EuGH-Urteil zu Kopftuchverbot im Job

"Deutschland hat ein positives Verhältnis des Staates zur Religion"

Wann dürfen private Unternehmen ihren Angestellten wegen eines Kopftuchs kündigen? Das EuGH hat ein wegweisendes Urteil gesprochen. Eine Einschätzung von Thomas Lemmen vom Referat Dialog und Verkündigung im Erzbistum Köln.

Kopftücher am Arbeitsplatz? / © Kay Nietfeld (dpa)
Kopftücher am Arbeitsplatz? / © Kay Nietfeld ( dpa )

domradio.de: Im einen Fall wurde entschieden, dass Beschwerden von Kunden über eine IT-Beraterin mit Kopftuch kein Entlassungsgrund sind. Ein gutes Urteil?

Dr. Thomas Lemmen (Referat Dialog und Verkündigung im Erzbistum Köln): So klar ist der Fall nicht entschieden worden. Das Gericht hat gesagt, dass die Beschwerde eines Kunden allein kein Entlassungsgrund ist. Der Arbeitgeber ist aufgerufen zu begründen, warum das Tragen eines Kopftuchs nicht geht.

domradio.de: Im zweiten Urteil aber wurde entschieden, dass private Unternehmen als Betriebsvorschrift festlegen können, dass Mitarbeiter keine religiösen, politische oder philosophische Zeichen im Job tragen dürfen. Was sagen Sie zu diesem Urteil?

Lemmen: Dieses Urteil hat eine andere Qualität, weil da das Gericht sagt: das betreffende Unternehmen hat in einer interner Regelung festgelegt, dass man keine sichtbaren politischen, religiösen oder philosophischen Zeichen tragen darf, um die entsprechende Überzeugung zum Ausdruck zu bringen. Deshalb hat das Gericht die Klage gegen die Kündigung abgewiesen.

domradio.de: Was bedeutet dieses Urteil letztlich für Deutschland?

Lemmen: Man muss wissen, dass die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen in den Ländern der Europäischen Union sehr unterschiedlich sind. Belgien und Frankreich, aus denen die beiden Klagen kamen, sind stärker laizistisch ausgerichtet. Deutschland hat ein positiveres Verhältnis des Staates zur Religion. Es steht die Frage im Raum, ob solche Klagen in Deutschland überhaupt möglich gewesen wären. Dennoch hat der Europäische Gerichtshof durch diese Entscheidungen Maßstäbe gesetzt, die nun in den Mitgliedsstaaten in der nationalen Rechtsprechung beachtet werden müssen. Und da kann man feststellen, dass Religion aus der Öffentlichkeit verschwinden soll. Die Gerichte sagen, dass wenn es Gründe für ein Verbot von religiösen Zeichen gibt, dann muss es gleichermaßen bei allen religiösen Symbolen angewandt werden.  

domradio.de: Ganz konkret: dann könnte ein Unternehmen per Arbeitsvertrag einem Mitarbeiter verbieten, eine Kette mit Kreuz zu tragen oder ein Bild von Papst Franziskus aufzustellen?

Lemmen: Das muss man im Einzelfall ganz genau anschauen. In Deutschland ist die Religionsausübung durch das Grundgesetz und die Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit gewährleistet. Das lässt sich nach deutschem Recht nur einschränken, wo andere Grundrechte tangiert werden oder der öffentliche Frieden gestört wird. Ein aktuelles Beispiel: das öffentliche Beten von Schülern in einer Schule hat nach Auffassung der Schulleitung den öffentlichen Frieden gestört, und sie sah sich deshalb veranlasst, dies einzuschränken. Also als Arbeitgeber muss ich auch begründen, warum es mich stört und warum es beispielsweise den Arbeitsablauf beeinträchtigt. Und da sehe ich keinen Grund, warum ein Halbmond oder ein Kreuz an der Halskette Arbeitsabläufe oder den Arbeitsfrieden stören sollte.  

domradio.de: Sehen Sie in diesem europäischen Gerichtsurteil eine Tendenz zur Säkularisierung?

Lemmen: Die Tendenz ist in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens zu beobachten. Unsere Gesellschaften werden immer säkularer. Das kommt aber auch als Abwehrreaktion von bestimmten Stellen, wo man mit Zeichen muslimischer Religionsausübung meint, Probleme zu haben. Und sie kommt aus einem falschen Verständnis von Neutralität, wenn man sagt, Neutralität bedeute, Religion in der Öffentlichkeit zu verbieten. Das Grundgesetz aber sagt Ja zu Religion in der Öffentlichkeit in einem wohl verstandenen Verhältnis. Es setzt dort Grenzen, wenn andere Rechte tangiert sind. Inwieweit die europäische Diskussion künftig Deutschland beschäftigen wird, bleibt abzuwarten. Kirchliche Arbeitgeber aber haben eigene Möglichkeiten, ihre Anliegen anders zu regeln als andere Arbeitgeber.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR