DOMRADIO.DE: Der Amazonas ist weit weg. Was wird die Aufforderung zur Umkehr für uns in Europa bedeuten?
Jean-Claude Hollerich (Erzbischof von Luxemburg und Präsident der EU-Bischofskommission COMECE): Ich glaube, wir müssen unseren Lebensstil ändern. Wir haben eine Konsumgesellschaft, bei uns wird die Wertigkeit eines Menschen an sich durch seine Wirtschaftsleistung definiert. An dieser Stelle müssen wir umdenken und umkehren. Der Amazonas wird auch von uns ausgebeutet, weil wir billiges Fleisch essen wollen. Wir brauchen einen Lebenswandel, der Gerechtigkeit zulässt und Gerechtigkeit fordert – der sozusagen die Umwelt weiter erhalten kann. Das bedeutet eine Umkehr auch in Europa.
DOMRADIO.DE: Die Synode empfiehlt "viri probati" – verheiratete Männer, die den Priestermangel in entlegenen Amazonasregionen abfedern sollen. Der Priestermangel wird auch in Deutschland und Europa mehr und mehr zum Thema. Ist damit die Tür zu verheirateten Priestern auch in Europa aufgestoßen?
Hollerich: Zuerst gilt die Empfehlung der Synode, das bedeutet, diese Empfehlung gilt nur für das Amazonas-Gebiet. Die Synode hat also nicht über Europa oder über andere Kontinente nachgedacht, sondern nur über das Amazonasgebiet. Selbstverständlich kann es so sein, dass auch Bischöfe aus Europa diese Forderungen stellen. Aber die Schlussfolgerungen ergeben sich nicht automatisch aus der Amazonassynode.
Die Priesterknappheit in der Amazonasgegend ist viel größer als bei uns. Luxemburg hätte keinen einzigen Priester, wenn wir dieselbe Ratio hätten. Wir haben aber noch so ungefähr hundert – und wir sprechen auch schon von Priestermangel.
DOMRADIO.DE: In dem Kontext sind auch neue Leitungsämter für Laien im Gespräch. Ist das eine Idee für Europa?
Hollerich: Das glaube ich sicher. Man muss nur schauen, dass das Ganze zusammenpasst. Hier spricht man von Leitungsämtern, auch weil die Kirche dadurch von unten lebendig ist. Das bedeutet aber, vom Leben an der Basis heraus müssen sich neue Ämter aufstellen lassen, die die Kirche dann definieren kann. Zuerst steht das Leben. Es ist also nicht so, dass jetzt ein Bischof in seinem Büro neue Ämter oder eine Bistumsleitung entwirft. Das wäre ein Abfallen in Strukturen, wenn man die Reformen nur durch Strukturreformen betreibt.
Es muss an der Basis wirklich neue Ämter geben. Wir haben in Luxemburg zum Beispiel angefangen, Teams für Beerdigungen aufzustellen. Es ist meistens noch so, dass der Priester die Beerdigungen hält, aber eine ganze Gruppe von Laien, die Trauerbegleitung macht, also auch mit den Familien spricht. In Zukunft – wenn es weniger Priester gibt – werden wohl auch diese Laien die Beerdigungen übernehmen. Das sind neue Ämter. Sie müssen aber sozusagen aus dem Boden, von der Basis her erwachsen.
DOMRADIO.DE: "Maria 2.0" ist in Deutschland eine Bewegung, die sich für Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche einsetzt. Von der Amazonas-Synode hatte man sich dahingehend Impulse erhofft. Es gibt keine Entscheidung zum Frauendiakonat, warum nicht?
Hollerich: Das kann es nicht geben. Die Entscheidungen zum Frauendiakonat muss dem Lehramt vorbehalten sein. Es gibt eine Reihe theologischer Fragen, Fragen von der Tradition her und auch historische Fragen. Ich selber bin sehr aufgeschlossen dafür, ich hätte also gar nichts dagegen. Aber das muss geprüft werden. Das ist eine Entscheidung, die auf dem Niveau der Gesamtkirche gefällt werden muss.
Was klar ist, dass das Lektorat und Akolytat für Frauen geöffnet werden kann. Die Frauen machen diese Aufgaben ja praktisch schon. Die offizielle Beauftragung ist nur den Männern vorbehalten. Ich habe es als sehr wohltuend empfunden, dass auch die Frauen, die auf der Synode waren, eine sehr klare Sprache hatten. Das tut der Kirche gut. Die Kirche muss mehr auf Frauen hören. Da bin ich ganz überzeugt, sie muss den Frauen mehr Platz geben. Das ist ganz klar. Aber wie man das machen kann, das wird die Diskussion der nächsten Jahre sein.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie auf die Synode zurückblicken. Was war der beeindruckendste Moment für Sie?
Hollerich: Für mich war es die Ansprache des Papstes. Denn als zum Schluss der Synode die Abstimmung vorbei war und auch jeder Paragraf die notwendige Zweidrittelmehrheit bekommen hatte, hat der Papst einfach aus seinem Herzen gesprochen. Das war ein langes Nachdenken, aber es sprach auch eine große Nähe zu Christus, eine Nähe des Gebets zu Gott daraus hervor. Der Papst ist kein Manager, er ist ein Mann Gottes. Und das tut der Kirche gut.
Das Interview führte Tobias Fricke.