domradio.de: Der Fall Gammy berührt viele Menschen, weil er mehrere Themen anspricht - Leihmutterschaft genauso wie die Frage nach Lebensschutz, Abtreibung und pränataler Diagnostik. Ist der Fall Gammy ein "abschreckendes Beispiel"?
Peter Dabrock(Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Deutschen Ethikrat): Der Fall Gammy zeigt genau in der Verbindung in der von Ihnen genannten Gesichtspunkte die hohe Ambivalenz, die viele reproduktionsmedizinische Technologien und viele Machbarkeitswünsche der Menschen mit sich bringen, aber auch die Ambivalenz und das tiefe Sehnen, ein genetisch eigenes Kind zu bekommen und dafür wirklich Dinge zu machen, von denen doch sehr viele empört, erschreckt, wütend und traurig sind.
domradio.de: Befürworter sprechen von einer "win-win-Situation", die Erfüllung eines lang ersehnten Kinderwunsches, auf der anderen Seite eine hohe Geldprämie für die Leihmutter. Was sagen Sie dazu?
Dabrock: Ich meine, man kann alle Dinge schön reden. Nun gibt es viele Länder in Europa, die die Leihmutterschaft erlauben, aber ich glaube, die Leihmutterschaft bringt auf eine ganz deutliche dramatische Art und Weise die Problematik vieler Machbarkeitswünsche im Bereich von Reproduktionsmedizin zum Ausdruck. Für mich ist das ganz deutlich geworden als ich mir nochmal die Geschichte von Gammy vor Augen geführt habe. Die nun wirklich in einer schwierigen Situation befindliche Leihmutter, die ja das Geld brauchte und meint, deswegen eben dieser Tätigkeit nachzugehen, sagte als sie der Abtreibung nicht zugestimmt hat: Ich liebe doch Gammy, schließlich hatte ich ihn neun Monate auch im Bauch. Wenn die wirklich bewundernswerte Frau, die sich jetzt noch so lieb um Gammy kümmert, das sagt, dann fragt man sich doch bei allem Respekt, aber das Mädchen hatte sie doch auch in ihrem Bauch, das sie jetzt abgegeben hat an das australische Paar. Ich glaube, darin wird noch einmal deutlich, dass man hier überhaupt nicht im Bereich von Nachkommenschaft solche Techniken, die dann noch ökonomisiert werden, in dieser Art anwenden darf.
domradio.de: Warum ist es also ratsam, auf die vielen Möglichkeiten, die die Fortpflanzungsmedizin bietet, vielleicht zu verzichten oder zumindest nicht alle Möglichkeiten auszunutzen?
Dabrock: Es geht nicht darum, generell darauf zu verzichten, gerade im Bereich der In-vitro-Fertilisation kann man sagen, haben wir ein Standard-Verfahren, bei dem viele Paare ein Kind bekommen können, denen es nicht vergönnt ist auf "natürlichem Wege" ein Kind zu bekommen. Man kann wirklich auch davon ausgehen, dass viele dieser Paare, die ein Kind auf diese Art und Weise bekommen wollen, dieses Kind als ein Wunschkind bezeichnen und deswegen sehr fürsorglich damit umgehen - was nicht heißt, dass es nicht auch dort zu Problemen kommen kann wie in anderen Familien auch. Aber überall dort, wo dieser Machbarkeitswahn in solche ökonomische Kategorien kommt, wo dritte, vierte Personen einbezogen werden - vier Elternschaften ist ja auch schon denkbar - da glaube ich, übersteigt dieser Wunsch doch eine Linie, die zum Schaden von allen nur überschritten werden sollte. Stellen Sie sich mal vor, das Internet vergisst nicht und die Schwester von Gammy liest in fünfzehn Jahren von dieser Geschichte. Die Frau wird doch ein Trauma fürs Leben haben. Das Ganze hat Spätfolgen dramatischer Art - so dass wir uns schon überlegen sollten, müssen wir alles, was technisch möglich ist, realisieren? Können wir nicht auch Adoptionen stark machen oder andere Formen des guten Zusammenlebens als auf diese Techniken in dieser wirklich extremen Weisen zurückzugreifen.
Das Interview führte Matthias Friebe