DOMRADIO.DE: Heute ist medizinisch sehr viel möglich, sodass Ärzte die Entwicklung des Kindes im Mutterleib verfolgen können. Ist das gut und beruhigend für die werdenden Eltern?
Volker Hohengarten (Referent für gesellschaftspolitische Bildungsarbeit im Referat Erwachsenen- und Familienbildung im Erzbistum Köln): Ja, es ist fantastisch, was es für medizinische Möglichkeiten gibt. Vom bekannten Ultraschall schon allein, wo dann die werdenden Eltern ab der sechsten Schwangerschaftswoche ein Bild von ihrem kleinen Kind sehen und sich darauf einstellen können. Dort kann man schon sehr viel erkennen, ob etwas in Ordnung oder eben nicht in Ordnung ist – zumindest viele Dinge, um Mutter und Kind medizinisch gut zu versorgen.
DOMRADIO.DE: Bei allen Vorteilen, die präzise Pränataldiganostik hat aber auch ihre Schattenseiten: Wenn die Eltern nämlich unter Druck geraten. Inwiefern?
Hohengarten: Die präzsise Pränataldiagnostik ist nicht unbedingt immer präzise. Bestimmte Ergebnisse lassen immer noch einen Interpretationspielraum offen. Ist das Kind tatsächlich krank oder nicht? Ist es möglicherweise behindert oder nicht? Wie schwer sind die Ausprägungen? Man weiß das alles nicht so genau, und in dem Moment sind Eltern eben nicht mehr guter Hoffnung, sondern in Sorge um ihr Kind. Am Ende stellt sich dann vielleicht heraus, es ist doch alles in Ordnung.
Andere Untersuchungen, wie diese neuen nicht-invasiven Pränataltests, wo das Blut der Mutter auf bestimmte Genabweichungen untersucht wird, können zwar mit hoher Verlässlichkeit diese Genabweichungen nachweisen. Welche Ausprägungen die Genabweichungen dann beim Kind haben wird, welche Schäden oder Handicaps damit verbunden sein können, weiß man nicht. Das lässt die Eltern dann wiederum doch in einer Unsicherheit.
Ein anderer Gesichtspunkt ist folgender, dass es natürlich auch oft Lebenspläne durchkreuzt. Es funktioniert nicht mehr so, wie man sich das Leben vielleicht gedacht hat. Auch aus dem Umfeld kommen dann oft Stimmen: Behinderungen können doch heute früh ausgeschlossen werden und so weiter. Auch das ist ein Druck, den die Eltern aushalten müssen.
DOMRADIO.DE: Schon der Begriff des Wunschkindes trägt die Vorstellung von Perfektion in sich. Was daran ist gefährlich?
Hohengarten: Erstmal sollte man nicht vorschnell sagen, dass es die Perfektion in sich hat. Es kann ja auch etwas ganz Schönes sein, wenn man zu seinem Partner sagt, es sei sein Wunschpartner und sich einig ist, zusammen eine Familie zu gründen. Dann ist es eine schöne Liebeserklärung, auch dem Kind zu sagen: Du bist mein Wunschkind. Das ist doch wunderbar. Das Problem fängt an der Stelle an, wenn das Kind genauso sein muss, wie ich es mir vorstelle. Wenn das Kind dann nur gut ist, wie ich es nach meinen Vorstellungen präge oder mir erträumt habe, dann wird es gefährlich.
DOMRADIO.DE: Eltern können da also tatsächlich in Situationen kommen, wo sie äußerst folgenreiche Entscheidungen treffen müssen, Entscheidung über Leben und Tod. Soll die "Woche für das Leben" da erst einmal Aufklärungsarbeit leisten?
Hohengarten: Ja, vor allem erstmal auch an dem Punkt, dass Eltern Entscheidungen treffen müssen. Das ist ja ein vermeintlicher Zwang. Wenn man als Paar vor einer Schwangerschaft weiß, wir möchten das Kind bekommen, wird die Situation natürlich bei einer Diagnose einer schweren Behinderung schwierig. Das Kind braucht Pflege und Betreuung den ganzen Tag über. Das Leben der Eltern stellt sich daraufhin natürlich um. Da sehen sich viele Paare vor die Entscheidung gestellt und unter hohem Druck, weil so eine Entscheidung ganz klar überfordernd ist.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich, was soll die "Woche für das Leben" darüber hinaus bringen?
Hohengarten: Einmal natürlich Aufklärung, was passiert, wenn man sich in diese Maschinerie der vorgeburtlichen Diagnostik hineinbegibt. Das richtet sich natürlich in erster Linie an Paare. Aber auch gesamtgesellschaftlich ist es wichtig, deutlich zu machen, dass es um den Schutz des Lebens gibt. Egal, ob das Kind behindert oder krank ist – jeder Mensch hat ein Recht zu leben und eine besondere Würde.
Ich würde mir auch wünschen, dass von dieser Woche etwas von der ernsthaften Gelassenheit deutlich würde. Ernsthaft mit all den Bedrohungen und Nöten der Menschen umzugehen, über nichts hinweg reden – auch nicht, wenn man sich den ganzen Tag um einen Menschen kümmern muss – das ist und bleibt schwer. Aber eben auch gelassen zu sein und sich einlassen auf das, was vom Leben kommt und sich damit in Gottes Hand zu wissen. Wenn wir deutlich machen können, jeder Mensch ist ein geliebtes Kind Gottes, ist das auch eine tolle Sache.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.