DOMRADIO.DE: Schon seit März gibt es praktisch keine Proben und Auftritte mehr. Welche Rückmeldungen erhalten Sie denn da als Verband? Wie sehr vermissen die Kinder das Singen?
Judith Kunz (Präsidentin des Deutschen Chorverbandes Pueri Cantores e.V., Domchordirektorin Limburg): Die Kinder vermissen es sehr und die Chorleiter natürlich ebenfalls, weil die Chorarbeit sozusagen eines der Herzstücke der kirchenmusikalischen Arbeit ist: Das Musizieren mit Menschen für die Gemeinde und mit der Gemeinde. Auch die Gemeinden dürfen nicht singen. So ist natürlich eine große Nachfrage da, wann man wieder singen kann, beziehungsweise unter welchen Auflagen.
DOMRADIO.DE: Für die katholische Kirche ist ja noch gar nicht absehbar, welche Folgen die Einschränkungen bei den Gottesdiensten haben werden. Glauben Sie denn, auch die Chöre können auf Dauer Schaden tragen durch die Corona-Krise, sodass die Kinder und Jugendlichen vielleicht wegbleiben?
Kunz: Aktuell bin ich da noch recht optimistisch, denn im Moment kann man sich ja keine Alternativ-Freizeitmöglichkeit suchen. Es ist nicht wie in einem normalen Regelbetrieb, wenn die Chorproben ausfallen, dass diese Zeit dann frei ist und ganz neu besetzbar wäre – frei nach Wahl und Lust und Laune. Das ist ja gar nicht gegeben, weil viele andere Bereiche des Freizeitlebens ebenso ruhen müssen. Deswegen ist eigentlich meine Hoffnung, dass die Chöre dann auch irgendwann wieder so in diesen Formationen zusammenkommen können.
Wobei man natürlich sagen muss: Wenn man zum Beispiel in den Knabenchören die Jungs betrachtet, die jetzt gerade in die Mutation kommen, also in den Stimmbruch, für die ist das natürlich jetzt schon ein sehr harter Bruch. Oder ich denke dann auch an die Mädchen bei mir aus der Mädchen-Kantorei, die jetzt Abitur gemacht haben, den Chor jetzt zu den Sommerferien verlassen hätten. Damit sind dann immer auch Rituale mit verbunden, die jetzt alle nicht stattfinden können. So eine Chorzeit läuft jetzt irgendwie ganz seltsam aus. Da fehlt einfach was.
DOMRADIO.DE: Und auf ewig kann ja auch der Probenbetrieb nicht ausgesetzt werden. Jetzt haben Sie mit dem allgemeinen Cäcilienverband ein Hygienekonzept für die Chöre erarbeitet. Abstand halten und lüften sind zwei Stichworte dabei. Unter welchen Umständen halten Sie denn gemeinsames Singen für verantwortbar?
Kunz: Ich glaube, wir haben ein ganz gutes Hygienekonzept erarbeitet. Wir hatten mehrere Studien zugrunde gelegt, die im Moment natürlich fast täglich auch aktualisiert werden und neue hinzukommen. Unter anderem sind das auch die Vorschriften der Verwaltungsberufsgenossenschaft, auf die sich alle Bistümer beziehen. Ich glaube, wir haben ein Konzept entwickelt, wo man sagen kann: Da kann auch der Verantwortungsträger mitgehen und sagen, unter diesen Auflagen ist es möglich, zu proben.
Wenn man sich allerdings dann die Abstandsregeln auch anschaut: Wir haben niedergelegt drei Meter in alle Richtungen, um jeden Sänger und jede Sängerin herum. Da weiß man dann auch ganz schnell, dass man aufgrund der Räumlichkeiten da auch an Obergrenzen stößt, sodass es eher Kleingruppen sein werden. Also dieses Chor-Feeling mit allen 30 Leuten zum Beispiel in einem Raum, das wird es lange Zeit nicht geben – so lange, bis ein Impfstoff da ist.
DOMRADIO.DE: Als die Schulen geöffnet wurden, da gab es ja kritische Stimmen, weil die Kinder sich mit den Hygienemaßnahmen auch schwertun könnten. Wie zuversichtlich sind Sie denn bei den kleinen Sängerinnen und Sängern, dass das gelingt?
Kunz: Ich glaube, dass es mittlerweile ja in vielen Bereichen wirklich einstudiert ist. Man merkt es ja auch als Erwachsener an sich selbst. Händewaschen, desinfizieren, auch diese Abstandsregeln, Mund-Nasen-Schutz tragen – das ist einem ja im Laufe der letzten Wochen dann doch irgendwie in Fleisch und Blut übergegangen. Das traue ich den Kindern auch zu.
Natürlich muss man auch als Chorleiter darauf achten, dass es auch noch jemanden gibt, der da ebenfalls neben dem Chorleiter während einer Chorprobe den Blick drauf hat. Das muss man wirklich gut kommunizieren, man muss es gut einstudieren. Aber ich sage einfach mal so: Unsere Chorsänger sind ja eine gewisse Disziplin, die eine Chorprobe von Natur her mit sich bringt, gewohnt, sodass ich glaube, dass das möglich ist, das wirklich auch einzuhalten.
DOMRADIO.DE: Singen gilt als besonders infektiös, unter anderem durch die sogenannten Aerosole, die beim Sprechen und beim Singen besonders ausgestoßen werden. Was schätzen Sie denn: Wann können die Chöre wieder mit den Proben beginnen? Empfehlen Sie da einen konkreten Startpunkt?
Kunz: Wir haben jetzt keinen Startpunkt für die Chöre festgelegt oder empfohlen. Denn man muss bedenken: In manchen Bundesländern fangen jetzt die Sommerferien in ein paar Wochen ja schon an. In Nordrhein-Westfalen ist das, glaube ich, schon in drei, vier Wochen. Hessen folgt sofort. Während in Bayern und Baden-Württemberg eher die Sommerferien fast beginnen, wenn wir schon wieder in die Schule starten. Wir haben gesagt, wir empfehlen es, eine sorgfältige Vorbereitung dieses Hygienekonzepts zu betreiben, dass diese Umsetzung wirklich gut stattfinden kann und nicht überstürzt den Probebetrieb aufzunehmen.
Dann muss eben jeder für sich schauen, dann auch die Vorschriften vor Ort zu beachten, denn da gibt es von Bistum zu Bistum und von Bundesland zu Bundesland auch immer wieder unterschiedliche Auflagen. Wenn die berücksichtigt werden, alles im Blick gehalten wird, und sich gut vorbereitet wird, dann kann jeder eigentlich auf Grundlage dessen, was wir erarbeitet haben, starten.
DOMRADIO.DE: Was fehlt Ihnen denn als Domchordirektorin am Limburger Dom ganz konkret am meisten ohne die kleinen Sänger und Sängerinnen?
Kunz: Zum einen natürlich der Kontakt mit den Sängerinnen und Sängern, aber auch dieses physische Klangerlebnis. Man merkt einfach dieses Miteinander singen durch den Klang, durch die Stimmen, dass der eigene Körper in Schwingung kommt, dass man miteinander in Resonanz tritt. Das ist etwas, wo man auch merkt, bei allen Möglichkeiten, die ja Gott sei Dank zur Verfügung stehen, über Zoom miteinander zu kommunizieren, per Skype, per Telefon, aber einfach dieses Physische auch, das es spürbar ist im Raum. Ich glaube, das fehlt allen.
Das Interview führte Heike Sicconi.