegung wie die "Aktion Neue Nachbarn" könne man aber nur mit vielen Menschen guten Willens entfalten. Ausdrücklich verwies der Kardinal daher auf seine bei dieser Hilfsinitiative engsten Mitarbeiter Puff, Hensel, Hagedorn und Porsch, die er als die "Vier aus der Herzkammer der Aktion Neue Nachbarn" bezeichnete.
Ein Jahrzehnt intensiver Arbeit
Die Menschen im Plenum forderte er auf: "Bleiben Sie der Aktion treu! Geben Sie Ihr Herz und helfen Sie mit, dass das Bild von Deutschland in der Migrationsdebatte ein differenziertes bleibt – auch wenn der Kompass bei manchen verloren zu gehen droht." Abschließend versprach der Kardinal: "Unsere Kirche, unser Erzbistum wird weiterhin fest an der Seite der Engagierten, der Couragierten und auch an der Seite der Verfolgten und Vertriebenen stehen."
Was das konkret bedeutet, erläuterte der Leiter der Aktion Neue Nachbarn, Diözesan-Caritasdirektor Dr. Frank Johannes Hensel. Er blickte auf ein Jahrzehnt intensiver Arbeit für Geflüchtete zurück und zeigte die gesamte Bandbreite an großen und kleinen Projekten und Angeboten, die Menschen auf der Suche nach einer sicheren Bleibe Unterstützung bieten, damit sich diese nicht mehr fremd, sondern angenommen fühlen. In der Summe ein beeindruckendes Resümee. Inzwischen gäbe es außerdem nicht wenige, erklärte er, die in Deutschland eine Heimat gefunden hätten und sich nun ihrerseits bei der Aktion Neue Nachbarn engagierten, um etwas von dem, was sie bei ihrer eigenen Ankunft erfahren hätten, zurückzugeben.
"Unsere christliche Identität tritt gerade dann besonders deutlich zutage", zitierte Hensel aus der Präambel des Integrationskonzeptes der Aktion Neue Nachbarn, "wenn jede Person, die in unserem Land Zuflucht sucht, menschenwürdig behandelt wird." Was im Übrigen der Kirche von Köln Jahr für Jahr mehrere Millionen Euro wert sei. "Das zeigt, wie groß und klar der Rückhalt der Verantwortlichen in diesem Erzbistum, bei unserem Erzbischof ist."
Mit Blick auf die gegenwärtige politische Lage betonte der Caritas-Chef die Wichtigkeit der Aktion Neue Nachbarn als verbindendes Element: "Das Erstarken des Rechtspopulismus und die voranschreitende Entrationalisierung politischer Meinungsbildung gehen zu Lasten von Flüchtlingen und zu Lasten ihrer Integrationsmöglichkeiten. Wir sind Teil eines sehr wachen gesellschaftlichen Ringens und Kämpfens um eine Zivilisation der Nächstenliebe. Wir wollen uns nicht hineinziehen lassen in das Gegeneinander, sondern ein Miteinander gestalten."