DOMRADIO.DE: Wie nah ist Ihnen die Pandemie bisher gekommen?
Dr. Georg Bätzing (Bischof von Limburg, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz): Ich habe wirklich das Glück, in der engeren Familie noch niemanden verloren zu haben. Aber unter Kolleginnen und Kollegen höre ich vom Verlust von Familienmitgliedern, Großeltern und Geschwistern. Und das geht mir sehr nahe, wenn die Menschen mir ihre Geschichten erzählen, die ja im Grunde in dieser Zeit immer unmögliche Geschichten sind, weil so vieles fehlt.
DOMRADIO.DE: Gerade das Abschiednehmen war im letzten Jahr schwer. Aufgrund der Corona-Bestimmungen durften Menschen ihre Angehörigen nicht einmal in ihren letzten Stunden begleiten. Die Beerdigung war nur im engsten Raum möglich. Wie wichtig, glauben Sie, ist so ein nationaler Gedenkakt samt Gottesdienst, um Trost zu spenden?
Bätzing: Ich finde die Idee sehr unterstützenswert, die durch den Bundespräsidenten aufgebracht worden ist. Wir haben als katholische Christen schon mehrfach Gedenkgottesdienste gefeiert, zuletzt am 27. Februar. Das war eine wunderbare Initiative der europäischen katholischen Kirchen, an jedem Tag der Fastenzeit in einem Land der Toten zu gedenken. Ich halte das für ganz wichtig, dass die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese so außerordentlichen Situationen gerichtet wird und dadurch die Menschen auch spüren, dass um sie herum eine Aufmerksamkeit und eine Wertschätzung da ist. Da sind Menschen, die sehen sie in ihrem Leid, in ihrer Trauer. Und sie sehen auch die Toten, die verstorben sind.
DOMRADIO.DE: Es wird ja immer wieder diskutiert, ob Präsenzgottesdienste bei hohen Inzidenzwerten notwendig sind. Was meinen Sie?
Bätzing: Ich bin dankbar, dass wir in Präsenz Ostern feiern konnten. Wir haben das unter den nötigen Schutzmaßnahmen getan. Anders geht es nicht. Und wir haben es getan, indem wir Menschen gesagt haben: Bitte entscheiden Sie selber. Es gibt ganz überlegte Situationen, wo man am Gottesdienst bewusst nicht teilnimmt. Das müssen die Menschen selber entscheiden. Wenn die Inzidenzzahlen wirklich noch höher gehen, sind wir zu Gesprächen bereit - das haben wir auch immer den Politikerinnen und Politikern signalisiert - und müssen wir das tun, was Leben schützt. Das ist das Entscheidende im Moment.
DOMRADIO.DE: Anhand der biblischen Geschichte vom Weg der Jünger Jesu nach Emmaus nach Ostern hat der Gedenkgottesdienst Gelegenheit zur Besinnung und zum Abschiednehmen gegeben. Weshalb haben Sie diese Geschichte ausgewählt?
Bätzing: Ostergeschichten sind keine Märchen. Ostergeschichten stehen mitten im Leben. Und das kann man an der Emmaus-Erzählung deutlich machen. Da ist ja die Situation: Zwei Jünger trauern um ihren Meister, der ihnen einfach weggerissen worden ist. Sie wissen das überhaupt nicht zu deuten. Sie sind irritiert, sie sind niedergeschlagen, gedrückt, sie trauern und da sind sie miteinander unterwegs. Der auferstandene Herr gesellt sich zu ihnen und macht ihnen Hoffnung und Zuversicht. Genau das ist im Grunde die Situation, in der wir heute stehen, in der so viele Menschen stehen. Und da kann diese Osterbotschaft wirklich Hoffnung schenken.
DOMRADIO.DE: Auch in den nächsten Monaten ist die Gefahr nicht vorbei. Es werden weiterhin Menschen erkranken, sterben. Wie können wir Mut oder diese Hoffnung und Zuversicht, von der Sie sprechen, für die nächste Zeit sammeln?
Bätzing: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir zusammenstehen. Ich sage immer: Erzählen Sie von dem, was Sie ängstigt, was Sie bedrückt, was Ihnen Sorgen macht. Drücken Sie es nicht in sich hinein, sondern erzählen Sie, sprechen Sie mit anderen Menschen. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger sind da. Und Sie sind genau in dieser Situation da, um Menschen auch deuten zu helfen, was sie gerade erleben, mit ihnen zu beten. Das Gebet ist eine wunderbare Quelle für Kraft. Das halte ich gerade in dieser Zeit für ganz, ganz wichtig.
Das Interview führte Katharina Geiger.